Neulich sei er zum ersten Mal mit dem eigenen Auto über die neue Teststrecke gefahren, erzählt Florian Risch. Unscheinbar sehe der Abschnitt auf der Autobahn A 6 östlich von Nürnberg aus, sagt Risch, Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Fahrbahnbelag ist neu. Nur wer genau hinschaue, dem fielen die Schaltschränke am Straßenrand auf, berichtet der Ingenieur.
Doch auch wenn man es nicht sieht: Das gut einen Kilometer lange Stück Autobahn in der Oberpfalz ist Hightech. Diesen Monat startet hier der bislang ehrgeizigste Test für das kabellose mobile Aufladen von Elektrofahrzeugen in Deutschland. Der Strom kommt dann buchstäblich aus der Straße. So wie heute schon Handys oder elektrische Zahnbürsten ohne Kabel aufgeladen werden, soll das in Zukunft auch mit Autos und Lastwagen möglich sein – und zwar im Fahren.
„Laden auf der Überholspur“
In dem speziell präparierten gut einen Kilometer langen Fahrbahnabschnitt der A 6 sind elektrische Spulen verlegt, die ein Magnetfeld erzeugen. Am Boden der Testfahrzeuge mit Elektroantrieb wiederum sind ebenfalls Spulen („Pick-ups“) montiert, in denen das Magnetfeld eine Spannung induziert. So wird die elektrische Energie kontaktlos von der Straße auf das Fahrzeug übertragen. Als Testmobile sind ein Kleinbus, ein Lastwagen und ein Auto vorgesehen.
„Laden auf der Überholspur“ und „einen Kilometer voller E-Power“ verspricht sich Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) von dem Projekt, an dem neben den Forschern der Universität Erlangen-Nürnberg und der Autobahn GmbH des Bundes unter anderem das israelische Technologieunternehmen Electreon beteiligt ist, ein Spezialist für kabelloses Laden. Die in der Fahrbahn verlegten Spulen stammen vom Nürnberger Start-up Seamless Energy. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert den Versuch mit einem Millionenbetrag.
In zehn Jahren marktreif?
30 Kilowatt Ladeleistung je Strom-Pick-up seien mit der Technik möglich, berichtet der Ingenieur Risch, und damit etwas mehr als bei einer Wallbox für das private Aufladen von E-Autos in der häuslichen Garage. Würden etwa an einem batterieelektrischen Lastwagen mehrere Pick-ups installiert, könnten auch Ladeleistungen von 100 bis 200 Kilowatt erreicht werden, glaubt Risch.
Wenn die jetzt erprobte Technik die Erwartungen erfülle, könne das induktive mobile Laden in etwa zehn Jahren marktreif sein, hofft der Forscher. Als Beispiel für einen möglichen Einsatzzweck nennt Risch die stark frequentierte Lastwagen-route zwischen dem Seehafen im niederländischen Rotterdam und Duisburg. Auf etwa einem Drittel der Strecke könnte die Straße als Ladekorridor mit Spulen ausgebaut werden, sagt Risch. Batterieelektrische Lastwagen könnten so während der Fahrt nachgeladen werden, die Trucks kämen dann mit kleineren Batterien aus, was Gewicht und Kosten spart.
Auch in Frankreich und den USA gibt es Teststrecken
Der Test in der Oberpfalz ist nicht der einzige. In Frankreich wird das induktive Laden auf einem 1,5 Kilometer langen Autobahnabschnitt in der Nähe von Paris erprobt. In den USA gibt es im Großraum Detroit eine solche Stromstraße. Der Energiekonzern ENBW hat in Karlsruhe eine Teststrecke für das mobile Laden elektrischer Stadtbusse gebaut, und in Franken wurde im Frühjahr ein neues Technologiezentrum des Fraunhofer-Forschungsverbunds für kontaktlose Energieübertragung bei E-Fahrzeugen eröffnet.
Der Strom aus der Fahrbahn ist ein neuer Ansatz für das mobile Laden. Befürworter hoffen, dass er sich als erfolgreicher erweisen wird als der von Siemens entwickelte sogenannte E-Highway. Dafür wurden mehrere Autobahnabschnitte mit Oberleitungen versehen, die hybridelektrisch angetriebene Lastwagen wie bei einer Straßenbahn mit Strom versorgen sollten. Doch eine Teststrecke auf der A 5 zwischen Frankfurt und Darmstadt ist im Januar abgeschaltet worden. Als Kritikpunkt wurde unter anderem genannt, dass die Oberleitungen zu geringe elektrische Reichweiten ermöglichten.
Zulieferer Mahle will stationäres induktives Laden serienreif machen
Zwei Autostunden südlich der gefloppten Oberleitungsteststrecke wird derweil schon am Praxiseinsatz des kontaktlosen induktiven Ladens getüftelt. In Stuttgart arbeiten die Ingenieure des Autozulieferers Mahle daran, die Technik serienreif zu machen. Anders als die Forscher in Franken konzentrieren sich die Schwaben aber auf das stationäre kabellose Laden.
Die Idee: Man parkt sein E-Auto etwa in der Tiefgarage des Arbeitgebers, auf dem Supermarktparkplatz oder auch daheim in der Einfahrt über einer flachen am Boden montierten Ladeeinheit, und das Auto wird während der Arbeitszeit oder während des Einkaufs aufgeladen. Kein Hantieren mehr mit Ladekabeln, kein Ein- und Ausstöpseln. Elf Kilowatt Ladeleistung seien möglich, sagt Marco Warth, Leiter der Konzernforscher von Mahle. Höhere Ladeleistungen würden geprüft.
Warth sieht Mahle als Technologieführer beim stationären kontaktlosen Laden. Partner des Autozulieferers ist dabei Siemens. Mahle entwickelte die am Auto installierte Strom-Empfangseinheit und das Positionierungssystem, Siemens die auf dem Parkplatz montierte Sendeeinheit. Das Positionierungssystem ist mittlerweile von der Normungsorganisation SAE International zum globalen Industriestandard erklärt worden.
BMW sieht „Potential“ für das Laden ohne Kabel
Jetzt arbeitet Mahle zusammen mit einer Handvoll deutscher und internationaler Autohersteller daran, das kontaktlose Laden serienreif zu machen. „In drei bis vier Jahren könnte das auf den Markt kommen“, erwartet er. „Wir sehen unverändert das Potential dieser Technologie“, heißt es auch beim Münchner Autobauer BMW. Der hat schon 2018 als erster Hersteller ein solches kontaktloses Ladesystem für ein hybridelektrisches Modell der 5er-Reihe in Kleinserie auf den Markt gebracht. Für gut 3200 Euro konnten Autokäufer damals die Ausrüstung für das „BMW wireless charging“ als Extraausstattung ordern. „Laden noch einfacher als Tanken“, versprach der Hersteller damals.
Die Kundenresonanz sei gut gewesen, berichten sie heute bei BMW. Aber mangelnde Wirtschaftlichkeit und vor allem eine fehlende Standardisierung seien Hindernisse gewesen. Das BMW-System von vor sieben Jahren funktionierte eben nur mit BMW-Autos. Das soll nun anders werden.
Als interessanten Einsatzzweck für das kabellose Laden sieht der Autobauer heute das ferngesteuerte Parken („remote parking“) von teilautonom fahrenden Autos: Der Fahrer stellt sein E-Auto an der Parkhauseinfahrt ab und steigt aus, der Wagen fährt selbständig zu einem Parkplatz, der mit einer induktiven Ladespule ausgestattet ist, und lädt auf. Wenn der Fahrer zurückkommt, fordert er seinen Wagen wieder an, und dieser fährt selbsttätig zurück zum Parkhauseingang.
An Ideen fehlt es den Entwicklern nicht. Nun müssen sie in die Praxis umgesetzt werden.