Mit Wasserpistolen zogen die Demonstranten durch Barcelona. Sie feuerten Böller ab und entzündeten bengalisches Feuer. „Der Tourismus stiehlt uns unser Brot, unser Dach und unsere Zukunft“, stand auf ihren Plakaten. In Málaga, Granada und San Sebastián schlossen sich Tausende im Juni dem europäischen Protesttag an.
Auch in Italien und Portugal gingen viele Menschen auf die Straße. „Ein Tourist mehr, ein Einwohner weniger“, hieß es in Palma de Mallorca, wo es zur größten Demonstration kam. Auf Englisch, damit es alle verstehen konnten, stand auf einigen Bannern: „Rich foreign property buyers go to hell!“ Wenig später tauchten auf der Insel an Maklerbüros Graffiti mit der Aufschrift „Deutsche raus“ auf.
Frustration und Resignation sind in Spanien gewachsen. Zehntausende demonstrierten schon im vergangenen Jahr gegen den Massentourismus. Doch die Proteste blieben folgenlos: Spanien steht vor einem neuen Rekord. Dieses Jahr könnten es zum ersten Mal mehr als 100 Millionen Touristen werden. Ohne die Ferienwohnungen, die Plattformen wie Airbnb und Booking.com anbieten, wäre es nie zu diesem Boom gekommen. Das spanische Statistikamt zählt knapp 400.000 legale Apartments. Aber die wirkliche Zahl ist viel höher.
Immer mehr Mietwohnungen werden bis heute in Ferienunterkünfte umgewandelt. Gleichzeitig fehlen in Spanien mindestens 1,5 Millionen (bezahlbare) Wohnungen. Die Wohnungsnot treibt in den beliebten Urlaubsorten immer mehr Menschen buchstäblich auf die Straße.
Mietpreise steigen um 70 Prozent
Wo Ausländer Ferien machen, wird das Wohnen zum unbezahlbaren Luxus für viele Einheimische, die oft für sie arbeiten. Dabei werden Zimmermädchen, Kellner und Krankenschwestern in den Badeorten dringender gebraucht als je zuvor. Auf Mallorca und den Nachbarinseln fängt die Mittelschicht an wegzuziehen. Denn die Mieten sind regelrecht explodiert. Auf den spanischen Mittelmeerinseln stiegen sie nach Angaben der Immobilienagentur Fotocasa in den vergangenen zehn Jahren um 158 Prozent. In Barcelona nahmen die Mieten laut Zahlen der Stadtverwaltung um fast 70 Prozent und die Kaufpreise um 40 Prozent zu.
Aber das Geschäft mit den Urlaubern ist einfach zu lukrativ. Rund 4000 Euro nehmen Vermieter in Palma, Barcelona und Ibiza im Monat ein, bis zu 48.000 Euro brutto im Jahr, wie das Analysetool AirDNA errechnet hat. Zum Vergleich: In Spanien kommt die Mehrheit der Arbeitnehmer auf ein Jahreseinkommen von weniger als 15.000 Euro. Dieses Bonanza führte dazu, dass viele Anbieter die Vorschriften ignorierten, mit denen Kommunen bisher hilflos und oft lustlos versuchten, den Markt zu regulieren.

Der Oberste Gerichtshof Spaniens ordnete vor Kurzem an, dass Plattformen wie Airbnb und Booking.com fast 66.000 Angebote wegen Regelverstößen aus dem Angebot nehmen müssen. Ein großer Teil davon konnte nicht die vorgeschriebenen Lizenzen nachweisen. In Madrid prüfte das Verbraucherschutzministerium die mehr als 16.000 digitalen Angebote in der Hauptstadt. Es stellte sich heraus, dass nur gut 1100 die nötigen Genehmigungen hatten.
In spanischen Städten ist ein Krieg ausgebrochen. „Es ist einfach, uns zu Sündenböcken zu machen. Die Gründe für Massentourismus und Wohnungsnot sind vielschichtiger“, sagt der für Spanien und Portugal zuständige Airbnb-Direktor Jaime Rodríguez de Santiago. Zusammen mit seiner Plattform sind mehrere spanische Vermieterverbände zum Gegenangriff übergegangen. Sie sehen sich zu Unrecht beschuldigt und werfen den Politikern eine verfehlte Wohnungsbaupolitik vor.
Die Front verläuft wieder mitten durch Barcelona. Die katalanische Hafenstadt war in Spanien schon immer das große Labor für Wohnungsbau und Tourismus. Bis Ende 2028 soll es dort nach dem Willen des sozialistischen Bürgermeisters Jaume Collboni gar keine Ferienwohnungen mehr geben. Dann laufen sämtliche Lizenzen aus und werden nicht mehr erneuert.
Was bringt ein Verbot von privaten Urlauberunterkünften?
Aber entlastet ihr Verschwinden wirklich den angespannten Markt, für den seit Jahren viel zu wenig gebaut wurde? Das spanische Verfassungsgericht hat jedenfalls keine Einwände gegen den radikalen Kurswechsel in Barcelona und wies eine Klage dagegen ab. Es sei „verfassungsgemäß, die Spielregeln auf dem Wohnungsmarkt zu ändern“, sagt Bürgermeister Collboni: Mit dem Verbot von privaten Urlauberunterkünften sollen rund 10.000 Wohnungen auf den regulären Wohnungsmarkt kommen und mehr als 25.000 Menschen Zugang zu bezahlbarem Wohnraum erhalten.
Der Wohnungsbedarf der Bürger solle endlich Vorrang vor einer touristischen Nutzung haben, verlangt das Stadtoberhaupt. Collboni kann sich auf ein neues katalanisches Gesetz berufen. 262 Kommunen mit einem „Risiko der Störung des städtischen Gleichgewichts durch eine hohe Konzentration von Ferienwohnungen“ dürfen gegen sie vorgehen.
Strafen von bis zu 600.000 Euro
Doch die Eigentümer bezweifeln, dass diese Rechnung wirklich aufgeht. Denn in den vergangenen Jahren hatten die städtischen Behörden in Barcelona gegen illegale Ferienwohnungen durchgegriffen – mit Strafen von bis zu 600.000 Euro. Ihre Zahl sank von 9000 auf wenige Hundert. Das Angebot sei allein zwischen 2021 und 2024 um fast 50 Prozent gesunken, kalkuliert Airbnb. Trotzdem stiegen die Mieten, und es kommen noch mehr Touristen.
„Es ist einfach, Plattformen wie Airbnb die Schuld zu geben“, sagt deren Vertreter Jaime Rodríguez de Santiago. Doch das lenke nur vom Versagen Barcelonas ab, endlich Wohnungen zu bauen und etwas gegen den Massentourismus zu unternehmen. „Overtourism wird überwiegend durch die Hotels und große Reiseveranstalter angetrieben“, heißt es in einer neuen Studie von Airbnb. Von den 40 Millionen Übernachtungen in Barcelona entfielen im Jahr 2023 demnach 72 Prozent auf Hotels und ähnliche Unterkünfte – viermal so viele wie auf Airbnb.

Auch die Eigentümer, die sich im lokalen Verband der Ferienwohnungsbesitzer in Barcelona (Apartur) zusammengeschlossen haben, sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt: Weniger als ein Prozent aller Wohnungen in der Stadt seien Touristenapartments. Es gebe keine Garantie dafür, dass sie 2028 wieder auf den Mietmarkt zurückkehren werden. „Nur drei Prozent wollen ihre Wohnung ganz normal vermieten, 97 Prozent wollen sie verkaufen, leer stehen lassen oder für kürzere Zeiträume an Studenten vermieten“, sagt der Apartur-Vorsitzende, Enrique Alcántara.
Er verweist auf eine neue Untersuchung, die seine Vereinigung beim Wirtschaftsprüfer PwC in Auftrag gegeben hat. So wäre auch der wirtschaftliche Schaden groß: Der Wegfall der Ferienwohnungen würde in Barcelona bis zu 40.000 Arbeitsplätze bedrohen und 1,9 Prozent der Wirtschaftsleistung und die touristische Konkurrenzfähigkeit der Stadt gefährden.
„Barcelona könnte keine großen Messen wie den ,Mobile World Congress‘ mehr veranstalten“, sagt Alcántara. Denn mit dem Verbot verschwänden bis zu 60.000 Betten, die fast 40 Prozent des gesamten Angebots und 2024 ein Drittel aller Übernachtungen ausmachten.
Hotel für 170 Euro die Nacht
Das sieht man bei Airbnb ähnlich. Vor allem die Gastgeber, die lokale Wirtschaft und Reisende mit einem kleineren Budget würde es treffen, darunter viele Familien. Momentan kostet eine Hotelübernachtung in Barcelona durchschnittlich mehr als 170 Euro. Airbnb selbst könnte Verluste in Barcelona indes verkraften. Keine Stadt macht nach Angaben der Plattform mehr als zwei Prozent des Umsatzes aus.
Die Vermieter in Barcelona und den katalanischen Urlaubsorten an der Küste sehen sich jedoch in ihrer Existenz gefährdet. Apartur und andere Eigentümer wollen bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, um die Pläne des Bürgermeisters zu stoppen und von der Stadt Schadenersatz von mehr als vier Milliarden Euro zu fordern.

Denn es geht nicht nur um Barcelona. Nach Katalonien reisen jedes Jahr mehr Urlauber als auf die Balearen und Kanaren. Das neue katalanische Gesetz erlaubt auch anderen Urlaubsorten, Lizenzen zu entziehen. Der größte katalanische Verband der Ferienvermieter Federatur hält das für einen falschen Weg, der nirgendwohin führe: Besonders an der Küste dominierten nicht die klassischen Airbnb-Apartments, sondern Zweitwohnungen von Privatleuten, die diese für ihre eigenen Urlaube nutzen und nur für kürzere Zeit vermieten. Ihr Anteil belaufe sich an manchen Orten auf bis zu 70 Prozent.
Diese Apartments würden nicht automatisch auf den regulären Mietmarkt zurückkehren. Federatur weist auf ein anderes, noch größeres Potential hin. „In Katalonien gebe es viel mehr leer stehende Wohnungen als Touristenapartments“, teilt der Verband mit. In Barcelona sind es laut Zahlen des Nationalen Statistikamtes (INE) 75.000 – fast jede zehnte Wohnung steht leer. Im ganzen Land geht es um 3,8 Millionen leer stehende Wohnungen. Mietwohnungen sind in Spanien jedoch schon seit Langem chronisch knapp. So wird in Barcelona nur rund ein Viertel der insgesamt 800.000 Wohnungen vermietet. Beim sozialen Wohnungsbau ist Spanien im europäischen Vergleich ein Entwicklungsland. Lange Zeit durften öffentlich geförderte Wohnungen nach einiger Zeit auf dem freien Markt verkauft werden.
Boom mit Immobilien
Im Eigentümerland Spanien zögern weiterhin viele Eigentümer, längerfristig zu vermieten. Sie ziehen kurzfristige Lösungen vor. Der Airbnb-Boom machte vielen den Wert ihrer Immobilien bewusst, mit denen sie schnell viel Geld verdienen konnten. Nach Einschätzung von Fachleuten war das ein wichtiger Preistreiber auf dem Immobilienmarkt.
In Barcelona zeigt zwar eine Mietpreisbremse erste Folgen – aber nicht ganz den erhofften Effekt. Die Neuregelung lässt ein Schlupfloch offen. Denn Kurzzeitmieten zwischen einem und elf Monaten sind ausgenommen. „Verfügbar zwischen zwei und zwölf Monaten“, heißt es in den meisten Anzeigen.
Barcelona ist weiter als der Rest des Landes, aber noch kein Trendsetter bei der Regulierung der Ferienvermietung. In Málaga vergibt die Stadtverwaltung seit Jahresbeginn nur noch Lizenzen in Stadtteilen, in denen weniger als acht Prozent der Wohnungen an Touristen vermietet werden. Die 13.000 bestehenden Genehmigungen bleiben jedoch in Kraft.
In der Hauptstadt Madrid, in die es immer mehr Touristen zieht, tritt im August ein Plan in Kraft, der verhindern soll, dass Touristen und Einwohner im selben Gebäude zusammenleben. Im historischen Zentrum werden künftig keine neuen Lizenzen mehr für Touristenwohnungen in Wohngebäuden erteilt. In anderen Stadtteilen nur dann, wenn diese über einen separaten Zugang verfügen.
Anfang Juli ließ ein Urteil aufhorchen. Eine Richterin ordnete die Schließung von zehn Ferienunterkünften in einem Wohnhaus im beliebten Latina-Viertel an, um die Gesundheit und die Privatsphäre der Kinder einer Familie zu schützen. Seit Jahren litten sie unter dem Lärm, dem Schmutz und den Trinkgelagen ihrer dauernd wechselnden Nachbarn. In Madrid, dessen konservative Stadtverwaltung bisher fast alles dem Markt überließ, ist von einem bahnbrechenden Urteil die Rede.