Hinter den Kulissen im Bundestag

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Hinter den Kulissen

Backstage Bundestag

Von FRIEDERIKE HAUPT (Text und Illustrationen)



9. Juli 2025 · Heute geht es noch einmal rund im Parlament. Mindestens so viel ist hinter den Kulissen los. Unsere Korrespondentin hat aufgeschrieben und gezeichnet, was sie gesehen hat.








Die Cafeteria




Essen gibt es im Reichstag vielerorts. Während Besucher nur ins Dachgarten-Restaurant kommen – angeblich das weltweit einzige öffentliche Restaurant in einem Parlamentsgebäude –, dürfen die Politiker auch ins Abgeordneten-Restaurant und die Cafeteria. Letztere ist ideal für eine Cola vor der Regierungsbefragung oder Kaffee und Kuchen danach. Ja, das muss auch mal sein. Da sitzt an einem Junimittag zum Beispiel Außenminister Johann Wadephul, CDU, Jackett über der Stuhllehne, dicke Mappe vor sich auf dem Tisch, Limoflasche daneben, und telefoniert.

Ein paar Tische weiter sinnieren zwei Mitarbeiter eines Grünenabgeordneten über Alltag und Demokratie. Die Kreisgeschäftsstelle ist vergangene Nacht mit Hakenkreuzen und „White Power“-Parolen beschmiert worden. Trotzdem empfinden die beiden ihren Job als „krasses Privileg“. Die eine überlegt, dass es doch gut wäre, drei Wochen im Jahr ein Praktikum dort zu machen, wo ganz normale Leute ihr Herz ausschütteten, beim Friseur oder im Nagelstudio. Quasi für die Bodenhaftung.

Die Cafeteria tut ihren Teil dazu: Der Kuchen, etwa die Donauwelle, ist durchschnittlich. Dafür sind die Kaffeetassen sehr hübsch. Marienkäfer zieren sie, so will es der Betreiber „Käfer“. Passt zur amtierenden Marienkäferkoalition.




Das Kunstprojekt




Gute Nachricht: Die Pflanzen im nördlichen Lichthof des Reichstags leben noch. Das ist angesichts der Hitze der vergangenen Tage nicht selbstverständlich. Denn das Biotop ist sich selbst überlassen. „Im Sinne des Konzepts des Kunstwerkes erfolgt keine Einflussnahme und somit auch keine Bewässerung“, teilt die Bundestagsverwaltung der F.A.S. – man muss schon sagen: trocken – mit. Das Kunstwerk funktioniert so, dass Abgeordnete Erde aus ihren Wahlkreisen in den meterlangen Trog hineinschütten. Alle dürfen mitmachen. Was in der Erde drin ist oder von Vögeln im Vorbeifliegen gesät wird, wächst zu einem wilden Garten heran. Mittendrin: die Widmung „Der Bevölkerung“ in Neonlichtbuchstaben. Übrigens mit Astrosteuerung, so modern ist Deutschland dann doch. Das Licht schaltet sich zwanzig Minuten vor Sonnenuntergang ein und dreiundzwanzig Minuten nach Sonnenaufgang wieder aus.

490 Abgeordnete haben in den vergangenen 25 Jahren Erde in das Beet geschüttet. Manche beiläufig, andere ganz gezielt. Im fast letzten Moment tat es beispielsweise der FDP-Abge­ordnete Mario Brandenburg. Am 18. März – also nachdem seine Partei aus dem Bundestag geflogen war – kippte er Erde vom Weinberg Hörner in Hochstadt in den oberen Bogen des „B“. Sein Kommentar: „So bleibt wenigstens ein Teil von mir hier!“




Die Besuchergruppe




Bürger können ihre Abgeordneten in Berlin besuchen. Praktisch: Anreise, Hotel und Essen zahlt das Bundespresseamt, jedenfalls für zwei Gruppen pro Abgeordnetem und Jahr. Wenn die Besucher eine Woche erwischen, in der das Parlament tagt, dürfen sie in die Sitzung reinschnuppern. Und wenn der zuständige Abgeordnete Zeit hat, führt er seine Gäste rum. So drängen sich vor der Tür zur Besuchertribüne des Plenarsaals oft aufgeregt tuschelnde Menschen in Kleinstadtkluft, die sich um eine deutlich weniger aufgeregte Person scharen: ihren Abgeordneten.

Wenn so eine Gruppe Glück hat, erlebt sie was Besonderes: zum Beispiel eine furiose Rede des Bundeskanzlers oder wenigstens einen Saalverweis für irgendwen, der unerlaubterweise einen Hut trägt. Wirklich was los war am Tag der Kanzlerwahl am 6. Mai. Es ist Nachmittag, der zweite Wahlgang steht kurz bevor. Die Grünenabgeordnete Chantal Kopf schleust eine Gruppe aus ihrem Freiburger Wahlkreis durch den Ausnahmezustand. Gerade haben alle sich aufgestellt, um ein Foto vor dem Plenarsaal zu machen, da kommt Alexander Dobrindt, CSU, vorbei. Von Anspannung keine Spur. Er bleibt kurzerhand stehen, winkt in die Kamera – Gruppenbild mit Bald-Minister. So etwas passiert nicht jeden Tag. Aber wer weiß. Jede neue Sitzungswoche könnte die aufregendste aller Zeiten werden.




Die Journalisten




Wo Politiker sich versammeln, warten auch Journalisten. Sie wollen wissen, was passiert. Bei Koalitionsverhandlungen ist das eher schwierig herauszufinden, im Plenarsaal ganz einfach: Die Sitzungen werden live gestreamt. Trotzdem müssen die Reporter kämpfen, und zwar um O-Töne. Vor allem Fernsehjournalisten lechzen danach: Jedes pointierte Sprüchlein könnte Exklusivmaterial für die Nachrichten sein. Sie warten also in der Lobby. Sobald ein Abgeordneter auftaucht, brüllen manche Reporter dessen Namen; oft umsonst, wenn ein Kollege das Objekt der Begierde längst per SMS vor seine Kamera beordert hat. Manche Journalistinnen versuchen, Abgeordnete mit einem Pappbecher-Kaffee gesprächig zu stimmen. Diese Geste – üblicherweise im Repertoire junger, gut aussehender Frauen – kann Wunder wirken. Bei anderen zieht allein schon der Name ihres Senders. Gern filmen dann Mitarbeiter des Politikers ihren Chef, wie er gefilmt wird, um sodann auf Instagram zu verkünden: Chef auf Sendung, wichtiger Mann!

Viele Politiker eilen aber auch an den Mikros vorbei oder meiden den Pressepulk ganz. Direkt vor dem Plenarsaal sind sie unter sich, dort dürfen die Journalisten nicht hin. Diese spähen dann aus ein paar Meter Entfernung rüber wie Krokodile im Wasserloch, wenn Antilopen nahen. Andere sitzen stumm auf breiten Sofas und schreiben an Artikeln. Ruhe kehrt ein, wenn die wichtigen Themen der Tagesordnung abgearbeitet sind. Spätabendliche Sitzungen zu Details der Landwirtschaft oder Staatsmodernisierung schenken sich die meisten Journalisten. Kameras aus, raus, bis morgen dann.




Die Fraktionsebene




Reichstag, dritte Etage: Hier haben die Fraktionen ihre Sitzungssäle. Davor geht es manchmal zu wie auf dem Rummel, vor allem am Dienstagnachmittag. Fraktionschefs geben Pressestatements ab, Abgeordnete wuseln rum, weil sie Kollegen suchen, mit denen sie vor Sitzungsbeginn dringend noch was besprechen müssen, eine Intrige oder auch nur die Versorgungslage mit Schokolade. Wer unterzuckert ist, kann sich an der Bar noch schnell eine Schorle holen.

Manchmal sitzen an der Bar auch Abgeordnete mit Gästen. Anfang Juni etwa ein AfD-Politiker mit einer blonden Frau, die amerikanisches Englisch spricht und von dem Mann soeben ein Geschenk erhalten hat: eine Marienkäfer-Tasse aus der Cafeteria, verpackt in irisierende Cellophanfolie. „You’re so cute“, schwärmt die Blonde, der Abgeordnete genießt den Erfolg. Fünf Meter weiter geben Alice Weidel und Tino Chrupalla eine Erklärung ab, um die Ecke testet ein Fernsehjournalist sein Mikro, und ein Podcaster hält einen Abgeordneten am Ärmel fest, der schon enteilen will. Gleich beginnen die Sitzungen. Dann wird’s auf dem Rummel still und in den Sälen spannend.




Der Schuhputzer




Normale Bürger kennen sie vor allem aus Hotels: Schuhputzautomaten. Den Fuß samt Schuh hineinzuhalten, erinnert an den Zauber, den es hat, in der Autowaschanlage im Auto sitzen ­zu bleiben: wirbelnde Bürsten, irres Schrubben, Sturm der Sauberkeit. Aber warum stehen drei dieser Geräte im Reichstagsgebäude? Vielleicht, weil Politiker auch an nassen Novembertagen die Würde des hohen Hauses wahren sollen, vielleicht, weil sie in ihren Dienstwohnungen oft gar kein Schuhputzzeug haben.

Jedenfalls teilt die Bundestagsverwaltung auf F.A.S.-Anfrage mit, dass die Geräte des Solinger Herstellers „Heute“ (Motto: „Shine with a smile!“) erst vergangenes Jahr angeschafft wurden, um ihre Vorgänger aus den Jahren 2013 und 2017 zu ersetzen. Die Frage, ob sie wirklich noch genutzt würden – immerhin tragen inzwischen auch Abgeordnete oft Sneakers – oder ihr Fortbestand gar umstritten sei, beantwortet der zuständige Mitarbeiter nüchtern: „Die Schuhputzautomaten werden regelmäßig genutzt.“ Von wem denn so? Spontan kommt einem der stets auffallend gut gekleidete Grünenabgeordnete Konstantin von Notz in den Sinn. Nachricht an diesen: Haben Sie so einen Automaten schon mal genutzt? Notz reagiert prompt: „Ich nutze die Automaten regelmäßig.“ Na dann.




Der Aschenbecher





Rauchen hilft. Jedenfalls den Rauchern. Davon gibt es unter den Abgeordneten immer noch viele. Und auch Sicherheitsleute, Putzfrauen und Pressesprecher von Politikern sehnen sich nach einer Zigarette zwischendurch. Sie alle treffen sich am Aschen­becher. Davon gibt es ein paar. Einer liegt besonders schön, dem Himmel nah. Weit oben im Reichstagsgebäude, nicht auf dem Dach, wo die Sonne sticht, sondern im Schatten eines Eckturms eine Etage drunter. Ein Ort des Friedens – und des Qualmens – am Rande des Getümmels.

Was redet man so am Aschenbecher? Manchmal gar nichts. Auch schön, gerade im Bundestag, wo alle so viel reden. Hin und wieder ist dann sogar ein Rotkehlchen zu hören oder eine der Möwen, die von der Spree her segeln. Wenn zwei Raucher am Aschenbecher stehen und einer Lust hat zu plaudern, sagt er so etwas wie „Ganz schön heiß/kalt/nass/schwül heute“ oder „Ist eigentlich heute wieder Streik?“ Zweiteres passt in Berlin immer, irgendwer wird schon im Arbeitskampf sein. So kommt man in ein Gespräch, das je nach Laune der Beteiligten Richtung Weltuntergang oder bloß Richtung Feierabend steuert. Stehen zwei zusammen, die einander kennen, kann es auch sein, dass die Sprache auf Politik kommt, aber ein bisschen entspannter als ohne Zigarette.

Abends ist die Stimmung am Aschenbecher besonders schön. Dann sind die umliegenden Flure oft menschenleer. Manchmal zieht dann ein Security-Mann rauchend ein Buch aus der Tasche, oder eine Sekretärin raucht und eine zweite steht nichtrauchend mit ihr im letzten Sonnenlicht. Am Aschenbecher sind kurz einmal alle gleich: Menschen, die eine Pause brauchen.