Konjunktur: Dieser Aufschwung ist trügerisch

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Es tut sich etwas in der deutschen Wirtschaft. Nach Jahren der Rezession werden erste Zeichen eines Aufschwungs sichtbar. Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts steigt seit Anfang des Jahres. Weniger Unternehmen als noch vor einigen Monaten hatten zuletzt Schwierigkeiten, ihre Geschäftsentwicklung zu prognostizieren. Der Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe lag im Mai um 5,3 Prozent höher als ein Jahr zuvor, der Umsatz im Einzelhandel immerhin um 1,6 Prozent. Die Preise für Wohnimmobilien steigen nach zwei Jahren des Rückgangs wieder kräftig. Vom Dax ganz zu schweigen: Der Aktienindex steht auf Rekordhoch, 23 Prozent Plus waren es allein seit Jahresbeginn – trotz Zollchaos und Börsenturbulenzen.

So kann es gern weitergehen. Deutschland scheint in diesen Sommertagen wirtschaftlich aus dem Gröbsten heraus zu sein. Doch es wäre falsch zu glauben, dass schon alles gut wird und man bei notwendigen Strukturreformen die Handbremse anziehen kann.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Dass die Konjunktur anzieht, ist zunächst einmal nicht überraschend. Deutschland hat in den vergangenen Jahren die längste Rezession der Nachkriegsgeschichte durchlebt. Dass die Wirtschaft zwei Jahre in Folge schrumpft, wie sie es 2023 und 2024 tat, hat es seit Gründung der Bundesrepublik noch nie gegeben. Und es liegt nun mal in der Natur von Konjunkturzyklen, dass es früher oder später wieder nach oben geht. Die Wirtschaft hat sich dann ein bisschen gesundgeschrumpft, die Stimmung verbessert sich, die Zinsen sind gefallen. Diejenigen, die gerade noch jeden Euro zusammengehalten haben, trauen sich wieder, ein bisschen mehr auszugeben.

Die strukturellen Probleme sind ungelöst

Glücklich schätzen können sich die Politiker, die zufälligerweise gerade dann im Amt sind, wenn dieser Moment einsetzt. Wäre der Aufschwung etwas früher gekommen, wäre die Bundestagswahl vielleicht anders ausgegangen. Dazu kommt die Aussicht auf die gewaltigen Staatsausgaben, die das Sondervermögen für Infrastruktur bald möglich macht. Ökonomen prognostizieren bereits eine kräftig anziehende Konjunktur dank der schuldenfinanzierten Investitionen.

Doch längst nicht alle Probleme der deutschen Wirtschaft lassen sich mit Schulden lösen. Das fängt bei der Demographie an. Trotz Renteneintritt der Babyboomer sind zuletzt zwar die Arbeitslosenzahlen gestiegen. Absehbar ist aber, dass dem Aufschwung der Wirtschaftsleistung mit einigen Monaten Verzögerung auch die entsprechende Bewegung am Arbeitsmarkt folgen wird. Und da stößt Deutschland dann wieder an seine Grenzen: In keiner anderen entwickelten Volkswirtschaft beklagen so viele Unternehmen gravierende Personalengpässe. Neben der Alterung machen die hohe Teilzeitquote deutscher Frauen, die wachsende Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss und ein im Allgemeinen lethargischer Arbeitsmarkt der Wirtschaft zu schaffen.

Überbordende Bürokratie bleibt ein Problem. Unternehmensgründungen kommen in Deutschland nicht vom Fleck. Start-ups suchen sich ihre Kapitalgeber notgedrungen im Ausland, weil sie in Deutschland nicht an Geld kommen. Und hinter der Wettbewerbsfähigkeit großer deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt, etwa in der Autobranche, steht weiterhin ein Fragezeichen.

All das führt dazu, dass dem Wachstum der deutschen Wirtschaft enge Grenzen gesetzt sind. Das Potentialwachstum, das bei normaler Auslastung der Kapazitäten bestenfalls möglich wäre, ohne die Inflation anzutreiben, lag zuletzt nur noch bei 0,4 Prozent im Jahr. 2015 waren es noch 1,5 Prozent. Der Arbeitskräftemangel wird dieses Potential auch in den kommenden Jahren weiter drücken.

Die Schulden können zwar das Wachstum kurzfristig heben. Damit es auch von Dauer ist, muss nicht nur das Geld auch wirklich gezielt ausgegeben werden. Deutschland braucht außerdem dringend einen Produktivitätsschub, es muss aus den vorhandenen Ressourcen mehr machen. Sonst kommen jetzt vielleicht wieder ein paar gute Jahre, aber der langfristige Trend zeigt dann weiter nach unten.