In der deutschen Autoindustrie hat der bayerische Zulieferer Webasto einen klangvollen Namen. Das Familienunternehmen, 1901 vor den Toren Münchens gegründet, ist bekannt für zuverlässige Standheizungen und innovative Cabrio- und Panoramadächer. Im Foyer der Konzernzentrale in Stockdorf ist ein modulares Dachsystem ausgestellt, das Webasto für die S-Klasse von Mercedes entwickelt hat: Die Verdunklung ist über zwei getrennt steuerbare Rollos möglich, komfortabel per Gesten- und Sprachsteuerung.
Doch auch solche Vorzeigeprojekte ändern an der gegenwärtigen Misere wenig. Webasto wurde von der Absatzflaute auf den großen Automärkten hart getroffen, hohe Schulden lasten auf der Bilanz, und weil auch Managementfehler nicht zu leugnen waren – so scheiterte der Versuch kläglich, in das Geschäft mit elektrischen Ladesäulen einzusteigen –, spitzte sich die Lage immer mehr zu.
Licht am Ende des Tunnels?
Spät zogen die Eigentümer die Reißleine, trennten sich im März vom langjährigen Vorstandschef Holger Engelmann und holten mit dem Nachfolger Jörg Buchheim einen erfahrenen Sanierer. Nach gut hundert Tagen im Amt glaubt Buchheim, Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Ein echter „Turnaround“ sei binnen drei Jahren möglich, sagt der Neue in Stockdorf gegenüber der F.A.Z. Danach könne Webasto ein anderes Unternehmen sein als heute: „Die Zeiten des stabilen Wachstums in der Automobilindustrie sind vorbei, und wir müssen unsere Strukturen anpassen. Wir haben hier alle Geschäfts- und Produktbereiche auf den Prüfstand gestellt.“
Buchheims Sanierungskonzept, das er mit dem Restrukturierer Johann Stohner und dem neuen Finanzvorstand Jörg Bremer umsetzt, sieht nicht nur eine Neuaufstellung vor. Es geht auch um finanzielle Entlastung. Webasto hat Verbindlichkeiten von gut einer Milliarde Euro, und die Cashsituation ist äußerst angespannt. Noch immer fehlen 200 Millionen Euro, die zur Finanzierung des Restrukturierungsplans erforderlich sind. Der Betrag wird von den Gläubigerbanken aber nur dann zur Verfügung gestellt, wenn sie im Gegenzug Anteile der Eigentümerfamilien erhalten.
Ringen um die Treuhandlösung
Um eine solche Treuhandlösung wird seit Wochen gerungen. Eigentümer von Webasto sind die Familien Baier und Mey. Ein Urenkel des Firmengründers Wilhelm Baier sitzt im Aufsichtsrat. Zwar hatten die Familien in den vergangenen Jahren stets auf Gewinnausschüttungen verzichtet, doch das reichte zuletzt bei Weitem nicht, um die Finanzlücke zu schließen. In diesen Tagen laufen die Verhandlungen darüber auf Hochtouren.
Ungeachtet dessen arbeitet der Vorstand an der Sanierung des Familienunternehmens, das mit gut vier Milliarden Euro Umsatz und nach einem umfangreichen Stellenabbau mit immer noch mehr als 15.000 Beschäftigten zu den größeren Autozulieferern in Deutschland zählt. In der kleinsten und jüngsten Sparte, den Batteriesystemen, ist der Druck besonders groß. Hier wächst Webasto nach einem Großauftrag über Batteriemodule von Hyundai-Kia kontinuierlich mit den Koreanern und liefert zudem High-Performance-Batterien an mehrere Sportwagenhersteller. Allerdings ist die Sparte mit ihren 1000 Mitarbeitern zu klein und obendrein hoch defizitär. Auf dem hart umkämpften chinesischen Markt sei man zudem nicht wettbewerbsfähig, räumt der 57 Jahre alte Buchheim ein, der einige Jahre für den Autozulieferer Hella in der Volksrepublik gearbeitet hat. „Um das Batteriegeschäft zu skalieren, sind enorme Investitionen nötig, und dazu fehlt uns derzeit der finanzielle Spielraum. Deshalb machen wir das Geschäft partnerfähig.“
Standheizungsgeschäft wird wohl kleiner
Besser sieht es in der Sparte aus, die Heiz- und Kühllösungen für die Autoindustrie herstellt. Bei Standheizungen für Lastwagen bringt es Webasto auf einen Marktanteil von 90 Prozent, und auch in den Personenwagen kommen die meisten Zuheizer aus Stockdorf. Der Trend zur Elektromobilität hat den Markt jedoch völlig verändert. Deshalb müsse auch hier saniert werden, sagt Buchheim. „Mit dem Rückgang des Verbrennungsmotors wird auch unser Geschäft mit Standheizungen kleiner. Unsere Hochvoltheizer für Elektroautos gleichen das vom Volumen her nicht aus, deshalb konsolidieren wir derzeit unsere Thermoaktivitäten, und zwar an unserem Standort in Neubrandenburg.“
Und dann ist da noch das alles dominierende Autodachgeschäft, das fast vier Fünftel des Konzernumsatzes ausmacht. Lange hat Webasto vom China-Boom profitiert. Glaspanoramadächer sind bei chinesischen Kunden von BMW , Mercedes und Co. sehr beliebt, inzwischen bestellen sie diese vermehrt bei lokalen Automarken. Webasto lässt in der Volksrepublik in einem Dutzend Werken produzieren.
Mit dem Niedergang der deutschen Autohersteller schrumpften auch für Webasto die Margen und Erlöse. Immerhin ist die wichtigste Sparte Buchheim zufolge profitabel. „Mit unseren Dachsystemen sind wir Weltmarktführer und wollen das auch bleiben. Aber auch hier wollen wir uns verbessern und schneller werden. Ziel ist es, Projekte schon sechs bis neun Monate nach der Auftragserteilung in die Serie zu bringen.“
Bevor Buchheim im Frühjahr zu Webasto kam, hat der gebürtige Westfale für den norwegischen Autozulieferer Kongsberg Automotive gearbeitet. Der börsennotierte Komponentenhersteller muss die Transformation weg vom Verbrennungsmotor meistern. „Die Sanierung war eine andere, aber auch bei Kongsberg ging es um operative Verbesserungen sowie Portfolio-Transformation. Und grundsätzlich bin ich der Meinung, dass eine Sanierung mit Rücksicht auf die Mitarbeiter nicht länger als drei Jahre dauern darf. Bei Kongsberg ist uns das gelungen.“
Wie Kongsberg durchläuft jetzt Webasto eine Sanierung, an deren Ende der Autozulieferer im Jahr 2028 ganz anders dasteht als heute: „Wir haben in der Elektromobilität sehr viel Know-how aufgebaut. Aber es kann sein, dass Webasto dann ein reiner Dachspezialist ist.“ Auf die Frage, ob Webasto dann noch immer ein Familienunternehmen ist, antwortet Buchheim mit einem Satz: „Ich hoffe es!“