Vor fünf Jahren feierten in der Berliner Landespolitik SPD, Grüne und Linkspartei einen ihrer vermeintlich größten Erfolge: die Einführung eines Mietendeckels, der für jede Wohnung je nach Baujahr, Lage und Ausstattung eine Obergrenze für die Miete festlegte. Ein Jahr später folgte die größte Niederlage: Das Bundesverfassungsgericht erklärte das umstrittene Gesetz für nichtig. Nun nimmt die Berliner SPD einen neuen Anlauf, um die Mieten in der Hauptstadt per Gesetz zu deckeln.
Noch in diesem Jahr soll das Abgeordnetenhaus über den Entwurf für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz abstimmen, das dem Senat die Möglichkeit zur Enteignung von Wohnungs-, Energie- und anderen Unternehmen der „Daseinsvorsorge“ geben soll. Vor der Vergesellschaftung soll der Staat nach Aussage von SPD-Fraktionschef Raed Saleh zu „milderen“ Instrumenten greifen – etwa einem Preisdeckel für fünf Jahre.
Auch auf Bundesebene stehen die Zeichen auf mehr Regulierung. Nachdem die Ampelkoalition ihr Ziel, 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu ermöglichen, weit verfehlte, steht ebenfalls die Mietenpolitik im Fokus der von der SPD geführten Ministerien für Wohnen und Justiz. Der Bundestag hat schon beschlossen, die Mietpreisbremse bis Ende 2029 zu verlängern. Das Gesetz gibt den Ländern die Möglichkeit, vorzuschreiben, dass in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete in neuen Verträgen höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. In bestehenden Mietverträgen ist die ortsübliche Vergleichsmiete die Obergrenze für Erhöhungen.
Justizministerin Stefanie Hubig hat angekündigt, dass sie die Mietpreisbremse noch nachschärfen will. Der Umgehung mit möblierten Wohnungen will sie „einen Riegel vorschieben“. Die Mietpreisbremse gilt grundsätzlich auch für möblierte Wohnungen, allerdings muss der für die Möblierung erhobene Zuschlag nicht separat ausgewiesen werden. Manche Vermieter nutzen diese Intransparenz, um eine unzulässig hohe Mietsteigerung in dem Möblierungszuschlag zu verstecken. Das will Hubig ändern. Zudem möchte die SPD-Politikerin die Jahresgrenze verschieben. Derzeit gilt die Mietpreisbremse für vor dem 1. Oktober 2014 fertiggestellte Wohnungen. Hubig will auch die Baujahre bis 2019 einbeziehen, stößt damit aber auf Widerstand der Union.
Rückendeckung bekommt die Justizministerin von Verena Hubertz, der Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen. „Ich unterstütze den Vorschlag meiner Kabinettskollegin Stefanie Hubig, das Schlupfloch ‚möbliertes Wohnen‘ bei der Mietpreisbremse schließen zu wollen“, sagte Hubertz. „Dort, wo ich für den Zusatz ‚möbliert‘ bezahle, muss er auch sichtbar sein, und ich muss einen echten Wohnwert bekommen.“
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hält wenig von einer immer strengeren Mietenregulierung. In einem Sonderkapitel ihres jüngsten Gutachtens rieten die Ökonomen der Politik, vor allem darauf hinzuarbeiten, dass das Angebot an Wohnraum steigt, statt die Nachfrage durch Preisbremsen oder -deckel zu subventionieren. „Am Wohnungsmarkt scheint der Kompass komplett verloren zu gehen“, sagt Ratsmitglied Veronika Grimm. Die Debatte um die Mietpreisbremse schrecke private Investoren ab, die das Gros der Wohnungen in Deutschland anböten. „Die Politik befeuert hier eine Interventionsspirale, aus der man immer schwieriger wieder herauskommen wird.“
„Wir leisten uns auf dem Wohnungsmarkt eine spätrömische Dekadenz“
Es gebe in Deutschland – insbesondere in den Großstädten – zwei Probleme, sagt Reiner Braun, Vorstandsvorsitzender des Analysehauses Empirica. „Erstens: Wir haben Wohnungsknappheit. Zweitens: Wir betreiben Wohnraumverschwendung.“ Die Ursache sieht Braun vor allem in den „politisch nach unten gedrückten“ Mietspiegeln. Durch die Art der Auswahl der darin berücksichtigten Wohnungen werde die ortsübliche Vergleichsmiete künstlich niedrig gehalten. Die Kluft zwischen Alt- und Neuverträgen werde immer größer.
Für Letztere gilt zwar auf dem Papier vielerorts die Mietpreisbremse. In der Realität bezahlen viele Wohnungsuchende aber deutlich höhere Preise, um an eine Wohnung zu kommen. Die Folge dieser Zweiteilung des Wohnungsmarkts: Die Menschen setzen alles daran, nicht umzuziehen. Paare bleiben auch nach dem Auszug der Kinder in der großen Wohnung, 40-Jährige halten immer noch ihr Ein-Zimmer-Apartment am Studienort von einst, für gelegentliche Übernachtungen. „Wir leisten uns auf dem Wohnungsmarkt eine spätrömische Dekadenz“, findet Braun.
Am Beispiel von Berlin zeigt eine Empirica-Analyse die enorme Spreizung der Mieten. In zwölf Jahre alten oder älteren Verträgen ist die mittlere Miethöhe zwischen 2014 und 2023 demnach nur geringfügig gestiegen, von sechs auf 7,70 Euro Kaltmiete je Quadratmeter. Wohnungsuchende sahen sich dagegen 2023 mit einer Quadratmetermiete von 13 Euro konfrontiert (2014: 8,05 Euro). In Frankfurt am Main reichte 2023 die Spanne von 8,70 Euro für Bestandsmieter mit einem zwölf Jahre alten oder älteren Vertrag bis zu 14,73 Euro für Neumieter, in München von 9,90 Euro bis 20 Euro. Noch deutlich höher als die Mieten für Bestandswohnungen liegen die für Wohnungen in Neubauten.
Die Zahlen von Empirica kombinieren die Daten aus dem Mikrozensus und jene aus Immobilieninseraten. Allein Letztere zu betrachten, hält Braun für nicht repräsentativ, weil günstigere Wohnungen von privaten und kommunalen Anbietern gar nicht erst im Netz inseriert, sondern auf direktem Weg vermittelt würden. Politisch besser instrumentalisieren lassen sich indes die besagten Angebotsmieten aus dem Internet – so wie jüngst in einer Anfrage der Linkspartei an das Bauministerium. Das Haus von Hubertz sieht demnach die durchschnittliche Angebotsmiete in Berlin – Neu- und Bestandsbauten zusammen betrachtet – derzeit bei 17,64 Euro je Quadratmeter kalt. 2015 seien es noch 8,52 Euro gewesen. Spitzenreiter in der Aufstellung ist München mit aktuell 21,88 Euro, auf dem dritten Platz liegt Frankfurt mit 16,19 Euro.
Die Linke fordert eine noch strengere Mietenregulierung als die SPD, inklusive einer Senkung überhöhter Bestandsmieten, wie sie einst auch Teil des Berliner Mietendeckels war. Der Fokus der Partei auf das Mietthema gilt als Haupttreiber, warum die Linke in der Hauptstadt bei der Bundestagswahl mit knapp 20 Prozent der Zweitstimmen die stärkste Kraft wurde. Die Berliner Grünen versuchen derweil, mit Vorschlägen wie einer verpflichtenden Sozialwohnungsquote für Vermieter verloren gegangenes Terrain zurückzuerobern.
Auf Bundesebene hat die schwarz-rote Koalition neben der Verlängerung der Mietpreisbremse auch den „Bauturbo“ auf den Weg gebracht. Das im Wesentlichen schon von der Ampelkoalition vorbereitete Gesetz sieht vor, dass Städte mit angespanntem Wohnungsmarkt von den langwierigen Bebauungsplanverfahren abweichen können, um den Wohnungsbau zu beschleunigen. Genehmigungen sollen so binnen zwei Monaten erteilt werden können. Inwieweit die Kommunen davon Gebrauch machen werden, ist jedoch offen. „Der Bauturbo hilft denen, die bemüht sind“, konstatiert Braun von Empirica. „Aber in Städten wie Köln oder Bonn, die kaum Bauland ausweisen, wird er wenig nutzen.“