Union und SPD: Ringen um die Richterwahl

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Der Beginn der Sondersitzung der Unionsfraktion am Freitagmorgen verschob sich um ein paar Minuten. Um acht Uhr hatte es losgehen sollen, doch Bundeskanzler Friedrich Merz und der Vorsitzende der Unionsfraktion, Jens Spahn (beide CDU) versuchten zuvor, SPD-Chef Lars Klingbeil ans Telefon zu bekommen. Es ging um die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht.

Über die von der SPD aufgestellte und von weiten Teilen der Union abgelehnte Kandidatin waren Berichte im Umlauf, in ihrer Doktorarbeit gebe es Übereinstimmungen mit Texten ihres Ehemanns. „Verdacht auf Kollusion“ heißt in diesem Falle der Fachbegriff. Für das Wort Plagiat ist es zu früh. Doch die Union will die Vorwürfe prüfen.

Als Klingbeil nicht zu erreichen war, legten sich Merz und Spahn auf die Linie fest, zwei der drei für Freitag geplanten Wahlen von Verfassungsrichtern stattfinden zu lassen, diejenige von Brosius-Gersdorf jedoch abzusetzen. Als sie das den Abgeordneten der Unionsfraktion mitteilten, waren Erleichterung und Zustimmung groß.

Verärgerung in der Unionsfraktion

Die Stimmung in der Unionsfraktion war schon seit Tagen aufgeladen. Die ablehnende Haltung vieler Abgeordneter gegen die Wahl von Brosius-Gersdorf hatte sich immer mehr aufgebaut. Groß war die Verärgerung vor allem über die Äußerungen der Richterin zum Umgang mit dem ungeborenen Leben. Unionsabgeordnete sträubten sich dagegen, eine Frau nach Karlsruhe zu schicken, die eine deutlich liberalere Haltung als viele von ihnen zu diesem Thema zu haben schien.

Merz hatte noch am Mittwoch im Bundestag für die Wahl von Brosius-Gersdorf geworben, Spahn am Donnerstagabend. Es gibt unterschiedliche Darstellungen dazu, wann sich in der Unionsspitze die Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf verbreiteten: am Donnerstagabend, sagen die einen, am Freitagfrüh, die anderen. Ein führender Unionsmann zeichnete noch am Freitagmorgen ein positives Bild von der Kandidatin.

Wie auch immer: Merz und Spahn legten sich am Freitagfrüh kurz nach acht Uhr fest und warteten auf eine Reaktion der SPD-Spitzen. Für den Fall, dass die Wahl doch stattfinden sollte, waren sie dafür, dass die Union sich enthält. Man richtete sich an der Fraktionsspitze allerdings darauf ein, dass es Gegenstimmen aus der Union geben würde. So groß war und ist die Empörung von Unionsabgeordneten gegen Brosius-Gersdorf.

Was die Grünen Spahn vorwerfen

Während die SPD sich noch beriet über das weitere Vorgehen, äußerten sich die beiden Vorsitzenden der Grünen-Fraktion schon öffentlich. Britta Haßelmann und Katharina Dröge lehnten den Vorschlag der Union ab, zwei der drei Richterwahlen stattfinden zu lassen und nur auf die dritte zu verzichten. Sie verbanden das mit schweren Vorwürfen vor allem gegen Jens Spahn. Dieser habe sich bislang hinter alle drei Wahlvorschläge gestellt und ändere nun seine Meinung.

Spahn, so sagte Haßelmann, sei als Fraktionsvorsitzender schwer beschädigt. Das Ganze sei ein „Desaster für Parlament und vor allem Merz und Spahn“. Nachdem die Grünen seit Wochen gegen Spahn anrennen wegen dessen Maskenbeschaffung in der Corona-Pandemie, als er Gesundheitsminister war, stellten sie seine Eignung zur Fraktionsführung nun auch wegen des Umgangs mit der Richterwahl in Frage.

Die Wahl des ersten Richters hätte eigentlich schon um zehn Uhr am Freitag stattfinden sollen. Doch dieser Zeitpunkt war längst überschritten, als immer noch Unklarheit darüber herrschte, ob überhaupt abgestimmt würde. Der Bundestag unterbrach seine Sitzung. Es erinnerte an den 6. Mai, als Friedrich Merz im ersten Wahlgang nicht zum Bundeskanzler gewählt wurde und lange offen war, ob es einen zweiten Versuch am selben Tag geben würde.