Giulia Gwinns plötzlicher Ausfall stellt die DFB-Frauen vor unerwartete Herausforderungen. Nun rückt vor allem eine Spielerin in den Fokus.
Als DFB-Kapitänin Giulia Gwinn im EM-Auftaktspiel gegen Polen (2:0) nach 40 Minuten verletzt vom Platz musste, war das für die deutsche Frauen-Nationalmannschaft und Fans zunächst ein Schock. Doch was folgte, war ebenso überraschend wie bemerkenswert: Auf der rechten Abwehrseite übernahm Carlotta Wamser – eine Spielerin mit bis dahin erst zwei Länderpartien in ihrer Vita.
Nach einem überzeugenden Auftritt bei ihrem EM-Debüt wird die 21-Jährige voraussichtlich auch am Dienstag wieder das Vertrauen erhalten und im zweiten Gruppenspiel gegen Dänemark (ab 18 Uhr im Liveticker bei t-online) von Beginn an auflaufen. Bundestrainer Christian Wück sagte im Vorfeld der Partie über die Newcomerin: “Sie hat bewiesen, dass sie bereit ist, eine Europameisterschaft zu spielen.”
Spannend: “Calle”, wie Carlotta Wamser im Team auch genannt wird, ist eigentlich keine klassische Außenverteidigerin wie Gwinn. Ihre noch junge Karriere begann im offensiven Mittelfeld, führte über die Außenbahn bis in die Sturmspitze. Nun könnte sie zur Entdeckung der EM werden – aber eben auf einer noch mal anderen Position.
Ganz neu ist die Rolle als Rechtsverteidigerin für Wamser aber nicht. Umgeschult wurde die gebürtige Herforderin bereits in der vergangenen Saison bei Eintracht Frankfurt. Zur neuen Spielzeit wechselt sie zu Bayer Leverkusen. Fest steht: Der Werksklub kann sich auf eine polyvalente Nationalspielerin freuen.
Wamser debütierte bei den DFB-Frauen erst vor Kurzem im Rahmen der Nations League. Bundestrainer Wück setzte sie zunächst im Mai gegen die Niederlande hinten rechts ein (4:0). Wenige Tage darauf, beim klaren Sieg gegen Österreich (6:0), testete der 52-Jährige die temporeiche Spielerin auf dem Flügel. Das Fazit: Wamser hinterließ auf beiden Positionen einen starken Eindruck.
Die langjährige Junioren-Nationalspielerin legt eine flexible Spielweise an den Tag. Sie überzeugt offensiv beispielsweise in Eins-gegen-eins-Duellen und kann im Gegenzug durch ihre hohe Geschwindigkeit defensiv hervorragend absichern. Ausdruck von Wamsers spielerischer Vielfältigkeit: Gegen Polen war sie an beiden deutschen Treffern beteiligt – und unterband gleich mehrere gegnerische Konter.
“Ich hätte nie gedacht, dass mir Verteidigen Spaß macht”, sagte Wamser bereits im Vorfeld des Turniers zu t-online. “Aber es macht mir sogar sehr viel Spaß.” Es sei eine Umstellung gewesen, von der offensiven Position in die Defensive zu rücken. Aber: Wamser, die bis zum Alter von 16 Jahren in Jungenteams gespielt hat, erklärte: “Es ist gut, dass ich nicht so viel nachdenke. Ich bin relativ kopflos – und irgendwie klappt es.”
Ihr Spielstil komme dabei zu “hundert Prozent” von ihrer Erfahrung mit den Jungs im nordrhein-westfälischen Brakel. Dort habe Wamser gelernt, sich mit Körpereinsatz durchzusetzen, und die Schnelligkeit und das Spielverständnis mitgenommen.
Durch das verletzungsbedingte EM-Aus von Giulia Gwinn (Innenband) rückt sie nun stärker in den Fokus – und das auf der ganz großen internationalen Bühne. Teamkollegin Laura Freigang, die Wamser bereits aus gemeinsamer Zeit in Frankfurt kennt, lobte die hohe sportliche Qualität ihrer Mannschaftskollegin: “Die Außenverteidigerposition spielt sie noch gar nicht so lange, aber auf magische Weise verbindet diese all ihre Stärken”, sagte sie nach dem Polen-Spiel. Weil Wamser lange als Stürmerin agierte, “hat sie auch das Auge nach vorne”, so Freigang weiter.