Stewart Rhodes ist der Gründer der rechten Miliz „Oath Keepers“. Er war am Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 beteiligt und wurde wegen aufrührerischer Verschwörung zu 18 Jahren Haft verurteilt. Todd und Julie Chrisley waren Immobilienunternehmer, deren Leben in einer Reality-TV-Serie begleitet wurde. Sie wurden wegen Bankbetrugs – 30 Millionen Dollar sollen sie sich erschlichen haben – zu zwölf beziehungsweise sieben Jahren Haft verurteilt. Scott Jenkins, ein früherer Sheriff aus dem Bundesstaat Virginia, soll Geschäftsleute für 75.000 Dollar zu Hilfssheriffs ernannt haben. Ein Gericht verurteilte ihn zu zehn Jahren Haft. Sie alle wurden dieses Jahr vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump begnadigt.
Der Akt, einem verurteilten Straftäter seine Strafe zu erlassen, hat tiefe historische Wurzeln. In der britischen Monarchie hatte der König als Ausfluss seines Gottesgnadentums das Recht, Strafen aufzuheben. Und das in einer Zeit, als die Todesstrafe auf wesentlich mehr Vergehen als heute angewandt wurde. Wie ein Gott konnte der Monarch über Leben und Tod entscheiden. Aus der britischen Tradition heraus nahmen auch die Väter der amerikanischen Verfassung das Begnadigungsrecht auf. Im zweiten Abschnitt des zweiten Artikels heißt es denn über die Befugnisse des Präsidenten: „ . . . er soll das Recht haben, außer in Fällen der Staatsanklage, Strafaufschub und Begnadigung für strafbare Handlungen gegen die Vereinigten Staaten zu gewähren.“ Damit sind Fälle gemeint, für die die Bundesjustiz zuständig ist.
Ein Wahlkampfversprechen an die Kapitol-Stürmer
Donald Trump hat in seiner ersten Amtszeit und mehr noch im Wahlkampf erkennen lassen, dass er gewillt ist, dieses Recht intensiv zu nutzen. Besonders die Aufarbeitung des Sturms auf das Kapitol verunglimpfte er immer wieder als „politische Justiz“. Er werde sich um die Verurteilten, die er auch als „Geiseln“ bezeichnete, kümmern, versprach er. Am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit nahm er denn er seinen schwarzen Stift zur Hand und setzte seine markante Unterschrift unter ein Dekret, mit dem er die fast 1600 Angeklagten komplett begnadigte und die Strafen von 14 Verurteilten so weit verkürzte, dass sie aus dem Gefängnis entlassen werden konnten.

Medienberichten zufolge war dieses Vorgehen unter Trumps Mitarbeitern umstritten. Noch kurz vor Trumps Amtseinführung sollen einige von ihnen versucht haben, die Fälle zu ordnen und verschiedene Gnadenakte zu erlassen. Diese Prüfung hätte aber wohl bis nach Trumps Amtseinführung gedauert. Der habe daraufhin ein Machtwort gesprochen und klargemacht, dass er auf eine Prüfung keinen Wert lege, sondern sämtlichen Angeklagten Straferlass gewähren wolle. Bis auf diejenigen Fälle, in denen Schuldsprüche wegen aufrührerischer Verschwörung ergangen waren, wurde das so ausgeführt. Trump stoppte damit die Bemühungen des Justizministeriums, die Vorgänge strafrechtlich aufzuarbeiten. Jene Beamten, die sich dabei hervorgetan hatten, wurden nach Trumps Amtsübernahme aus dem Ministerium entlassen.
In ihrer modernen Form gibt es verschiedene Gnadenakte des Präsidenten. Der umfassendste ist die volle Begnadigung (pardon). Hierbei wird die Strafe des Verurteilten aufgehoben, und er erlangt seine zivilen Rechte, zum Beispiel das Wahlrecht, zurück. Darunter steht die Strafverkürzung (commutation). Der Präsident hebt einen Teil der Strafe auf, die zivilen Rechte bleiben aber suspendiert. Unter diesen Punkt fällt auch die Möglichkeit des Präsidenten, finanzielle Strafen zu erlassen oder eingezogenes Vermögen zurückzuerstatten (remission of fines and forfeitures). Im Gegensatz zu einer Begnadigung kann eine Strafverkürzung nicht abgelehnt werden. Zu guter Letzt gibt es die Möglichkeit eines Aufschubs (reprieve). Die Ausführung einer Strafe wird also verzögert, beispielsweise um einen Fall noch einmal zu überprüfen.
Immer wieder umstrittene Begnadigungen in den USA
Auch Trumps Vorgänger seit der Unabhängigkeit im Jahr 1776 haben vom Begnadigungsrecht – mal mehr, mal weniger – Gebrauch gemacht. Der erste Präsident George Washington begnadigte beispielsweise die Anführer eines Aufstands, um die Gewalt zu beenden. Abraham Lincoln und sein Nachfolger Andrew Johnson begnadigten viele Soldaten, die im Bürgerkrieg auf der Seite der Konföderierten gekämpft hatten. Die bekannteste und eine der umstrittensten Begnadigung war wahrscheinlich jene des vormaligen Präsidenten Richard Nixon durch seinen Nachfolger Gerald Ford. Dieser gewährte Nixon Schutz vor Strafverfolgung für Straftaten, die er gegen die Vereinigten Staaten begangen haben könnte, besonders jene in Verbindung zum Watergate-Skandal.
Auch sonst gab es immer Gnadenakte von amerikanischen Präsidenten, die kritisiert wurden. Bill Clinton gewährte am letzten Tag seiner zweiten Amtszeit dem Geschäftsmann Marc Rich, der unter anderem wegen Steuervergehen angeklagt worden war, einen umfassenden Straferlass. Dessen Frau hatte hohe Summen an die Demokratische Partei, an Clintons Präsidentenbibliothek sowie an die Wahlkampagne von Hillary Clinton gespendet.
Auch Donald Trump sorgte schon in seiner ersten Amtszeit mit Begnadigungen für Kontroversen. Er gewährte mehreren früheren Mitarbeitern Straferlass, die im Zusammenhang mit der Untersuchung einer möglichen Einflussnahme Russlands auf die US-Wahl 2016 verurteilt worden waren: Sein langjähriger Vertrauter Roger Stone wurde wegen Zeugenbeeinflussung und Falschaussage vor dem Kongress verurteilt, Trumps früherer Wahlkampfmanager Paul Manafort wegen Finanzvergehen, und sein erster Sicherheitsberater Michael Flynn und sein früherer Kampagnenberater George Papadopoulos hatten zugegeben, das FBI belogen zu haben.
Joe Biden begnadigte seinen Sohn
Auch Joe Biden produzierte mit Begnadigungen seine eigenen Schlagzeilen: So gewährte er an einem seiner letzten Tage im Amt rund 2500 Strafverkürzungen für Menschen, die wegen gewaltloser Rauschgiftdelikte verurteilt worden waren – so viele Gnadenakte an einem Tag wie kein anderer Präsident. Außerdem begnadigte er seinen Sohn Hunter und gewährte jenen Straferlass, denen Trump angedroht hatte, sie juristisch verfolgen zu wollen, wenn er wieder im Weißen Haus sein werde. Im ersten Fall schrieb Biden zur Begründung, er habe zwar Vertrauen in die Justiz, doch hätten seine politischen Gegner unfair Druck aufgebaut und Einfluss genommen, was zu Fehlurteilen geführt habe. Hunter Biden war wegen falscher Angaben beim Kauf einer Waffe verurteilt worden, er hatte sich zudem in einem Prozess wegen Steuervergehen schuldig bekannt.

Im zweiten Fall ging es um den Schutz vor einer möglichen Strafverfolgung: Trump hatte im Wahlkampf gedroht, er werde juristisch gegen seine Feinde vorgehen – also Leute, die sich um die Aufarbeitung des Sturms auf das Kapitol und Trumps Verwicklung darin bemüht hatten, etwa die republikanische Abgeordnete Liz Cheney. Als Feinde sah er aber auch frühere Offizielle, die ihm widersprochen beziehungsweise versucht hatten, ihn einzuhegen, etwa der frühere Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, General Mark Milley, und der frühere Chef der Gesundheitsbehörde CDC, Anthony Fauci.
Trump hatte im Wahlkampf seinem Hass gegen diese Personen immer wieder Ausdruck verliehen und gefordert, sie müssten vor Gericht gestellt werden. Außerdem hatte er sich mit Leuten umgeben, die diese Ansicht teilten. Joe Biden sah es deshalb als notwendig an, diese Leute vor einer möglichen Strafverfolgung zu schützen – er gewährte ihnen vorab Begnadigungen. Denn die Ermittlungen oder strafrechtliche Verfolgung alleine könne bereits „Ansehen und Finanzen irreparabel beschädigen“, schrieb Biden zur Begründung.
Begnadigungsbeauftragter mit zweifelhafter Vergangenheit
Trumps Einstellung zur Justiz zeigt sich auch in der Berufung von Ed Martin zum Begnadigungsbeauftragten im Justizministerium. Normalerweise sitzt auf dem Posten ein Karrierebeamter. Dieser prüft in einem oft länger als ein Jahr dauernden Prozess die eingehenden Gesuche um einen Gnadenakt des Präsidenten. Wenn er eine Empfehlung aussprechen kann, wird sie an das Weiße Haus weitergeleitet.
Martin hat sich einen Namen gemacht als Unterstützer der Kapitolstürmer. Er hat Geld für deren Verteidigung gesammelt und einige als Anwalt vor Gericht vertreten. Martin war am 6. Januar 2021 am Kongress zugegen und beschrieb die Vorgänge später als „Mardi Gras“ – den Fasching in New Orleans. Nach der Begnadigung von Sheriff Scott Jenkins, einem lautstarken Unterstützer Trumps, schrieb Martin auf X: „Kein MAGA wird zurückgelassen“ – er werde sich also um die Anhänger der Trump-Bewegung kümmern. Auf einen Artikel der „Washington Post“, in dem dieser Ausspruch problematisiert wurde, weil es unter Trump dann ein zweigleisiges Justizsystem geben könne, reagierte Martin auf der Plattform X mit den Worten: „Das ist kein Problem: Amerika zuerst!“ Auch forderte er, es müsse Untersuchungen geben gegen die von Biden vorab Begnadigten, allein um sie zu „beschämen“.
Trump hat nicht nur im Justizministerium, sondern auch im Weißen Haus eine Begnadigungsbeauftragte ernannt. Alice Marie Johnson saß mehr als 20 Jahre im Gefängnis wegen Geldwäsche und Rauschgiftvergehen. Obwohl es ihre erste Straftat und diese gewaltlos war, wurde sie zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit auf Bewährung plus 25 Jahren verurteilt. Trump begnadigte sie 2020 und gab ihr für den Rest seiner ersten Amtszeit den Posten, den sie jetzt wieder innehat. Johnson setzte sich während der vergangenen vier Jahre für eine Reform der Strafjustiz ein, damit Leute wie sie nie mehr zu solch harschen Haftstrafen verurteilt würden. Nun soll sie Fälle identifizieren, in denen nach ihrer Auffassung zu hart geurteilt wurde, und diese – gemeinsam mit Handlungsempfehlungen – dem Präsidenten vorlegen.
Wer steht bei Trump in der Gunst?
Schon die Art und Weise, wie es zu Johnsons Begnadigung kam, zeigt allerdings, dass Trump sich kaum an vorgegebene Abläufe hält. Johnson hatte eine starke Fürsprecherin in Kim Kardashian. Der Reality-TV-Star hatte eine Dokumentation über sie gesehen und setzte sich danach persönlich bei Trump für ihre Begnadigung ein. Einer Untersuchung des juristischen Blogs Lawfare zufolge, kamen in Trumps erster Amtszeit lediglich 25 seiner 238 Gnadenakte (elf Prozent) durch den Begnadigungsbeauftragten zustande. Der Rest war entweder Belohnung für Loyalität dem Präsidenten gegenüber oder beruhte auf Empfehlungen, die private Personen – Fernsehstars, Fernsehmoderatoren, Geschäftsleute – ihm gaben.
Stewart Rhodes, der Gründer der rechten „Oath Keepers“, fällt dabei unter die erste Kategorie, die Immobilienunternehmer Chrisley und Sheriff Jenkins unter die zweite. Bei den Chrisleys war es deren Tochter, die sich in den MAGA-Zirkel stürzte und damit Trumps Aufmerksamkeit erregte. Sie durfte sogar eine Rede bei Trumps Nominierungsparteitag halten. Die Begnadigung von Jenkins wiederum soll auf einer Empfehlung Roger Stones beruhen, den Trump ja selbst einst begnadigt hatte.
Seine bisherigen Gnadenakte zeigen, dass Trump gewillt ist, Leute zu begnadigen, die entweder etwas in seinem Namen getan haben, sich wie er darauf berufen, Opfer einer politischen Justiz zu sein, sich als seine Anhänger inszenieren, oder aber für ähnliche Vergehen verfolgt wurden, für die auch er vor Gericht stand. Sheriff Jenkins nannte Trump ein „Opfer“, das „von den linksradikalen Monstern verfolgt“ und „tot zurückgelassen“ worden sei. Jenkins sei „durch die Hölle gezerrt“ worden. Trump mischt sich auch in laufende Verfahren ein: So spekulierte er öffentlich, er könnte die Männer begnadigen, die 2020 geplant hatten, die demokratische Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, zu entführen. Auch im Fall des Rappers Sean Combs, der sich in New York wegen Sexualvergehen verantworten muss, hat Trump öffentlich über einen möglichen Straferlass sinniert.
Und auch über den wohl ultimativen Gnadenakt hat er schon gesprochen: In seiner ersten Amtszeit sagte er, er habe das Recht, sich selbst zu begnadigen. Dies ist unter Juristen umstritten. Befürworter sagen, die Verfassung schränke das Begnadigungsrecht des Präsidenten nicht ein. Eine Ausarbeitung des Rechtsberaters des Weißen Hauses aus dem Jahr 1974 – kurz vor dem Rücktritt Richard Nixons – kommt allerdings zu dem Schluss, dass ein Präsident sich nicht selbst Straferlass gewähren könne, aus der fundamentalen Regel heraus, dass niemand sein eigener Richter sein könne.