Zuerst gab es eine Welle gegenseitiger Entführungen, dann brach die Gewalt mit voller Wucht aus: Der Süden Syriens wurde von Kämpfen zwischen Angehörigen der drusischen Minderheit und Beduinen erschüttert. Es gab Dutzende Tote. Die Feindschaft zwischen beiden Bevölkerungsgruppen reicht weit in die Vergangenheit zurück, Kämpfe gab es schon im 19. Jahrhundert. Die jetzige Eskalation wirft einen Schatten auf die Gegenwart, in der Syrien um eine friedliche Zukunft ringt. Immer wieder kommt es zu Gewaltausbrüchen gegen Minderheiten. Und immer wieder schüren diese unter deren Angehörigen Misstrauen gegenüber der von Islamisten dominierten neuen Führung in Damaskus.
Auch unter den Drusen hat das Misstrauen zugenommen. Ende April hatte es bei tagelangen Kämpfen mehr als 130 Tote gegeben. An den Angriffen waren seinerzeit auch Beduinen beteiligt. Die Gewalt war aber von islamistischen Bewaffneten mit losen Verbindungen zur Regierung angezettelt worden. Daher stieß nun auch das Eingreifen der Führung in Damaskus, die am Montag Truppen in die drusische Stadt Sweida schickte, auf Widerstand. Am Nachmittag wurden Zusammenstöße auch zwischen Drusen und Regierungskräften gemeldet.
Angriffe Israels
Israel, das sich zur Schutzmacht der Drusen in Syrien erklärt hat, griff ebenfalls in die Kämpfe ein. Die Luftwaffe traf nach Armeeangaben mehrere Panzerfahrzeuge der syrischen Sicherheitskräfte. Die Drusen waren mehrheitlich von Anfang an auf Distanz zu den neuen Machthabern gegangen. Die Bewohner von Sweida wollen selbst für Sicherheit in der Stadt sorgen und ihre Waffen nicht abgeben. Aus einer Quelle in Damaskus, die an Vermittlungsinitiativen zwischen Bevölkerungsgruppen beteiligt ist, hieß es am Montag, die Kraftprobe drohe die Spaltung weiter zu vertiefen. Es sei besorgniserregend, auf welche Weise sich die Stimmung immer weiter aufheize.
Ein mit Syrien befasster Diplomat hatte unlängst ebenfalls Sorge darüber geäußert, dass alle Minderheiten seit der Machtübernahme Scharaas furchteinflößende Erfahrungen gemacht hätten. Im März hatten Milizionäre unter dem Banner der Regierung ein Blutbad an den Alawiten, der Bevölkerungsgruppe des gestürzten Gewaltherrschers Baschar al-Assad, angerichtet. Regelmäßig, sagen Beobachter in Syrien, komme es zu Entführungen und Morden an Alawiten. Zuletzt wurden die Christen von einem Terroranschlag erschüttert: In einer Kirche riss ein dschihadistischer Selbstmordattentäter mindestens 25 Menschen in den Tod.
Scharaa kündigte an, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Aber er besuchte den Anschlagsort nicht. Er bezeichnete die Opfer auch nicht als Märtyrer. Beides bestärkte die Skeptiker in ihren Zweifeln an der Entschlossenheit des früheren Dschihadistenführers, den Umtrieben islamistischer Eiferer energisch entgegenzutreten. Nicht alle Milizionäre seiner Islamistenallianz „Hayat Tahrir al-Scham“, aus deren Reihen viele der frisch staatlich uniformierten Kräfte stammen, verhalten sich diszipliniert und staatstragend. Die Sicherheitskräfte sind nach dem Sturz des Regimes ausgedünnt. Abgesehen davon verhalte sich Scharaa, der sich eigentlich pragmatisch zeige, in der Vertrauenskrise der Minderheiten nicht immer hilfreich, sagte der Diplomat.