Ein „Rettungsring“ der EU für die Wasserstoff-Wirtschaft

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Ohne Wasserstoff sind die strikten EU-Klimaziele kaum zu erreichen. Darin sind sich beinahe alle Fachleute einig. Er wird zumindest übergangsweise für die energieintensiven Sektoren benötigt, die nur schwer elektrifiziert werden können. Dazu gehört etwa die Chemie-, Stahl- und Zementindustrie, aber auch der Flug- und Schiffsverkehr. Entscheidend dabei ist, dass bei der Herstellung des Wasserstoffs nicht zu viel CO2 freigesetzt wird. Zum Einsatz soll dabei kohlenstoffarmer Wasserstoff und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien kommen. Ihre CO2-Bilanz soll mindestens 70 Prozent unter der von herkömmlichen fossilen Brennstoffen liegen. So hat es die EU festgelegt.

Der Teufel aber steckt im Detail: Worauf beziehen sich die 70 Prozent? Für Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen steht das schon seit 2023 fest, nicht aber für kohlenstoffarmen Wasserstoff. Das soll sich bald ändern, auch um den Investoren Planungssicherheit zu verschaffen. Die Europäische Kommission hat nun einen sogenannten Delegierten Rechtsakt vorgelegt, den die Industrie seit langem mit Sorge erwartet hat. Die neuen Regeln sollen ebenso für heimische Hersteller gelten wie für die Einfuhr aus Nicht-EU-Staaten.

Sie drehen sich vor allem um solchen Wasserstoff, der aus Gas gewonnnen und bei dem hinterher CO2 abgeschieden wird (sogenannten Blauen Wasserstoff). Auch Wasserstoff aus Atomstrom wird im Dokument ausdrücklich erwähnt, ob er aber kohlenstoffarm anerkannt wird, bleibt erst einmal offen. Die Kommission soll dazu noch bis Sommer 2026 eine öffentliche Konsultation einleiten.

„Pragmatische Definition von kolenstoffarmem Wasserstoff“

Ein erster Entwurf für den Rechtsakt hatte vor einigen Wochen für Aufregung in der Industrie gesorgt, weil diese sich fürchtete, dass der Wasserstoffhochlauf zu Tode reguliert würde. Die ursprüngliche Variante war etwa von hohen pauschalen Methanemissionen bei der Erdgasförderung ausgegangen, was das Erreichen der 70-Prozent-Einsparung im Falle des Blauen Wasserstoffs erschwert hätte. Die Kommission hat auf die Kritik reagiert und die Standardwerte für den Treibhausgasausstoß bei der Gasförderung um zwei Drittel gesenkt. Auch an anderer Stelle ist die Kommission der Gaswirtschaft entgegen gekommen.

„Wasserstoff wird eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft spielen“, sagte Energiekommissar Dan Jørgensen am Mittwoch. Mit einer pragmatischen Definition von kohlenstoffarmem Wasserstoff, die den Energiemix der EU-Länder berücksichtige, gebe die EU Investoren die nötige Sicherheit.

Branchenverbände bleiben skeptisch

Industrie und Branchenverbände teilen das nicht uneingeschränkt; sie sind mit den Änderungen verglichen mit dem Entwurf von Ende April zwar weniger unzufrieden aber längst nicht glücklich. Während der erste Entwurf so restriktiv gewesen sei, dass er den Wasserstoffhochlauf faktisch verhindert hätte, sei die nun vorliegende Fassung zwar ein „Schritt in die richtige Richtung“, sagte Kerstin Andreae, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Doch sei der Rechtsakt weiterhin „in bestimmten Punkten zu wenig praxistauglich“.

Noch zurückhaltender äußerte sich der Verband „Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft“, der „nur leise Hoffnungen für den Wasserstoffhochlauf“ aus der nun vorliegenden Klarstellung des Delegierten Rechtsakts ableitet. Verbandsvorstand Timm Kehler sprach davon, dass die Kommission der Wasserstoffwirtschaft „einen Rettungsring“ zuwerfe, allerdings: „Ob dies wirklich zum Überleben reicht und so das Wasserstoff-Kernnetz gefüllt werden wird“, bleibe „sehr fraglich.“

Bundesregierung soll sich weiter für Nachbesserungen einsetzen

Der Vorstand des Verbands Hydrogen Europe, Jorgo Chatzimarkakis sagte: „Die aktuelle Verordnung bringt unverhältnismäßige Berichtspflichten und bürokratische Hürden mit sich, die viele Wasserstoffpioniere nur schwer bewältigen können.“ So bestehe die Gefahr, dass Investoren eher abgeschreckt würden.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) appellierte an die Bundesregierung, sich vehement für Nachbesserungen einzusetzen. Die EU-Staaten können den Vorschlag aufhalten oder Änderungen erzwingen, benötigen dafür aber eine qualifizierte Mehrheit. Auch das Europäische Parlament ist eingebunden. Der VCI fordert flexiblere und praxisnähere Kriterien etwa bei der Kalkulation der Emissionen aus dem Strombedarf für kohlenstoffarmen Wasserstoff. Auch die Bewertung der Methanemissionen, die bei Förderung und Transport von Erdgas anfielen, dürften die Wirtschaftlichkeit gasbasierter Wasserstoffprojekte nicht verhindern.