Seit Freitagabend ist der Bericht Margaretha Sudhofs (SPD) über die Maskeneinkäufe zu Beginn der Corona-Pandemie auch ohne Schwärzungen öffentlich. Der frühere Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte Sudhof damit beauftragt, den Maskeneinkauf unter seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU) zu untersuchen. Am Dienstag ließ sich Sudhof selbst vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages ein. Was folgt aus den Erkenntnissen für den heutigen Unionsfraktionschef Spahn, der sich gegen Kritik wehrt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Welche Stellen hat das Ministerium geschwärzt?
Zunächst lag Sudhofs Bericht den Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Bundestages nur mit Schwärzungen vor. Das nährte bei Oppositionspolitikern den Verdacht, die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) habe ihren Parteifreund Jens Spahn mit den Schwärzungen schützen wollen. In vielen Fällen wurden zum Beispiel Stellen geschwärzt, die zeigten, wie Spahn direkt mit Unternehmen kommunizierte, die von seinem Ministerium teilweise weit über den üblichen Marktpreisen bezahlt wurden und mangelhaft lieferten. Das gilt etwa für das Schweizer Unternehmen Emix, einen großen Krisenprofiteur, gegen den in der Schweiz Prozesse wegen Wucher laufen.
Das Kapitel zu Spahn und Emix ist in der ersten Fassung vollständig geschwärzt, die jetzt nachlesbaren Stellen belegen, wie eng der Draht zwischen Minister und Unternehmen war. So verschickte Spahn dem Bericht zufolge eine Zusage für einen Vertrag von seiner Abgeordneten-Mailadresse ab. Der CDU-Politiker war direkt in Geschäfte involviert, die sich finanziell für den Bund als teuer erwiesen. Später ist das Bundesgesundheitsministerium mit Emix trotz mangelhafter Lieferungen offenbar kulant umgegangen. Die eigene Position, dass fast die Hälfte der Emix-Masken mangelhaft sei, gab das BMG demnach auf. Es übernahm die Position des Unternehmens, nach der dies rund ein Viertel der Masken betreffe. Auch gewährte das BMG Emix mehrere Möglichkeiten für Nachlieferungen. Bei der initialen Vermittlung des Geschäfts hatte sich die CSU-Politikerin Andrea Tandler in Höhe einer mittleren zweistelligen Millionensumme bereichert. Inzwischen ist sie in diesem Zusammenhang wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden.
Warken sagte am Montag im ZDF, sie habe die Schwärzungen nicht vorgenommen, um Spahn zu schützen. Es seien neben Persönlichkeitsrechten auch Rechte Dritter und laufende Verfahren zu berücksichtigen gewesen. In solchen Fällen besteht ein juristisches Risiko, wenn Interna wie im Fall des Berichts öffentlich werden. So können sich aus den angeführten Zitaten des früheren Ministers Spahn etwa Ansprüche für Unternehmen ergeben, die weniger vorteilhaft behandelt worden sind. Die Frage, ob weniger Schwärzungen ohne höhere Risiken vor Gericht möglich gewesen wären, ist selbst innerhalb der Opposition umstritten.
Die geschwärzten Stellen hatten verborgen, wie eng er in einige Maskenbestellungen eingebunden war. Weitgehend lesbar war bereits in der geschwärzten Fassung ein Vermerk, aus dem hervorgeht, dass Spahn die Maskeneinkäufe Anfang März 2020 schon eingeleitet hat, bevor es eine Haushaltsermächtigung dafür gab. Begründet wurde dies demnach mit einer mündlichen Einigung zwischen Spahn und dem damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).
Wurden Spahns Parteifreunde direkt begünstigt?
Sudhof nennt in ihrem Bericht keine Namen von möglicherweise Begünstigten. In einem Kapitel zu zweifelhaften Vergleichsschließungen mit Maskenhändlern wie Emix, aus dessen ungeschwärzter Form die F.A.Z. schon vor einem Monat berichtet hatte, wird auch das Berliner Unternehmen Areal Invest XXXI. Grundstücksgesellschaft mbH erwähnt. Diesem habe das BMG unter Spahn in einem Vergleich „eine Abgeltung in Höhe von 17.999.000 EUR zugestanden“, schreibt Sudhof. „Eine entsprechende Gegenleistung oder Rechtsgrundlage (wie zurechenbare Kosten aus Verzugsschaden o.ä.) erschließt sich […] nicht.“ An Areal war der Berliner CDU-Bundestagskandidat Niels Korte beteiligt. Korte zog 2021 seine Bundestagskandidatur nach Vorwürfen zurück, er habe zweifelhafte Maskenvereinbarungen mit dem BMG geschlossen.
Wodurch sieht sich Spahn entlastet?
Der frühere Minister ist der Ansicht, dass Sudhof ihn entlastende Informationen nicht ausreichend berücksichtigt. Spahn argumentiert, im Fall Emix sei ein Vermerk seines Ministeriums aus dem Frühjahr 2021 von Sudhof missachtet worden. In diesem heißt es, dass Emix „einer der wenigen Lieferanten war, welcher […] verlässlich, kurzfristig, termingerecht und in solider Qualität liefern konnte“. Sudhof thematisiert dies nur am Rande und stützt sich in ihrem Bericht auf die nachträgliche Beurteilung, wonach Emix teure Masken in mangelhafter Qualität geliefert habe. Auch wehrt sich das Bundeswirtschaftsministerium dagegen, von Sudhof falsch zitiert worden zu sein. Das Ministerium habe sich, anders als im Bericht dargestellt, nicht dafür ausgesprochen, die Preisprüfungsbehörden in der Maskensache einzuschalten.
Zuvor hatte Warken bereits angeführt, dass Sudhof eine Aufstellung der Generalzolldirektion zu damaligen Maskenkosten ignoriert habe, obgleich diese ihr nachweislich vorlag. Dort war von Stückpreisen von 6,02 Euro die Rede, weit mehr als die als „überteuert“ angeprangerten Werte, die Spahn festgelegt hatte. Auch hinsichtlich des in Spahns Nachbarwahlkreis beheimateten Logistikers Fiege hat Sudhof offenbar nicht alle Informationen berücksichtigt. Durch Zitat aus der Mail eines Abteilungsleiters im Innenministerium – dem das Beschaffungsamt unterstellt ist – erweckt Sudhof den Eindruck, Spahns federführender Abteilungsleiter habe den Kollegen ohne ersichtlichen Grund „händeringend [gebeten], die F[irm]a Fiege als Logistiker zu beauftragen“. Tatsächlich steht in der Mail, die der F.A.Z. vollständig vorliegt, zur Begründung, dass sich bei Fiege „im Gegensatz zu anderen Unternehmen“ der Chef selbst um die Sache kümmere. Auch sei Fiege „sofort bereit, tätig zu werden. Dort werden jetzt bereits Waren eingelagert – noch ohne Auftrag.“ In Spahns Umfeld ist man zudem grundsätzlich irritiert davon, dass Sudhof den früheren Minister für ihren Bericht nicht selbst befragt hat.
Ist Sudhofs Bericht politisch gefärbt?
Vonseiten der CDU wird die Qualität des Sudhof-Berichts seit Wochen in Zweifel gezogen. Warken betonte im Juni, dass die Ermittlung von ihrem SPD-Vorgänger Karl Lauterbach persönlich in Auftrag gegeben worden sei – nicht etwa von der Bundesregierung oder dem Bundestag als Staatsorgan. Der Bericht enthält Stellen, die in einem politischen Duktus verfasst sind: „Fehlendes ökonomisches Verständnis und politischer Ehrgeiz können aber, wie in diesem Fall, dazu führen, dass nicht als Team ‚Staat‘, sondern als Team ‚Ich‘ gehandelt wird“, heißt es darin etwa über Spahn. Auch von einem „Drama in Milliarden-Höhe“ ist die Rede. Andererseits trägt der Bericht kleinteilig das Geschehen in Spahns Ministerium zusammen. Sudhof hat sich über mehrere Monate mit vielen Mitarbeitern des Ministeriums unterhalten.
Was ist über Sudhofs Äußerungen am Dienstag bekannt?
Der Haushaltsausschuss hat nicht öffentlich getagt. In dem sogenannten Fachgespräch sagte Sudhof dem Vernehmen nach, dass es ihr Auftrag gewesen sei, mit dem Bericht die Ausgangslage für den Bund für die vielen Klagen von Maskenhändlern zu verbessern. Das Hauptziel habe sie darin gesehen, die Schadenersatzforderungen der klagenden Unternehmen gegen die Bundesregierung abzuwehren oder zu verringern. Es war von „Prozessoptimierung“ und einer „veränderten Prozesstaktik“ die Rede. Tatsächlich trennte sich das Ministerium von früheren Anwaltskanzleien und verwies darauf, dass aufgrund möglicher Verstöße des Bundes gegen das Preisrecht in der frühen Corona-Phase die damals geschlossenen Lieferverträge nichtig sein könnten.
Zu hören ist, dass sich Sudhof inhaltlich gegen Darstellungen gewehrt habe, in denen ihre Leistungen in der Aufklärung der Maskenkäufe relativiert werden. Um welche Aspekte es an dieser Stelle ging, war nicht zu erfahren. Teilnehmer der Ausschusssitzung am Dienstag wollten die Angaben nicht bestätigen und verwiesen auf ihre Verschwiegenheitspflicht. „Die Grünen haben keine Nahrung finden können für ihre Verschwörungstheorien“, sagte der Abgeordnete Christian Haase der F.A.Z. „Es gibt auch nach dem Gespräch mit Frau Sudhof keine Hinweise auf persönliche Verfehlungen von Jens Spahn“, versicherte Haase.
Die Grünenabgeordnete Paula Piechotta zeigte sich nach der Sitzung ebenfalls zufrieden, stellte deren Verlauf aber anders dar. „Es steht Aussage gegen Aussage, und entweder haben Jens Spahn und Nina Warken gelogen oder Frau Sudhof“, sagte sie. Auf Nachfrage der F.A.Z. spezifiziert sie mit Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht nicht, in welchem Punkt sich die Darstellungen widersprochen hätten. „Ein Untersuchungsausschuss wird mit jedem Tag wahrscheinlicher“, sagte sie. „Es geht um Milliarden an Steuergeld, die wir immer noch retten müssen.“
Kommt es zu einem Untersuchungsausschuss?
Der Vorteil wäre aus Sicht von Grünen und Linken, dass Personen, die nah dran waren an den Maskeneinkäufen, ohne große Hürden zu öffentlichen Aussagen gebracht werden könnten, so zum Beispiel auch die Unternehmer selbst. Auch Akten könnten in einem Untersuchungsausschuss einfacher angefragt werden. Jens Spahn müsste unter Eid aussagen. In regulären Ausschusssitzungen ist die Aufklärung komplizierter, Sudhof etwa benötigte eine Genehmigung des Gesundheitsministeriums, um unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen zu dürfen.
Weil Grüne und Linke eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen und nicht damit zu rechnen ist, dass die Union sich an der Errichtung eines solchen Ausschusses beteiligt, sind sie auf die SPD angewiesen. Bei den Sozialdemokraten haben sich Gesundheitspolitiker durchaus kritisch zu den Vorgängen geäußert, die Haushaltspolitiker aber hielten sich bislang eher zurück. Fraktionschef Matthias Miersch hatte im Vorfeld der Sitzung am Dienstagabend gesagt, er gehe davon aus, dass alle Beteiligten ein großes Interesse haben, die „größtmögliche Transparenz“ herzustellen, sodass sich „am Ende die Diskussion über einen Untersuchungsausschuss erledigt“.