Die Gründungsaktivität in Deutschland befindet sich auf Erholungskurs. Im ersten Halbjahr dieses Jahres entstanden 1500 neue Start-ups – neun Prozent mehr als im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Handelsregisterauswertung des Bundesverbands Deutsche Startups gemeinsam mit der Datenbank Startupdetector hervor. Als Start-ups gelten dabei nur neue Unternehmen mit einem potentiell skalierbaren Geschäftsmodell auf Basis eines selbst entwickelten Produkts. Handwerker, Gastronomen oder auch reine IT-Dienstleister fallen also nicht darunter.
Setzt sich der Trend fort, steuert die Branche wieder auf Gründungszahlen wie zur Corona-Pandemie zu. Im Jahr 2021 war die Zahl der Start-up-Neugründungen auf fast 3200 gestiegen. Das Jahr gilt in der Branche aber als Ausreißer. In den Jahren 2020 und 2021 erhielten auch Gründer ohne echte Geschäftsperspektiven, angekurbelt durch die niedrigen Zinsen, leicht zweistellige Millionensummen zu hohen Bewertungen. Besonders Lieferdienste und Onlinehändler profitierten zudem stark von der Pandemie. Mit den steigenden Zinsen und ohne den Rückenwind durch die Pandemie gingen die Investitionen in Start-ups aber stark zurück. Parallel dazu knickte das Gründungsgeschehen im Jahr 2022 deutlich ein und konnte sich auch 2023 nicht erholen. 2024 markierte eine Trendwende, die sich nun fortzusetzen scheint.
„Es klingt abgedroschen, aber Krisenzeiten sind auch Gründungszeiten“, sagt Benedict Kurz, Gründer der digitalen Lern-App Knowunity und Vorstandsmitglied des Start-up-Verbands. In den Vereinigten Staaten seien beispielsweise während der Finanzkrise Uber und Airbnb entstanden. „In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit sind talentierte Menschen womöglich offener, ihre sicher geglaubten fixen Jobs zu verlassen und eine eigene Idee zu verfolgen, weil die Alternativen nicht mehr ganz so rosig sind.“
KI macht das Gründen leichter
Kurz sieht aber auch einen strukturellen Trend, der die Neugründungszahlen nachhaltig ankurbeln werde. Durch Künstliche Intelligenz (KI) seien die Einstiegshürden, ein Start-up zu gründen, deutlich gesunken. Mit KI-Werkzeugen wie Lovable ließe sich sehr schnell ein erstes Produkt oder eine erste App bauen. „Es braucht kein riesiges Entwicklerteam und keine großen Finanzierungen mehr, um schnell zu testen, ob der Markt Interesse an einer Idee hat“, sagt Kurz.
Das aktuelle Wachstum stammt vor allem aus drei Bundesländern. In Sachsen stiegen die Neugründungen im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2024 – von niedriger Basis – um 71 Prozent auf 60. Das Bundesland gilt auch wegen seiner starken Universitäten inzwischen als guter Standort für Deeptech-Start-ups, die an forschungsintensiven Lösungen für komplexe Probleme arbeiten. Bayern legte vor allem durch München angetrieben um 23 Prozent auf 343 Neugründungen zu, Nordrhein-Westfalen um 16 Prozent auf 281. Ohne diese drei Bundesländer wäre die Gründungsaktivität in Deutschland sogar um ein Prozent gesunken. Die Gründerhauptstadt Berlin stagnierte fast mit knapp 248 Neugründungen, liegt mit 6,7 Start-up-Neugründungen je 100.000 Einwohnern in der Pro-Kopf-Rangliste aber vor Hamburg und Bayern immer noch deutlich an der Spitze.
München ist die Gründungshauptstadt
Nach Städten sortiert liegt München mit 13,5 Neugründungen je 100.000 Einwohnern an der Spitze, gefolgt von Heidelberg mit einem Wert von 13,4 und Berlin mit 13,2. Hotspots wie Berlin und München seien für ein lebendiges Start-up-Ökosystem weiterhin zentral, sagt Felix Engelmann, Mitgründer von Startupdetector. Doch auch jenseits dieser Zentren sehe er eine positive Dynamik, vor allem an starken Forschungsstandorten. „Wir sind heute breiter aufgestellt und heben dadurch zusätzliche Potentiale“, sagt Engelmann.
Mit Abstand die meisten Neugründungen entfallen mit einer Anzahl von 368 auf den Softwaresektor, der im Vergleich zum Vorhalbjahr um 16 Prozent zugelegt hat. Das ist ein neues Rekordniveau und hängt den Studienautoren zufolge mit dem starken Bedeutungszuwachs Künstlicher Intelligenz in der Wirtschaft zusammen. Auch konsumentennahe Anwendungen kommen langsam wieder aus der Krise. Das Segment der Lebensmittel-Start-ups wuchs um 44 Prozent auf 124 Neugründungen, auch der Onlinehandel verzeichnete ein Neugründungsplus von 14 Prozent. Industrielle Lösungen, etwa im Bereich KI-gestützter Automatisierung, konnten um 29 Prozent auf 75 Neugründungen zulegen.
Auf einem hohen Niveau bleiben auch die Insolvenzen. 174 Start-ups gingen im ersten Halbjahr pleite, das waren fast genau so viele wie im Vorhalbjahr. Besonders betroffen ist der Onlinehandel. Seit 2024 haben 73 Onlinehandels-, 66 Medizin- und 58 Lebensmittel-Start-ups Insolvenz angemeldet. Zum Vergleich: 2021 lag die Zahl der Insolvenzen insgesamt noch bei 65. Der starke Anstieg ist auch eine Folge der Rekordfinanzierungsjahre 2020 und 2021. Viele 2021 noch hoch bewerteten Start-ups bekamen in der Folge keine Anschlussfinanzierungen zu ähnlichen Konditionen und bekamen ihre Ausgaben nicht in den Griff.