Warum SPD und CDU nicht über Ziele reden wollen

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In der Klimapolitik geht es um lange Linien. Aber Katharina Dröge haben wenige Wochen gereicht, um sich ein Bild von der neuen Koalition zu machen. Wenn Schwarz-Rot so weitermacht, „dann können Sie auch gleich sagen: Wir wollen den Planeten brennen sehen“, donnerte die Grünen-Fraktionschefin dem Bundeskanzler kurz vor der Sommerpause im Bundestag entgegen. Tatsächlich will die Koalition klimapolitisch nicht so weitermachen, wie die Ampel aufgehört hat.

Statt den Ausbau der Erneuerbaren zu priorisieren, sollen die Stromkosten sinken und damit E-Autos, Wärmepumpen und elektrische Industrieanlagen im Betrieb günstiger werden. Statt über den ­Klimaschutz in Deutschland zu reden, soll er international vorangebracht werden. Über diese Ansätze hinaus zeichnet sich noch keine Klimapolitik aus einem Guss ab – auch weil die Klimapolitiker gerade damit beschäftigt sind, zu ermessen, wie viel Rückhalt sie in ihren Fraktionen haben. Einig sind sich die Fachpolitiker, an den Klimazielen festzuhalten.

Auch der Bundeskanzler verteidigt diese Ziele im Grundsatz. „Diese Bundesregierung steht zu den Zielen des Klimaschutzes, die wir national, europäisch und international vereinbart haben“, sagte Friedrich Merz vergangene Woche im Bundestag und fügte hinzu, es gebe in dieser Frage keinen Dissens in der Bundesregierung.

Paroli gegen die Ministerin

Dabei hatte seine Wirtschaftsministerin Katherina Reiche einige Wochen zuvor über das deutsche Klimaziel gesagt, eine „Harmonisierung mit internationalen Zielen“ wäre gut – das könnte bedeuten, dass in Deutschland erst von 2050 an nicht mehr Klimagase ausgestoßen werden sollen, als in Senken gebunden werden. Bisher soll dieses Ziel schon 2045 erreicht werden. Man müsse jedenfalls schauen, was möglich sei, sagte Reiche, deren Ministerium den Klimaschutz anders als während der Ampelzeit nicht mehr im Namen trägt.

Die Zuständigkeit für Klimapolitik ist zurück im Bundesumweltministerium, das der Sozialdemokrat Carsten Schneider führt. In den ersten Wochen der Koalition gab er Reiche immer wieder Paroli: „Ein Rückschritt hinter die beschlossenen Ziele oder erratische Kehrtwenden in Grundsatzentscheidungen wird es mit mir nicht geben“, sagte Schneider, der bis zur Regierungsbildung nicht als Klimapolitiker aufgefallen war.

Die Klimapolitiker im Parlament haben wenig Interesse an einer Diskussion über Klimaziele, die europäisch abgestimmt waren – würde die Bundesregierung nun bremsen, wäre das eine Einladung an andere Mitgliedstaaten, die eigenen Ziele ebenfalls zurückzustellen. Dann könnte ein Dominoeffekt eintreten: Wenn die EU ihr Klimaziel aufgibt, dürfte auch der größte Emittent China seines kippen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Andreas Jung sagt, international und „für Europa kommt Deutschland die Aufgabe zu, der Verantwortung aus dem Pariser Abkommen gerecht zu werden“.

Statt über Ziele wollen die schwarz-roten Klimapolitiker lieber darüber reden, wie Deutschland der Klimaneutralität näher kommen kann. „Wir müssen sie unbedingt mit wirtschaftlicher Stärke und sozialer Akzeptanz erreichen“, sagt der CDU-Politiker Jung. Marktwirtschaftlich will man vorgehen, vor allem die Union setzt stark auf den Emissionshandel, also darauf, CO2 zu bepreisen.

Klima schützen soll Geld sparen

In die Legislaturperiode fällt dabei eine besondere Herausforderung: Von 2027 an soll auch in den Bereichen Verkehr und Wohnen der europäische Emissionshandel einsetzen. Bisher weiß keiner sicher, ob das in Deutschland Heizen und Tanken sofort teurer machen wird. Die Koalition hat sich jedenfalls vorgenommen, Preissprünge unbedingt zu verhindern – der Emissionshandel soll seine Wirkung ohne Schock entfalten. Die Botschaft soll sein: Wer das Klima schützt, spart Geld, „aber niemand wird überfordert“, sagt Jung. Denn Energie solle nicht generell verteuert werden.

Die aktuell hohen Preise für Strom sehen auch die Klimapolitiker der Koalition als Problem. Dass die Stromsteuer anders als vor der Wahl, im Koalitionsvertrag und einem Sofortprogramm nach Regierungsübernahme versprochen, doch nicht für alle Verbraucher gesenkt wird, finden viele Abgeordnete falsch. Der CDU-Politiker Thomas Gebhart sagt, es gehe dabei auch nicht nur um eine allgemein notwendige Entlastung: „Niedrigere Stromkosten sind ein wesentlicher Baustein unserer Klimapolitik. Sie machen Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge attraktiver.“

Vom marktwirtschaftlichen Ansatz in der Klimapolitik gönnt sich nach Auffassung einiger Klimapolitiker auch der Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) eine Auszeit. Er hat beschlossen, die Gasspeicherumlage künftig aus dem Klima- und Transformationsfonds zu bezahlen. Bisher mussten die Gasverbraucher diese Umlage bezahlen, mit der die hohen Einkaufskosten während der Energiekrise nach dem russischen Überfall auf die Ukra­ine über mehrere Jahre gestreckt abgetragen werden sollen. Dass nun aus dem Klimafonds des Bundes nachträglich der Verbrauch eines fossilen Brennstoffes subventioniert wird, bestrafe diejenigen, die nicht mit Gas heizen, sagt ein Politiker aus den Reihen der Koalition. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums hingegen verteidigt die Entscheidung. „Ein sinkender Gaspreis erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass kurzfristig vermehrt klimaschädlichere Kohlekraftwerke aus dem Markt gedrängt und durch Gaskraftwerke ersetzt werden können.“

Knackpunkt Gaswerke

Der Umgang mit Gaskraftwerken „ist ein klimapolitischer Knackpunkt in der Koalition“, sagt Jakob Blankenburg. Der Sozialdemokrat kritisiert aber nicht die Entscheidung seines Parteichefs Klingbeil, sondern Pläne von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. Diese will (wie schon ihr Grünen-Vorgänger Robert Habeck) Gaskraftwerke bauen, um das Netz zu stabilisieren, und als Back-up für Zeiten, in denen die Erneuerbaren weniger Strom liefern.

Eigentlich wollte Reiche erst einen Monitoringbericht abwarten, der zeigen soll, wie viel Strom das Land braucht. Trotzdem sprach sie schon davon, „mindestens“ 20 Gigawatt an Kapazität zubauen zu wollen. Im Koalitionsvertrag ist die Rede von „bis zu“ 20 Gigawatt. Blankenburg sieht in einem zu großzügigen Bau von Gaskraftwerken eine Gefahr: „Wenn wir heute in Gasinfrastruktur investieren, dann nur so, dass sie morgen auch für Wasserstoff genutzt werden können. Sonst laufen wir Gefahr, uns dauerhaft an fossile Energien zu binden.“

Zu den Knackpunkten zählt auch die Frage, in welchem Ausmaß künftig CO2-Abscheidung und -speicherung (CCS) eingesetzt werden soll. In den Koalitionsverhandlungen hatten sich Union und SPD darauf geeinigt, den Einsatz dieser Technologie auch bei Gaskraftwerken zu erlauben. Aber bei den Sozialdemokraten gibt es Vorbehalte. Sie fürchten, dass ein teures Netz an CO2-Pipelines aufgebaut werden könnte und dann kein Geld mehr für den ebenfalls benötigten Bau eines Wasserstoffnetzes da sein könnte. „Für mich ist entscheidend: Die Klimaziele dürfen nicht durch den Einsatz von CCS bei diesen Kraftwerken verwässert werden“, sagt Blankenburg.

In der SPD gibt es noch eine Sorge: dass die AfD die Klimapolitik für weitere Attacken nutzt. Die Partei hat es dabei verhältnismäßig einfach. AfD-Politiker behaupten, den Klimawandel gebe es nicht oder er sei zumindest nicht die Folge menschlichen Handelns. Umso leichter sind die Rezepte, die die Partei vorschlägt: Alle Klimapolitik weg! Das, fürchtet zum Beispiel Jakob Blankenburg, könnte vor allem bei denjenigen verfangen, die die CO2-Bepreisung spüren. Also brauche es Förderprogramme vor allem für diejenigen, „die sich eine Wärmepumpe oder ein E-Auto sonst nicht leisten könnten“. Auch in der Union machen sich viele Gedanken darüber, wie die AfD das Klimathema nutzen könnte.

Gegen mögliche Angriffe soll der internationale Fokus helfen. Besonders Politiker der Union betonen, dass Klimaschutz eine internationale Aufgabe sei. „Deutschland hat ungefähr ein Prozent der Weltbevölkerung. Wir stellen ungefähr zwei Prozent des Problems dar, was CO2-Emissionen betrifft“, sagte Bundeskanzler Merz dann auch im Bundestag. „Selbst wenn wir alle zusammen morgen in Deutschland klimaneutral wären, würde keine einzige Naturkatastrophe auf dieser Welt weniger geschehen.“ Entsprechend aktiv zeigt sich die Koalition in der Klimadiplomatie. Den Vorschlag der EU-Kommission für das Klimazwischenziel im Jahr 2040 bereitete man durch eine ungewöhnlich detaillierte Formulierung im deutschen Koalitionsvertrag vor. Während mehrere europäische Regierungschefs eine Abschwächung des Ziels forderten, lobte Merz den Vorschlag.