Generaldebatte zum Haushalt im Bundestag

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Am Anfang hat Friedrich Merz etwas Grundsätzliches zu mitzuteilen. Er steht vor den gut gefüllten Reihen des Bundestages am Rednerpult, hinter ihm ist die Regierungsbank voll besetzt. Der Bundeskanzler sagt, in einer parlamentarischen Demokratie seien harte Auseinandersetzungen nicht nur erlaubt, sondern Teil des „notwendigen Ringens um die richtigen Antworten auf die Herausforderungen“, vor denen das Land und die Gesellschaft stünden. Eine Regierung müsse sich auch überzogene und selbst maßlose Kritik anhören.

„Aber, meine Damen und Herren, um es sehr klar und sehr deutlich zu sagen: Halbwahrheiten, üble Nachrede und persönliche Herabsetzungen muss auch in einer Demokratie niemand unwidersprochen einfach hinnehmen.“ Das ruft Merz in Richtung der AfD. „Ich weise Ihre pauschale und undifferenzierte Herabwürdigung der Arbeit der neuen Bundesregierung deshalb mit aller Entschiedenheit zurück.“ Applaus in Plenum. Und das waren dann auch schon die schärfsten Äußerung des Bundeskanzlers. Danach geht es betont sachlich weiter.

Es gibt sie noch, die ersten Male im Leben des Bundeskanzlers Friedrich Merz. 65 Tage ist er im Amt und am Mittwoch ist es die erste Generaldebatte für ihn als Kanzler. Formal ist es die Debatte über den Haushalt des Kanzleramtes, aber die dient der Opposition verlässlich als Abrechnung mit der Regierungspolitik – und der Regierung als Gelegenheit zum Selbstlob. So kommt es auch am Mittwoch.

Von einer Mäßigung der AfD ist nicht viel zu merken

Die Abrechnung der Opposition leitet um kurz nach neun Uhr im gut besetzten Plenarsaal die Ko-Fraktionsvorsitzende der AfD ein, Alice Weidel. Und von der Mäßigung, die ihre Fraktion sich auf einer Klausur noch am Wochenende vorgenommen hatten, ist nicht allzu viel zu merken. Mit Blick auf die Entscheidung der Regierung, die Stromsteuer für Verbraucher zunächst nicht im angekündigten Maße zu senken, wirft sie Merz Wortbruch vor. Sie nennt ihn einen „Papierkanzler“, dessen Wort nichts wert sei.

Die Kontrollen an den Grenzen, die die Regierung angeordnet hat, bezeichnet Weidel als „mangelhaft“, es handele sich nicht um eine Migrationswende, sondern um „Volksverdummung“. Hart geht die AfD-Fraktionsvorsitzende mit der Entscheidung der Koalition ins Gericht, Schulden in Billionenhöhe zu ermöglichen. Sie wirft Merz die Abkehr von der Schuldenbremse vor, nennt ihn einen „Lügenkanzler“, der eine „Schuldenorgie“ plane. Von einem sanfteren Ton ist jedenfalls an keiner Stelle von Weidels Rede etwas zu merken. Sie spricht abgehackt, noch mehr als sonst, als wolle sie ihre Sätze einzeln über das Rednerpult ins Publikum schubsen. Immerhin hat sie es geschafft, dass Merz mehrfach auf sie eingeht.

Während Weidel schimpft, sitzen die Ministerinnen und Minister auf ihren Plätzen auf der Regierungsbank, tippen auf ihrem Handy, wischen über iPads, arbeiten sich durch Akten, manchmal schütteln sie nur mit dem Kopf. Merz schaut noch einmal sein Manuskript durch, so sieht es zumindest aus. Bis er schließlich um 9.29 Uhr aufsteht, die Mappe mit der Rede in seiner Hand, zu seiner ersten Erwiderung als Kanzler ans Rednerpult tritt und die Kritik von Weidel zurückweist.

Außenpolitik im Fokus

Danach macht Merz erst einmal das, was er in den ersten Wochen seiner Kanzlerschaft schon in den Fokus seine Arbeit gestellt hatte: Er redet über die internationalen Herausforderungen, allen voran den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Weidel hatte ihn dafür kritisiert, so viel im Ausland unterwegs zu sein. Merz spricht über die schweren Angriffe Russlands, gerade wieder in der Nacht zum Mittwoch. Und er spricht über die internationalen Partner und von seinem Politikwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik. „Die Bundesregierung wird international wieder wahrgenommen, und wir werden vor allem ernstgenommen auf der Welt“, sagt er. Zur Abrundung dann der Kernsatz: „Ich tue dies, um Frieden, Freiheit und Wohlstand in unserem Lande zu sichern.“

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Danach geht Merz in den buchhalterischen Teil seiner Rede über und zählt neben dem erwartbaren Selbstlob vor allem nüchtern auf, was in den kommenden Monaten auf der To-do-Liste seiner Regierung steht. So wird deutlich, dass der Fokus sich in den kommenden Monaten stärker auf die Reformen im Inland richten dürfte.

Merz sieht eine Wende in der Wirtschaftspolitik. „Erstmals seit Langem senken die Wirtschaftsforschungsinstitute die Konjunkturerwartungen nicht weiter“, sagt er, „sondern sie erhöhen sie stattdessen“. Und auch die Stimmung unter den Unternehmen in Deutschland werde stetig besser. Er verteidigt abermals die nur begrenzte Absenkung der Stromsteuer für produzierendes Gewerbe – und nicht für alle, wie es im Koalitionsvertrag angekündigt worden war. Merz preist die Möglichkeiten, die mit dem Sondervermögen Infrastruktur geschaffen werden. Man begleite die „Investitionsoffensive mit strukturellen Reformen“, sagt der Kanzler. Außerdem kündigt er eine baldige Bürgergeld-Reform an, die Vorbereitungen dafür liefen auf „Hochtouren“. Das Ziel sei es, aus dem Bürgergeld eine Grundsicherung zu machen für diejenigen, die den Sozialstaat wirklich brauchten. „Und wir werden das Ziel erreichen“, sagt Merz. „Allerdings nicht mit Schaum vor dem Mund, nicht mit Ausländerdiskriminierung“, fügt er an. Weidel und ihre Fraktion dürfen sich angesprochen fühlen.

Die Grünen dreschen auf den Kanzler ein

Nicht angesprochen sind damit offensichtlich die Grünen. Vor der Bundestagswahl hatte Merz immer wieder gesagt, er würde gerne wählen können zwischen einer Koalition mit der SPD und einer mit den Grünen. Gelegentlich konnte man sogar den Eindruck haben, Schwarz-Grün wäre ihm eine sympathische Vorstellung. Von einer solchen Farbkombination ist am Mittwochvormittag unter der Reichstagskuppel nichts mehr zu spüren. Katharina Dröge, eine der beiden Grünen-Fraktionsvorsitzenden, drischt auf den Kanzler ein, als gäbe es keinerlei Berührungspunkte zwischen ihrer Partei und der Merz-CDU.

Sie beginnt mit dem Thema, das vor allem in der vorigen Woche zu Auseinandersetzungen auch in der Koalition geführt hatte: mit der Senkung der Stromsteuer für Verbraucher. Von einem „Hühnerhaufen“ spricht Dröge und fragt Merz, ob er nicht könne oder nicht wolle. Sie wirft dem Kanzler zudem vor, seine Regierung vernachlässige die Klimapolitik. Auch ein weiteres Thema darf offenbar nicht fehlen: Die Maskenbeschaffung des einstigen Gesundheitsministers Jens Spahn, der heute Vorsitzender der Unionsfraktion ist. Dröge wirf Merz vor, zu milde mit Spahn umzugehen. Sie versucht, Druck auszuüben in Richtung eines Untersuchungsausschusses – und warnt den Kanzler: Wenn er die Aufklärung verhindere, sei es nicht mehr nur die „Affäre“ von Jens Spahn, sondern werde zum „Glaubwürdigkeitsproblem“ für den Kanzler.

Das Thema wird zunächst kaum aufgegriffen. Nach Dröge ist der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch an der Reihe. Auch er beginnt seine Rede mit einer Zurückweisung der AfD-Kritik. Er verweist darauf, wie seine Partei im Nationalsozialismus gelitten habe und kommt direkt zu den Lehren aus dieser Zeit: zum Beispiel der Möglichkeit eines Parteienverbots. In Richtung Weidel sagt er: „Ihre Rede heute war ein Beispiel dafür, dass sie verfassungsfeindlich hier agieren. Und deswegen muss es auch ein Verbotsverfahren geben.“

Kleine Unterschiede, viel gemeinsames Selbstlob

Natürlich weiß Miersch, dass man bei der Frage bei seinem Koalitionspartner von der Union noch lange nicht an diesem Punkt angekommen ist. Es bleibt aber einer der wenigen kleinen Unterschiede, die in der Koalition an diesem Vormittag offenbar werden. In das gemeinsame Selbstlob stimmt Miersch ein. Auch wenn er erstmal über Klimaschutz redet, über bezahlbaren Wohnraum, über sichere Arbeitsplätze und Renten, bevor er zur Sicherheit kommt – bei der SPD ist der Fokus offensichtlich ohnehin schon nach innen gerichtet. Immerhin sagt Miersch, dass Diplomatie zwar „immer ganz oben stehen“ müsse. „Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir augenblicklich eine Weltsituation haben, wo in einigen Bereichen Diplomatie leider keinen Erfolg hat.“ Deswegen müsse man „massiv in die Verteidigungsfähigkeit dieses Landes investieren“.

Heidi Reichinnek, die Vorsitzende der Linke-Fraktion, spricht nach Miersch. Sie konzentriert sich auf Verteilungsfragen. Die Koalition schließe die Schere zwischen arm und reich nicht, sondern öffne sie noch weiter, sagt Reichinnek. „Sie wollen sich nicht mit den Superreichen anlegen, wir aber schon“, ruft sie Merz und seiner Koalition zu. Nur kurz kommt Spahn vor, dessen Handeln als Minister Milliarden gekostet habe.

Abermals verteidigt Spahn sich in der Maskenaffäre

Dann tritt der Vorsitzende der Unionsfraktion selbst ans Rednerpult. Jens Spahn führt einen Punkt nach dem anderen auf, den er als Erfolg der Koalition beschreibt. Er nennt etwa die erste Senkung der Unternehmenssteuern seit fast 20 Jahren und einen Rückgang der Zahl von Asylsuchenden, die nach Deutschland kommen. Um 10.42 Uhr lässt Spahn dann eine Frage des Abgeordneten Marcel Bauer von der Partei Die Linke zu. Bauer spricht ihn auf die Maskenbeschaffung an. Spahn kündigt an, zu diesem Thema zum Ende seiner Rede zu sprechen. Bis dahin dauert es nicht lange, noch ein Schwenk zur Klimapolitik, dann: die Masken.

Spahn verteidigt sich ausführlich, wuchtig, fast wütend. Seine Verteidigungslinie bleibt die bekannte: Die Pandemie sei eine enorme Herausforderung gewesen. Aus heutiger Sicht habe man zu viele Masken und andere Medizinprodukte bestellt. Doch damals habe man entschieden, dass es besser Geld koste als die Gesundheit der Menschen.

Im Fokus: Jens Spahn, inzwischen Fraktionsvorsitzender der Union, verteidigte im Bundestag seine Corona-Politik.
Im Fokus: Jens Spahn, inzwischen Fraktionsvorsitzender der Union, verteidigte im Bundestag seine Corona-Politik.Omer Messinger

In Richtung der Grünen fragt Spahn, was diese wohl gesagt hätten, wenn es nicht genügend Masken gegeben hätte. Alice Weidel ruft von der Abgeordnetenbank so heftig in den Raum, dass Bundestagspräsidentin Julia Klöckner am Ende droht, sie des Saals zu verweisen. Es ist bis dahin der emotionalste Teil der Debatte.

Unter den Wellen gegenseitiger Schuldzuweisungen kann am Mittwoch fast in Vergessenheit geraten, worum es in dieser Haushaltswoche eigentlich geht. Am Dienstag hatte die Bundesregierung ihren Haushaltsentwurf für das laufende Jahr eingebracht, der Etat des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts sieht demnach Ausgaben in Höhe von vier Milliarden Euro vor. Das sind rund 93,8 Millionen Euro weniger als im vergangenen Jahr. Im gesamten Bundeshaushalt werden vor allem wegen steigender Ausgaben für die Verteidigung und Infrastruktur Rekordschulden gemacht. 503 Milliarden Euro sollen ausgegeben, 421,2 Milliarden Euro eingenommen werden. Die Nettokreditaufnahme steigt damit von 33,3 Milliarden im vergangenen Jahr auf 81,8 Milliarden Euro in diesem Jahr. 2026 sollen es dann schon fast 90 Milliarden sein.