Gemeinsam gegen Israel und die USA

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In kaum einem anderen Land hat Washingtons Militärschlag auf die iranischen Nuklearanlagen heftigere Reaktionen ausgelöst als in Venezuela. Am Folgetag traten Staatschef Nicolás Maduro und andere Mitglieder seines Regimes an die Öffentlichkeit und verurteilten die Operation. Schon in den Tagen zuvor war die politische und militärische Führungsspitze in Caracas darum bemüht, ihre bedingungslose Solidarität mit Teheran zu bekunden, gegen Israel zu hetzen und über die Staatsmedien die iranische Propaganda unters Volk zu bringen. Höhepunkt war ein Video aus der diplomatischen Vertretung Irans, wo sich Offiziere des venezolanischen Generalstabs mit dem iranischen Botschafter versammelt hatten, um gemeinsam in die Kamera zu schreien: „Es lebe Iran! Es lebe Venezuela! Es lebe Chávez! Es lebe Nicolás Maduro!“

Gemeinsame Feinde verbinden

Die Regime in Teheran und Caracas verstehen sich nicht nur, sie vertrauen einander und bezeichnen sich als Bruderstaaten. Beide pflegen dieselbe antiimperialistische Rhetorik, die auf einem gemeinsamen Feindbild beruht: den Vereinigten Staaten. In Caracas findet man Wandmalereien, auf denen iranische Führer abgebildet sind. Eines zeigt den einstigen Anführer der Al-Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, der 2020 bei einem amerikanischen Drohnenangriff getötet wurde, neben dem verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez.

Wandmalerei in Caracas: Der einstige Anführer der Al-Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, neben dem  ehemaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez
Wandmalerei in Caracas: Der einstige Anführer der Al-Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, neben dem ehemaligen venezolanischen Präsidenten Hugo ChávezEPA

Chávez hatte vor mehr als 20 Jahren den Grundstein für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gelegt, als das isolierte Teheran auf der Suche nach Partnern in Südamerika auf die offenen Arme linkspopulistischer Regierungen stieß. In keinem Land gediehen die Beziehungen so prächtig wie in Venezuela. Der wirtschaftliche Niedergang seit Maduros Machtübernahme im Jahr 2013 und erst recht die amerikanischen Sanktionen gegen den venezolanischen Erdölsektor haben den Iranern vollends die Türen geöffnet.

Seit Jahren kommt es zu regelmäßigen Treffen von Regierungsvertretern beider Länder, und längst gehen die Beziehungen über das Rhetorische hinaus. Von einer „strategischen Allianz“ ist die Rede, die wirtschaftliche, technologische und militärische Kooperation umfasst. Am offensichtlichsten zeigt sich die Zusammenarbeit beim Erdöl, wo die beiden Länder sich bei der Umgehung der Sanktionen ergänzen. Venezuela schickt einen Teil seines Erdöls nach Iran, da es selbst nicht die nötigen Kapazitäten zur Verarbeitung seines schweren Rohöls hat. Iran schickt raffinierte Erdölprodukte und Treibstoffe zurück und unterstützt Venezuela technisch bei der Wartung seiner Erdölinfrastruktur. 2022 waren iranische Spezialisten an der Instandsetzung einer wichtigen Raffinerie in Venezuela beteiligt.

Iran verkauft Waffen nach Venezuela

Auch versorgt Iran seinen Verbündeten in der Karibik mit Drohnen. Auf dem venezolanischen Luftwaffenstützpunkt El Libertador in der Nähe der Stadt Maracay betreibt Iran eine Produktionsanlage für Drohnen und bildet Militärpersonal für deren Betrieb und Wartung aus. Bei den Drohnen handelt es sich um verschiedene Modelle für Aufklärungs- und Angriffsmissionen, darunter zum Beispiel die Mohajer-6, die mit Waffensystemen ausgestattet ist und präzise Angriffe ermöglicht, sowie die Shahed-131 für Einwegangriffe und andere Typen der Shahed-Drohnen, die von Russland im Krieg gegen die Ukraine verwendet werden. Es gibt Hinweise darauf, dass Iran weitere Waffensysteme nach Venezuela verkauft. Im vergangenen November, anlässlich des Besuchs des iranischen Verteidigungsministers Aziz Nasirzadeh, unterzeichneten die beiden Regierungen überdies eine Kooperationsvereinbarung zum Technologietransfer und zur Ausbildung im Bereich Künstlicher Intelligenz.

Wandgemälde vor einem der Gebäude des staatlichen Ölkonzerns Petroleos de Venezuela in Caracas
Wandgemälde vor einem der Gebäude des staatlichen Ölkonzerns Petroleos de Venezuela in CaracasEPA

Als Gegenleistung für seine Hilfe im Erdölsektor hat das Maduro-Regime Verträge zum Bau und Verkauf iranischer Autos abgeschlossen und Iran erlaubt, Ackerland in Venezuela zu pachten. Zudem lässt sich Teheran mit venezolanischem Gold bezahlen, das es auf Märkten in der Türkei und Ländern des Nahen Ostens verkauft. Ein Teil des Erlöses soll in die Finanzierung der Al-Quds-Brigaden fließen, des im Ausland tätigen Arms der iranischen Revolutionsgarden. Das Gold gelangt mit Flügen der von Washington sanktionierten iranischen Fluggesellschaft Mahan Air von Caracas nach Teheran.

Die bereits unter Chávez eta­blierte „Luftbrücke“ mit wöchentlichen Flügen zwischen den beiden Ländern ist schon länger Gegenstand von Spekulationen, weil die Flüge in der Regel ohne Passagierlisten operieren und am ominösen Gate 4 des internationalen Flughafens Maiquetía abgefertigt werden, das für Flüge offizieller Delegationen reserviert ist und eine Sonderbehandlung genießt. Es ist unklar, was und wer in den Flügen von Venezuela nach Iran und in die andere Richtung noch geflogen wird.

Uranlieferungen aus Venezuela an Teheran?

Neben Gold könnten die Maschinen auch Uran nach Teheran transportieren. Darauf deuten Berichte des israelischen Geheimdienstes hin, zu denen westliche Diplomaten Zugang hatten. Demnach soll das Maduro-Regime vor rund fünf Jahren die Gewinnung, Verarbeitung und den Versand von venezolanischem Uran nach Iran genehmigt, die Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde umgangen und damit gegen mehrere UN-Resolutionen verstoßen haben. Satellitenbilder und Zeugenaussagen von im Exil lebenden ehemaligen venezolanischen Beamten stützen die israelischen Berichte.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Schon vor Jahren hatte Venezuela mithilfe Russlands die ersten Schritte zur Entwicklung seines eigenen Kernenergieprogramms unternommen. Ebenfalls kein Geheimnis ist, dass Teheran die Erkundung und Erschließung venezolanischer Uranvorkommen seit 2009 unterstützt. Zu dieser Zeit sagte Chávez, dass Iran das Recht habe, ein eigenes Atomprogramm voranzutreiben.

Neben Venezuela hat Iran in den vergangenen Jahren gezielt seine Beziehungen zu weiteren Staaten in Lateinamerika mit antiamerikanischen Regierungen ausgebaut, insbesondere zu Bolivien, mit dem 2023 ein Abkommen über Drohnenlieferungen sowie Kooperationen bei Cybersicherheit und militärischer Ausbildung abgeschlossen wurde. Schon seit 2010 bezieht Bolivien iranische Teile für Militärflugzeuge. Auch Kuba hat neue Abkommen zu Hafennutzung und Cybersicherheit unterzeichnet. Zudem hilft Iran dem kommunistischen Inselstaat mit Krediten aus.

Nicaragua hat zwar keine konkreten Abkommen mit Teheran, es kam jedoch zu mehreren ranghohen Treffen in den vergangenen Jahren. Zudem weisen Beobachter auf die ungewöhnlich große Anzahl iranischer Diplomaten in der Hauptstadt Managua hin. Auch außerhalb der antiamerikanischen Achse hat Iran in den vergangenen Jahren in Lateinamerika Fuß zu fassen versucht. Brasilien ist beispielsweise zu einem wichtigen Lieferanten für Agrargüter geworden und bezieht im Gegenzug Düngemittel von Iran.

Ideale Bedingungen für illegale Finanzgeschäfte

Schon bevor Iran die Beziehungen mit Venezuela und anderen Ländern gefestigt hatte, haben sich Ableger der von Teheran unterstützten Hizbullah-Miliz in Lateinamerika festgesetzt. Ihre Aktivitäten gehen bis in die Achtzigerjahre zurück, als sich im Zuge des libanesischen Bürgerkriegs große Diasporagemeinden in Ländern wie Brasilien, Argentinien und Paraguay ansiedelten. Das Dreiländereck zwischen diesen drei Staaten ist zu einem Hotspot für Finanzierungsaktivitäten der Hizbullah in Lateinamerika geworden, weil es wegen schwacher Kontrollen und hoher Bargeldströme ideale Bedingungen für illegale Finanzgeschäfte bietet. Hizbullah-Unterstützer haben dort ein Netzwerk aus Kleinunternehmen wie Restaurants, Juweliergeschäften oder Elektronikhändlern aufgebaut, um Spendengelder zu sammeln, Geld zu waschen und ins Ausland zu transferieren. Auch Schmuggel wird einzelnen Zellen vorgeworfen.

Die Anschläge auf die israelische Botschaft und auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires in den Jahren 1992 und 1994 zeigten, dass es der Hizbullah in Lateinamerika nicht nur um Finanzierung geht. Laut Ermittlungen argentinischer Behörden und von Interpol wurden diese Attentate von Personen mit engen Verbindungen zum iranischen Geheimdienst und zu Hizbullah-Funktionären organisiert und ausgeführt.

Bis heute sind mehrere Iraner und mutmaßliche Hizbullah-Mitglieder international zur Fahndung ausgeschrieben. Experten weisen darauf hin, dass jüdische und israelische Einrichtungen in Lateinamerika auch heute noch einfache Ziele für Iran bieten. Seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas haben lateinamerikanische Geheimdienste mehrere Terrorpläne vereitelt, die angeblich mit der Hizbullah in Verbindung stehen, darunter einen Plan für einen Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Brasilien im Jahr 2023.

Hizbullah-Unterstützer mit venezolanischen Ausweisen

Die Regierungen Israels und der Vereinigten Staaten sehen die Beziehung Venezuelas zu Iran heute als zentral für die Aktivitäten der Hizbullah in der Region. Die politische Allianz zwischen Caracas und Teheran ermöglicht nicht nur diplomatische Rückendeckung, sondern auch operative Bewegungsfreiheit. Verschiedene Berichte belegen, dass Hizbullah-Unterstützer venezolanische Ausweise erhielten, um ihre Identitäten zu verschleiern. Lange Zeit galt der frühere venezolanische Vizepräsident Tareck El Aissami, der syrische Wurzeln hat, als einer der zentralen Vermittler zwischen dem Maduro-Regime und der Hizbullah.

Die touristische Isla Margarita, die Teil einer Sonderwirtschaftszone ist, scheint dabei als Operationsbasis besonders beliebt zu sein. Laut verschiedenen Berichten, die sich auf Geheimdienstquellen beziehen, operieren hier diverse Firmen oder Scheinfirmen libanesischstämmiger Unternehmer, die in illegale Aktivitäten von Geldwäsche bis zum Rauschgifthandel von Südamerika nach Westafrika beteiligt sind. Diese Gelder in Höhe von mehreren Hundert Millionen Dollar pro Jahr sollen über komplizierte Finanzstrukturen nach Beirut gelangen, wo sie teilweise direkt oder indirekt der Finanzierung der Hizbullah dienen.

Auch die Al-Quds-Brigaden nutzen Venezuela als Brückenkopf in der westlichen Hemisphäre. Laut amerikanischen Geheimdienstberichten sollen Angehörige der Al-Quds-Brigaden venezolanische Sicherheitskräfte und regierungsnahe Milizen in Guerillataktiken, Aufstandsbekämpfung und Cyberangriffen geschult haben. Mehrere Berichte deuten darauf hin, dass die Al-Quds-Brigaden im Rahmen dieser Kooperation auch versucht haben, Netzwerke zur Spionage gegen amerikanische oder israelische Ziele in Lateinamerika aufzubauen.

Einen sicheren Hafen will Caracas auch der Führungsspitze des Mullah-Regimes bieten. Im Oktober 2022 besuchte eine Delegation im Auftrag von Ajatollah Ali Khamenei Venezuela. Es ging nicht um wirtschaftliche oder militärische Zusammenarbeit, sondern um die Möglichkeit des politischen Asyls für die iranische Führung und deren Familien im Falle einer politischen Destabilisierung Irans. Caracas willigte ein. Ranghohe iranische Beamte sollen seither zahlreiche Immobilien in Venezuela erworben haben. Ob diese nun bezogen werden, bleibt fraglich. Ein Leben unter karibischen Palmen hätte wohl auch für den einen oder anderen Mullah seinen Reiz. Wäre es nur nicht so nahe am Erzfeind.