Wie Julia Klöckner mit der aufgeheizten Stimmung im Bundestag umgeht

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Es sind herausfordernde Zeiten, um die Sitzungen des Bundestages zu leiten. Vorsichtig formuliert. Denn in diesen Wochen nach der Bundestagswahl wird aus dem Hohen Haus immer öfter ein unruhiges. Der Herausforderung stellt sich an jedem Sitzungstag wieder das Präsidium, erhöht sitzend im Plenarsaal, den Reihen der Abgeordneten gegenüber.

Nach zwei Stunden wird Josephine Ortleb am Donnerstag abgelöst. Einmal durchatmen. Diese Debatte im Bundestag lief anders als erwartet. Ortleb geht unter dem meterhohen silbernen Bundesadler hindurch, der an der Stirnseite des Plenarsaals thront, und ist nun im Vorraum des Reichstags.

Ortleb ist Sozialdemokratin, vor allem aber ist sie seit der konstituierenden Sitzung des neuen, des 21. Bundestages eine von vier Vizepräsidenten. Ein Amt, mit dem sie nach außen nicht nur den Bundestag repräsentieren darf. Sondern nach innen vor allem auch lernen muss, die Sitzungen des Hohen Hauses zu leiten.

„Wir sind stilbildend im Parlament“

Es ist der vorletzte Sitzungstag vor der Sommerpause. Ortleb wirkt hinter dem Bundesadler etwas müde, aber auch euphorisiert an diesem Nachmittag. Das war gerade ihr erster Hammelsprung als Vizepräsidentin. Beim Hammelsprung müssen alle anwesenden Abgeordneten den Saal verlassen, um ihn durch bestimmte Türen für Ja, Nein und Enthaltung wieder zu betreten.

So wird nicht nur erfasst, wie sie abstimmen, sondern ob überhaupt ausreichend Abgeordnete anwesend sind, damit der Bundestag beschlussfähig ist. Als einfache Abgeordnete hat Ortleb das schon erlebt. Jetzt, als Leiterin der Bundestagssitzung, hat sie aber zu spüren bekommen, wie viel Kraft und Konzentration so ein Moment von ihr erfordert.

Abgeordnete kommen beim Hammelsprung durch die Nein-Tür zurück in den Plenarsaal.
Abgeordnete kommen beim Hammelsprung durch die Nein-Tür zurück in den Plenarsaal.Omer Messinger

Es war die AfD, die den Hammelsprung verlangt hatte, und dazu kam es so: Es geht um das Wasserschutzgesetz, ein eher unauffälliger Punkt in einer vollen Woche. Ortleb entgegnet einem Abgeordneten der AfD, sie sei sich sicher, dass die Abstimmung per Handzeichen die Mehrheit der Unions- und SPD-Fraktion gezeigt habe. Sie schiebt aber hinterher: Man sei sich im Präsidium dazu nicht einig.

Zum Präsidium gehören in dem Fall Ortleb und zwei Schriftführer. Einer davon ist von der AfD. Die Partei hat zwar keinen Vizepräsidenten, aber stellt Schriftführer. Der AfD-Schriftführer plädiert für den Hammelsprung. Ortleb nimmt es gelassen. Ein Schriftführer wird immer von der Opposition entsendet. Ein Grünen- oder Linken-Politiker hätte es vielleicht ähnlich gemacht. Ortleb drückt auf einen Knopf, und in den Bundestagsgebäuden erklingt ein lautes Klingeln zum Heranrufen der Abgeordneten für den Hammelsprung. Ortleb kann sich danach freuen. Alles gut gegangen, alles im Rahmen.

Bundestagsvizepräsidentin Josephine Ortleb (SPD) und die AfD-Fraktion im Spiegelbild
Bundestagsvizepräsidentin Josephine Ortleb (SPD) und die AfD-Fraktion im SpiegelbildOmer Messinger

Die kurze Geschichte des Hammelsprungs aber ist nur eine kleine der vielen Hürden, die die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner von der CDU und ihre vier Stellvertreter von SPD, Grünen, CSU und Linken jeden Sitzungstag, von morgens bis manchmal in die Nacht hinein, überwinden müssen. Von den Verfahrenstricks der Fraktionen wie Hammelsprüngen über die politischen Fragen der Kleiderwahl von Abgeordneten, die zu langen Reden, die sekundenschnelle Einordnung von Zwischenrufen und Provokationen bis hin zu der ganz großen Hürde: Wie können sie in einer so aufgeheizten Stimmung im Parlament die Debatten leiten, ohne sie einzuschränken – und die Würde des Hauses schützen?

Das war schon immer eine anspruchsvolle Aufgabe, doch in diesem Bundestag ist sie noch anspruchsvoller. Denn noch nie waren die Ränder so stark im Plenum vertreten, von den Sitzreihen ganz links bis nach ganz rechts, auf 215 der 630 Abgeordneten kommen Linke und AfD zusammen. An den Rändern und auch dazwischen kocht die Stimmung bei einigen Debatten schnell hoch. Es wird dazwischengerufen, protestiert, zu lange geredet oder am Thema vorbei, es wird beleidigt oder behauptet. Die Parteien der Mitte bekommen nicht einmal mehr eine Zweidrittelmehrheit zusammen – das hinterlässt nicht nur Spuren, es fordert auch die Sitzungsleitung.

Omid Nouripour, Vizepräsident von den Grünen, beschreibt die Veränderung bei Debatten und Zwischenrufen so: „Sowohl der Graubereich als auch der No-go-Bereich sind größer geworden.“ Julia Klöckner sagt: „Wir sind stilbildend im Parlament, positiv wie negativ.“ Man stimme den Ton für die Debatten in der Republik an, sei es im Internet, an den Stammtischen oder in Schulkassen. „Da nehme ich es in Kauf, wenn der ein oder andere genervt ist, wenn wir als Sitzungsleitung eingreifen, und der Meinung ist, wir seien zu streng“, sagt Klöckner. „Wir müssen es machen und verlässlich sein, um das Ansehen des Parlamentes und das Vertrauen in Politik wieder zu stärken.“
Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour
Bundestagsvizepräsident Omid NouripourOmer Messinger

Für die Bundestagspräsidentin beginnt dieser Donnerstag ganz früh und mit einem Irrtum. Das Büro hat die falsche Adresse für den Gottesdienst aufgeschrieben, und nun sitzt Klöckner im Dienstwagen neben Aktenstapeln und lässt sich zur richtigen Kirche fahren. Ein Gottesdienst mit Abgeordneten zur letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause. Am Mittwoch hatte Klöckner bei der Generaldebatte schon wieder eingreifen müssen, mal wieder war es in den Reihen der AfD laut geworden, dieses Mal war es sogar die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel selbst. „Da war schon einiges los – die Debatte war kontrovers, im Ton teilweise sehr hart geführt, aber das war zu erwarten“, sagt Klöckner im Auto.

Nach Weidels Rede zur Eröffnung der Generaldebatte, gespickt mit Formulierungen wie „Volksverdummung“ oder „Lügenkanzler“, sagte Klöckner: „Wir würdigen uns hier nicht persönlich herab und bezichtigen uns nicht der Lüge.“ Breiter Applaus im Plenum. Später, als der Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn am Rednerpult stand, kommentierte Weidel beständig. Klöckner unterbrach Spahn, ermahnte Weidel, und als die zur Erwiderung ansetzte, fügte Klöckner trocken an: „Wir zwei diskutieren hier nicht, sonst können Sie den Saal hier verlassen.“ Wieder Applaus im Plenum. In die Presse schaffte es der Zwischenfall auch.

„Wir müssen versuchen, eine möglichst große Bandbreite von rechts nach links zuzulassen, Stichwort Meinungsfreiheit im Rahmen der Verfassung, um die Debatten nicht einzuengen im Parlament“, sagt Klöckner im Auto. „Aber Frau Weidel hat im Stakkato permanent reingeredet, als legte sie es nur darauf an, ermahnt zu werden.“ Dann habe sie noch mit ihr über die Sitzungsleitung diskutieren wollen. „Das können wir als Präsidium nicht zulassen.“

Ordnungsruf und Ordnungsgeld

„Zur Wiederherstellung der Ordnung bei Störungen in den Plenarsitzungen stehen dem amtierenden Präsidenten im Rahmen seiner Ordnungsgewalt folgende Maßnahmen zur Verfügung“, heißt es im „Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages“. Einige davon sind in der Geschäftsordnung klar definiert, zum Beispiel die Wortentziehung nach Paragraph 37, Absatz 3: „Überschreitet ein Mitglied des Bundestages seine Redezeit, so soll ihm der Präsident nach einmaliger Mahnung das Wort entziehen.“ Oder der Ruf zur Sache nach Paragraph 36 Satz 1: „Der Präsident kann den Redner, der vom Verhandlungsgegenstand abschweift, zur Sache verweisen.“

Es gibt den Ordnungsruf, das Ordnungsgeld, den Ausschluss und es gibt die Rüge – aber die ist schon ein parlamentarischer Brauch und in der Geschäftsordnung nicht geregelt. Wann muss man also wie genau eingreifen?

Als Klöckner am Donnerstagmorgen schließlich in der Kirche angekommen ist, richtet sich der Pfarrer direkt an die Abgeordneten in den Reihen. Er sagt, die Politik sei immer darauf angelegt, Spaltungen zu überwinden. Dabei ist es für Klöckner und ihre Stellvertreter bei manchen Debatten schon eine Herausforderung, dass es nicht noch schlimmer wird. In den ersten Wochen des neuen Bundestages hat es schon vor dieser Sitzungswoche zehn Ordnungsrufe gegeben, acht Rügen, drei Wortentziehungen und einen Sitzungsausschluss. Wenn das in diesem Tempo weitergeht, dürfte das in dieser Legislaturperiode auf neue Rekorde hinauslaufen.

Auch Rügen gibt es häufiger

In der ganzen Periode von 2013 bis 2017, damals noch ohne AfD, hatte es keine einzige Rüge und gerade mal zwei Ordnungsrufe gegeben. In den vier Jahren danach waren es dann zehn Rügen und 47 Ordnungsrufe, in der letzten Periode waren es in den vier Jahren 26 und 135. „So etwas gab es noch nie in der Geschichte des Deutschen Bundestages, ein so stark polarisiertes Parlament“, sagt Klöckner. „Und man merkt von meinem Platz aus, dass beide Seiten sich gegenseitig häufig hochschaukeln und sich einander für ihre Argumentation brauchen.“

Wenige Minuten nach dem Gottesdienst setzt sich Klöckner schon auf ihren Präsidiumsstuhl im Plenum und sagt: „Guten Morgen, meine Damen und Herren.“ Es ist neun Uhr, Klöckner streckt den Rücken durch und ihre Augen wandern über die mäßig besetzten Reihen der Fraktionen, über die sechs darüber schwebenden Zuschauertribünen und auch auf die Regierungsbank. Da zählt sie stets durch, sie hatte sich schon einmal öffentlich über zu geringe Teilnahme von Ministern beschwert.

Jetzt sind es zur Kernzeit immer mindestens zwei, die den Abgeordneten zuhören. Oder zumindest da sitzen. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) sind es heute. Ihre beiden Haushalte werden an diesem Donnerstagmorgen im Parlament beraten. Und wenn auf den Zuschauertribünen jemand eingeschlafen ist, sagt Klöckner auch schnell mal den Saaldienern Bescheid.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (Mitte) und die Bundestagsvizepräsidenten Omid Nouripour, Josephine Ortleb, Andrea Lindholz und Bodo Ramelow nach der konstituierenden Sitzung im März
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (Mitte) und die Bundestagsvizepräsidenten Omid Nouripour, Josephine Ortleb, Andrea Lindholz und Bodo Ramelow nach der konstituierenden Sitzung im Märzdpa

Die Debatte zu Dobrindts Haushalt, zu Migration und innerer Sicherheit, wird an diesem Morgen zwar hart geführt. Das Protokoll wird später Zwischenrufe vermerken aus der AfD und viele mehr von den Grünen bei der Rede des Ministers, aber Klöckner greift nicht ein. Auch als der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio am Pult von der „Turbozerstörung des Landes“ redet oder von der SPD, „die dieses Land gerne zugrunde richtet für neue Wähler ihrer inländerfeindlichen Positionen“, bleibt sie ruhig. Zwischenrufe der Linken und Grünen vermerkt das Protokoll. Erst als Ministerin Hubig später über ihren Haushalt redet, geht es los. Es ist laut im Saal, viele Abgeordnete stehen auf und gehen, andere kommen rein. Klöckner drückt auf den Knopf, ihr Mikrofon geht an. Es sei eine Form des Respekts, dass eine gewisse Ruhe im Saal herrsche, wenn eine Ministerin redet, sagt Klöckner in strengem Ton. „Keine Nebengespräche.“ Hubig bedankt sich bei Klöckner für den Ruhe-Aufruf.

Doch schon bald muss Klöckner wieder ran. Und es geht um die AfD. Deren Abgeordneter Fabian Jacobi hat seine Rede zum Justizhaushalt gehalten, er geht zurück zu seinem Sitzplatz, da ruft ihm Klöckner noch etwas hinterher. Jacobi hatte in seiner Rede von einem Kartell herrschender Parteien gesprochen. Klöckner weist darauf hin, dass es das nicht gebe, im Bundestag entstünden Entscheidungen per Mehrheitsbeschluss. Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner ruft daraufhin etwas. Klöckner: „Wenn Sie das also wissen, Herr Brandner“, dann solle man sich auch daranhalten, sonst gebe es einen Ordnungsruf. Brandner ruft weiter. Klöckner sagt: „Wollen Sie den Saal verlassen?“ Dann ist Ruhe. Aber es ist ja erst kurz nach 11 Uhr. Der Tag ist noch lang.

Bevor Omid Nouripour an diesem Tag am frühen Abend die Sitzung leiten muss, sitzt er in seinem Büro und erzählt davon, wie er gescheitert ist mit dem Versuch, einen Ordnungsruf zu erteilen. Er erinnert sich noch gut an eine Szene aus der Anfangszeit seiner Vizepräsidentschaft. Er rief eine Rednerin der Linken auf, bezeichnete sie aber als AfD-Politikerin. Nouripour korrigierte sich sofort. Daraufhin rief jemand aus der AfD-Fraktion: „So etwas nehmen wir nicht auf.“ Gegen diese Ausdrucksweise wollte Nouripour vorgehen. Nur konnte er den Zwischenruf nicht klar zuordnen. Er las im Anschluss noch im Protokoll nach, sprach mit den Stenographen. Aber auch sie, die ihre Ohren und Augen überall haben, konnten den Kommentar nicht exakt zuordnen. Es gab keinen Ordnungsruf.

Nur Neulinge im Bundestagspräsidium

Wenn Nouripour die Sitzung leitet, sitzen links und rechts von ihm nicht nur die Schriftführer – die drei sind der Sitzungsvorstand. Hinter ihm sitzen zwei Saaldiener und zwei Juristen aus der Bundestagsverwaltung. Immer wieder treten parlamentarische Geschäftsführer heran, melden Redner an oder protestieren, warum die Sitzungsleitung nicht dieses oder jenes gemacht hat.

Im aktuellen Bundestagspräsidium sind nur Neulinge. In der Vergangenheit gab es oft wenigstens eine Person, die für Kontinuität sorgte. „Da braucht man etwas Zeit, um sich gemeinsam zu sortieren“, erzählt Ortleb hinter dem Bundesadler. Die drei Frauen und die beiden Männer haben eine Chat-Gruppe, in der sie sich austauschen. Jede Sitzung wird in Präsidiumsrunden vor- und nachbesprochen. Welches Wort darf man noch unkommentiert lassen, warum greift man bei „Kartell“ ein?

Wenn während der Sitzung etwas Besonderes passiert, informiert der oder die Vorsitzende seinen Nachfolger, damit er ein Gefühl dafür hat, auf welche Stimmung er oder sie trifft. Das Kollegiale steht im Vordergrund. Der Gedanke, in einer langen Linie zu stehen, um den Parlamentsbetrieb zu gewährleisten. Nouripour hat in seinem Büro ein Porträt von Norbert Lammert von der CDU, der stand einst an der Spitze des Bundestages. Nouripour ist Lammert-Fan, lange schon. Aber nun ist die Verbundenheit noch mal stärker.

„Wir sprechen und stimmen uns eng ab im Präsidium“, sagt auch Klöckner. „Es darf ja nicht nur rein nach dem persönlichen Ermessen gehen, wann man einschreitet. Sonst wird es willkürlich“, sagt sie. „Wir müssen gemeinsam eine Linie vertreten. Das macht Verlässlichkeit aus.“ Dabei geht es aber nicht nur darum, welche Worte eine Reaktion erfordern oder wann man Rednern das Mikrofon abstellt, weil die Zeit längst überschritten ist. Den einen Sitzungsausschluss hat Klöckner veranlasst, ein Linken-Abgeordneter hatte eine Basken-Mütze im Plenum getragen und wollte sie nicht abnehmen. „Wenn man damit anfängt, nimmt das auch kein Ende“, sagt Klöckner. Was passiere, wenn der Nächste mit einem Basecap komme und der Übernächste mit einem Stahlhelm? „Wir müssen das immer vom Ende her denken“, sagt sie.

Allein das gesprochene Wort soll gelten

Das betrifft nicht nur Kopfbedeckungen. Politische Botschaften auf Kleidungsstücken oder Schildern sind nicht zugelassen. Eine andere Linken-Abgeordnete verließ den Saal schon, als sie auf ihren Pullover mit dem Aufdruck „Palestine“ hingewiesen wurde. Als aber die Grünen-Fraktion ihre T-Shirts einmal so abgestimmt hatte, dass sich das Bild eines Regenbogens ergab – Klöckner hatte sich dagegen ausgesprochen, zum CSD die Regenbogenflagge vor dem Bundestag zu hissen –, passierte erst mal nichts.

„Die Debatte im Parlament wird ausschließlich über das Wort geführt, nicht über Transparente, Aufkleber oder Kleidung mit politischen Botschaften“, sagt Klöckner. „Und wenn einige den Regenbogen abbilden als Fraktion, müssen sie sich auch fragen, was sie denn sagen würden, wenn andere Fraktionen mit ihrer Kleidung noch ganz andere Fahnen nachbilden?“ Für Klöckner ist klar: „Wir sollten in dieser Tür keinen Spalt lassen, sonst bekommen wir sie irgendwann nicht mehr zu – dafür tragen alle Abgeordneten Verantwortung.“ Nouripour sagt: „Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Tag und Nacht. Zuweilen ist es spielerisch. Aber es gibt klare Grenzen.“

Nicht so klar ist hingegen, an wen sich mancher Zwischenruf, manche Aktion genau richtet. Offensichtlich sind es nicht mehr nur die Abgeordneten in den Reihen oder die Medien auf der Pressetribüne. Nouripour sagt, manche Störungen zielten darauf ab, auf Social Media unsere parlamentarische Demokratie verächtlich zu machen. „Die konsequente Auslegung der Hausregeln kann auch schon mal so manchen Youtube-Clip kaputt machen.“ Klöckner sagt: „Das acht Sekunden lange Video auf Tiktok für die eigene Klientel ist manchen wichtiger als der Austausch von Argumenten im Saal.“ Es sei zwar grundsätzlich sinnvoll, auch in den digitalen Medien Politik zu erklären und über die eigene Arbeit zu informieren. „Aber wir müssen als Präsidium klarmachen: Erster Adressat für die Plenardebatte sind die Kolleginnen und Kollegen, mit denen man jetzt und hier im Plenarsaal diskutiert.“ Auch die Bilder der grünen Regenbogen-Fraktion gingen rasant durch die sozialen Medien.

Zu später Stunde wird am Donnerstag noch über den Gesundheitshaushalt diskutiert. Ministerin Nina Warken von der CDU ist die Letzte auf der Regierungsbank. Die Reihen sind spärlich besetzt, keine Zwischenrufe mehr. Um 21.50 Uhr schließt Vizepräsidentin Andrea Lindholz von der CSU die Sitzung für diesen Tag. In elf Stunden geht es schon wieder weiter. Mit dem letzten Tag vor der Sitzungspause, Freitag. Es wird wieder hektisch, im Plenum und außerhalb. Die lang geplante Richterwahl wird plötzlich von der Tagesordnung gestrichen. Da kann auch die beste Sitzungsleitung nichts mehr machen. Klöckner wirbt dafür, die Wahl in der nächsten regulären Sitzungswoche nachzuholen. Es bleibe die Verantwortung des Parlaments, zu einer Entscheidung zu kommen. Nach der Sommerpause. Auf die freue man sich, so hört man, fraktionsübergreifend.