Krieg gegen die Ukraine: Trumps Kehrtwende

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Diesmal schwieg J. D. Vance. Als Donald Trump am Montag vor dem Kamin im Oval Office neben NATO-Generalsekretär Mark Rutte saß und seinen Kurswechsel im Ukrainekrieg verkündete, saß der amerikanische Vizepräsident still auf dem Sofa und lächelte freundlich. Rutte zeigte sich überschwänglich: „Das ist wirklich groß. Das ist wirklich groß“, kommentierte er Trumps Initiative. Es bedeute, der US-Präsident wolle der Ukraine geben, was das Land brauche, um sich gegen Russland zu verteidigen.

Vor viereinhalb Monaten hatte Vance nicht geschwiegen. Er hatte das Wort ergriffen, als Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office empfangen hatte. Es war der Auftakt zu einer Art Hinterhalt, bei dem Selenskyj gedemütigt wurde. Trump brüskierte den Kriegspräsidenten: „Sie halten im Moment nicht die Karten in der Hand. Gemeinsam mit uns halten Sie die Karten in der Hand. Sie spielen mit dem Leben von Millionen von Menschen. Sie spielen mit dem Dritten Weltkrieg und was Sie tun, ist sehr respektlos gegenüber diesem Land.“ Nach dem öffentlichen Teil der Begegnung im Oval Office wurde das Treffen abgebrochen, einige sagten, Trump habe Selenskyj rausgeschmissen.

Erschütterungen gingen durch Europa. Friedrich Merz, seinerzeit noch nicht Bundeskanzler, sprach von einer „herbeigeführten Eskalation“. Auch in anderen Hauptstädten Europas verfestigte sich der Eindruck, dass Trump sich nicht viel um das Schicksal Europas schert. Vance hatte schon nach Beginn des russischen Angriffkrieges gegen die Ukraine Präsident Joe Biden vorgeworfen, sich mehr um die Grenzen in Osteuropa zu sorgen als um die eigene Südgrenze.

Trump hat schrittweise seine Meinung verändert

Und Trump hatte im Wahlkampf immer wieder versprochen, innerhalb von 24 Stunden einen Deal zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Selenskyj zu vermitteln. Nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus versuchte er, Kiew zu territorialen Zugeständnissen zu nötigen. Putin gewinne nun einmal auf dem Schlachtfeld. Und das Sterben müsse aufhören. Er verstieg sich gar zu der Bemerkung, Selenskyj habe den Krieg angefangen. Und der Republikaner Lindsey Graham, ein wichtiger Verbündeter im Senat, legte nach dem Eklat im Oval Office gar nahe, Selenskyj müsse zurücktreten.

Schrittweise hat Trump seine Meinung verändert. Nach mehreren ergebnislosen Telefonaten mit Putin sagte er Ende April erstmals, er bekomme den Eindruck, dass der russische Präsident ihn zu manipulieren versuche und den Krieg gar nicht beenden wolle. Womöglich müsse man anders mit Moskau umgehen, etwa mit Sekundärsanktionen. In den folgenden Wochen äußerte Trump immer wieder seine Enttäuschung über Putin, über den er vorher mehrmals Bewunderung geäußert hatte.

In der vergangenen Woche, nach einem abermaligen Telefonat mit dem Kremlherrn und einem folgenden russischen Bombardement in der Ukraine, riss ihm dann die Hutschnur: „Wir bekommen von Putin eine Menge Blödsinn aufgetischt“, sagte Trump. Er sei „immer sehr nett“, aber das stelle sich am Ende als bedeutungslos heraus. Putin töte zu viele Menschen.

Ultimatum an Putin

Seither wurde ein – intern nicht abgestimmter – Lieferstopp des Pentagons für Waffen in die Ukraine kassiert. Außerdem signalisierte das Weiße Haus, der Präsident sei geneigt, einem Gesetzentwurf, der Sekundärsanktionen gegen Russlands wichtigste Partner enthält, unter bestimmten Umständen zuzustimmen. Ironie der Geschichte: Der fraktionsübergreifend unterstützte Entwurf stammt aus der Feder Grahams. Auch der Senator, ein langjähriger Russland-Falke, besann sich eines Besseren.

Am Montag folgte dann die in der vergangenen Woche angekündigte Erklärung Trumps zu Russland. Der Präsident stellte Putin ein Ultimatum: Sollte Moskau nicht binnen 50 Tagen einem „Deal“ zur Beendigung des Ukrainekriegs zustimmen, würde Washington gegen die Bezieher von russischem Öl, Gas und Uran Strafzölle von 100 Prozent verhängen. Auch werde er massiv Waffen an Kiew liefern, für welche freilich ausnahmslos die NATO-Partner zahlen würden. Es geht um Raketen, Munition und um das Flugabwehrsystem Patriot. Die NATO werde die Lieferung mit den europäischen Partnern koordinieren.

Stunden später verkündete der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius nach einem Treffen mit Pentagon-Chef Pete Hegseth in Washington, beide Länder bereiteten in einem ersten, kurzfristigen Schritt die Lieferung von zwei weiteren Patriots vor. Berlin werde dafür zahlen, egal ob die Systeme direkt aus den Vereinigten Staaten kämen oder aus deutschen Beständen, die dann durch Systeme aus Amerika ersetzt würden. Letzte technische, logistische und finanzielle Details müssten noch geklärt werden.

Der innenpolitische Preis

Was die Sanktionen anbelangt, scheint Trump ohne den Gesetzentwurf aus dem Kongress auskommen zu wollen. John Thune, Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, sagte am Montag, er warte noch mit der Einbringung des Entwurfs ins Plenum: Es klinge so, als wolle der Präsident versuchen, allein vorzugehen – also per Verordnung. Wenn Trump aber zu der Auffassung gelangen sollte, dass ein Gesetz nötig sei, werde man rasch handeln.

Trumps Selbstkorrektur hat einen innenpolitischen Preis, weshalb der Präsident und Rutte mehrmals hervorhoben, dass die Europäer für die Waffen zahlten. An der MAGA-Basis ist der Schritt umstritten – so wie schon Trumps militärische Intervention in Iran. Da gibt es zum einen eine isolationistische Strömung, die Amerika gänzlich aus ausländischen Konflikten heraushalten will. Zum anderen ist da die Strömung der China-Falken. Sie will das Augenmerk auf den indopazifischen Raum richten, wo die wahren Interessen Amerikas lägen. China sei die eigentliche strategische Herausforderung der Vereinigten Staaten.

Merz: „Deutschland wird sich entschieden einbringen“

Bundeskanzler Friedrich Merz reagierte noch am Montag auf Trumps Kehrtwende. Er lobte die Verabredung zur weiteren Bewaffnung Kiews, schwieg aber zu den Sekundärsanktionen. Merz würdigte die Ankündigung von Trump, „in großem Umfang“ Waffen zu liefern, als „wichtige Initiative“. Hierüber hätten Trump und Merz in den vergangenen Tagen mehrfach beraten. „Ich habe ihm zugesichert: Deutschland wird sich entschieden einbringen“, teilte Merz auf der Plattform X mit.

„Wir tun das im eigenen Interesse“, erklärte der Kanzler weiter. „Der Ukraine wird das helfen, sich gegen Russlands Bombenterror zu wehren. Nur so wird der Druck auf Moskau wachsen, endlich über Frieden zu verhandeln. Schließlich zeigen wir, dass wir als sicherheitspolitische Partner am selben Strang ziehen.“ Jetzt würden rasch die Einzelheiten geklärt. Dazu stehe die Bundesregierung in Kontakt mit den Partnern.

NATO-Generalsekretär Rutte nannte neben Deutschland, das „massiv“ Waffen in den USA kaufen wolle, sieben weitere NATO-Staaten, die ihm dies zugesichert hätten: Dänemark, Finnland, Kanada, Niederlande, Norwegen, Schweden und das Vereinigte Königreich. Er war am vorigen Donnerstag von Trump über dessen Kurswechsel zu Russland informiert worden und hatte daraufhin Mitgliedstaaten konsultiert. Man werde die Hilfe für Kiew innerhalb der Allianz koordinieren und „Pakete“ schnüren, sagte Rutte.

Das bezog sich offenkundig auf das in Wiesbaden beheimatete NATO-Kommando, das Lieferungen für die Ukraine abstimmt und dafür sorgt, dass die Waffen ihr Einsatzgebiet erreichen und in Polen instandgesetzt werden. Dieses Kommando mit dem Namen NSATU (NATO Security Assistance for Ukraine) nahm im Dezember 2024 seine Arbeit auf und unterstützt die Ukraine-Kontaktgruppe für Verteidigung, das sogenannte Ramstein-Format. Die NATO selbst wird keine Waffen beschaffen; das bleibt den Mitgliedstaaten vorbehalten.

Rutte selbst kam während des 35 Minuten langen Auftritts mit Trump im Oval Office nur kurz zu Wort. Wie bei vorigen Treffen übernahm er die Rolle des Claqueurs, der Trump vor laufenden Kameras preist und rühmt. Ausdrücklich sagte er, dass es nur folgerichtig sei, wenn die Europäer jetzt allein für Militärhilfe aufkämen – eine Position, die in der Allianz nicht abgestimmt ist. Der amerikanische Präsident bescheinigte dem Niederländer im Gegenzug, einen „fantastischen Job“ zu machen, und erklärte ihn gleich noch zum „Anführer vieler Staaten“.