Umbau des Bürgergelds: Wohnen Bürgergeldbezieher zu teuer?

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Wer von staatlicher Grundsicherung für Arbeitssuchende lebt, soll künftig stärker zur Aufnahme von Arbeit angehalten werden. So haben es Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart. Neben strengeren Mitwirkungspflichten sind Begrenzungen finanzieller Leistungen ge­plant. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will damit nach dem Sommer zügig loslegen und unter anderem die Erstattung von Wohnkosten begrenzen. Das kündigte er am Wochenende an. Zur Begründung führte Merz an, dass Bürgergeldhaushalte in Großstädten bis zu 20 Euro je Quadratmeter gezahlt bekämen, was zu viel sei. Merz stößt auf giftige Gegenwehr der SPD. Deren stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt unterstellt dem Kanzler, „das Problem teuren Wohnraums durch mehr Obdachlosigkeit“ lösen zu wollen. Merz’ Vorschläge seien „wenig ausgegoren“. Schon heute seien „die Wohnungsgrößen für Bürgergeldempfänger begrenzt“.

Welche Wohnkosten übernimmt der Staat heute für Haushalte, die Bürgergeld beziehen?

Eine allgemeingültige Antwort darauf gibt es nicht. Der Grundsatz steht in Paragraph 22 des Zweiten Sozialgesetzbuchs: „Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen aner­kannt, soweit diese angemessen sind.“ Was als „angemessen“ gilt, das regeln im Alltag teils die Ausführungsbestimmungen der einzelnen Kommunen und teils die Justiz. Auf Klagen von Bür­ger­geld­beziehern hin werden die kommunalen Bestimmungen immer wieder von Sozialgerichten beanstandet und mit, je nach Gericht unterschiedlichen Maßstäben, korrigiert. Der Bundesrechnungshof rügte in einem Prüfbericht von September 2024 zum wiederholtem Mal, dass es kein bundeseinheitliche und rechtssichere Rahmenregelung gebe, wie „angemessene“ Wohnkosten im Bürgergeld zu ermitteln sind.

Welche Wohnflächen und -kosten erkennen Jobcenter im Alltag an?

Für Einpersonenhaushalte gelten vielerorts bis zu 50 Quadratmetern als angemessen, so etwa in München. Stuttgart ist etwas strenger und zieht seine Orientierungslinie bei 45 Quadratmetern. Für Dreipersonenhaushalte halten beide Städte – wie auch viele andere – 75 Quadratmeter für angemessen. Für jede weitere Person werden weitere 15 Quadratmeter anerkannt, für eine vierköpfige Familie also 90 Quadratmeter.

Was darf so eine Wohnung kosten?

Die Richtbeträge für die Bruttokaltmiete werden von den Kommunen anhand des örtlichen Mietenniveaus ermittelt. Berlin sieht etwa für Einpersonenhaushalte 449 Euro im Monat vor, wobei sich der Betrag unter anderem durch einen sogenannten Umzugsvermeidungszuschlag auf 610,75 Euro erhöhen kann. In Stuttgart gibt als Regelobergrenze für Einpersonenhaushalte 563 Euro vor, München 849 Euro. Für einen Vierpersonenhaushalt sind es in der bayerischen Landeshauptstadt 1569 Euro. Außerdem übernehmen die Jobcenter die Heiz- und Warmwasserkosten.

Kann es angehen, dass ein Jobcenter Mietkosten von 20 Euro je Quadrat- meter übernimmt?

Das sind sicherlich Extremfälle, aber ausgeschlossen ist es nicht. Zum einen gelten die kommunalen Obergrenzen im Zweifel nur insoweit, wie Wohnungen zu diesen Mietpreisen auch verfügbar sind. Zudem lässt das Sozialgesetzbuch eine „Karenzzeit“ für Haushalte zu, die neu ins Bürgergeld kommen. Wer zuvor auf eigene Kosten für 20 Euro je Quadratmeter gewohnt hat und dann sein Einkommen verliert, muss nicht sofort in eine billigere Wohnung umziehen, um Grundsicherung erhalten zu können. Derzeit gilt dafür eine Übergangsfrist von einem Jahr.

Wie kam es zu dieser Karenzzeit für teure Wohnungen?

Die heute gültige Frist von einem Jahr hat die Ampelkoalition mit ihrer Bürgergeldreform festgelegt. Bis zum Jahr 2020 gab es keine solche Frist. In Härtefällen und bei Wohnungsmangel mussten die Jobcenter aber schon immer abwägen, ob ein Umzug in eine billigere Wohnung realistisch ist. Zu Beginn der Corona-Pandemie, als viele Haushalte kurzfristig große Einkommenseinbußen erlitten, führte die damalige schwarz-rote Koalition sogar eine zweijährige Karenzzeit ein. Die Ampel schrieb sie 2023 in der auf ein Jahr verkürzten Variante als Dauerlösung fest.

Was plant die schwarz-rote Koalition in Sachen Wohnkosten?

Im Koalitionsvertrag steht dazu dieser Satz: „Dort, wo unverhältnismäßig hohe Kosten für Unterkunft vorliegen, entfällt die Karenzzeit.“ In welcher Weise man „unverhältnismäßig hohe Kosten“ genau bestimmen will, klärt der Vertrag nicht. Die geplante Regelung könnte nebenbei die Forderung des Bundesrechnungshofs und vieler Kommunen erfüllen, nun doch endlich per Bundesgesetz belastbare und gerichtsfeste Maßstäbe für „angemessene“ Bedarfe festzulegen. Der Deutsche Landkreistag hatte dies schon 2018 in einem Beschluss verlangt. Auch der Ampel-Koalitionsvertrag sah vor, einen „verbesserten gesetzlichen Rah­men für die Anwendung der kommunalen An­ge­mes­sen­heits­grenzen“ zu schaffen. Das Vorhaben blieb aber liegen.

Wie viel gibt der Sozialstaat für Wohnkosten von Bürgergeld­beziehern aus?

Im Haushaltsentwurf der Regierung für 2025 sind dafür 13 Milliarden Euro veranschlagt. Das ist nicht der ganze Betrag, weil 26 Prozent der Wohnkosten im Bürgergeld von den Kommunen aufzubringen sind. Mit ihrem Kostenanteil summiert sich der Betrag auf 17,6 Milliarden Euro in diesem Jahr. Zum Vergleich: Für die laufende Geldleistung an die 5,5 Millionen Personen im Bürgergeld sind daneben 29,6 Milliarden Euro veranschlagt. Die Wohnkosten im Bürgergeld sind in jüngster Zeit kräftig gestiegen. Im Jahr 2022 belief der Bundesanteil sich noch auf 9,7 Milliarden Euro, der Gesamtbetrag also auf 13,1 Milliarden Euro.

Welche anderen Reformvorschläge zu Wohnkosten im Bürgergeld liegen auf dem Tisch?

„Pauschalierung ist möglich, geringere Sätze sind möglich“, sagte Kanzler Merz am Sonntag. Insbesondere Forderungen nach einer Pauschalierung gibt es schon länger, auch von kommunaler Seite. Denn es ist administrativ sehr aufwendig, den Leistungsbeziehern in jedem Einzelfall die „tatsächlichen“ Kosten zu bezahlen. Neben den Mietverträgen müssen die Jobcenter auch jede Heizkostenabrechnung prüfen, um die exakten Beträge zu überweisen. Stattdessen, so lautet eine Überlegung, könnte man berechtigten Haushalten eine Pauschale in Höhe der in einer Stadt angemessenen Kosten zahlen. Wer eine billigere Bleibe für sich findet, könnte den Differenzbetrag dann behalten.

Was spricht dafür, Wohnkosten pauschaliert zu erstatten und sie nicht auf den Cent abzurechnen?

Ein Einwand dagegen liegt auf der Hand: Es gäbe dann Haushalte, denen der Staat mehr Geld fürs Wohnen erstattet, als sie tatsächlich brauchen. Allerdings ginge das mit erwünschten Nebeneffekten einher: Heute haben Bürgergeldhaushalte keinen Anreiz, eine billigere Wohnung zu suchen, wenn die derzeitige als angemessen gilt und alle Kosten über­nom­men werden. Stattdessen liegt es nahe, die größtmögliche er­stat­tungs­fä­hi­ge Wohnung zu suchen. Pauschalierung kann also helfen, enge Wohnungsmärkte zu entlasten: Sie erhöht die Bereitschaft, mit weniger Wohnraum auszukommen. Zudem wirkt das Bürgergeld dann weniger stark als Mietentreiber in der Konkurrenz mit anderen Wohnungssuchenden, die ohne den finanzkräftigen Staat im Rücken eine Bleibe suchen.

Was sind die Vorschläge der SPD?

Nach den Worten ihrer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Schmidt „wundert“ sich die SPD, „dass Herr Merz die Karenzzeit streichen möchte“. Ihre Fraktion setze darauf, „ausufernde Mieten mit der Mietpreisbremse zu begrenzen und in bezahlbaren Wohnraum zu investieren“. Letzteres zielt wohl darauf, mehr Geld aus dem Bundeshaushalt in öffentlichen oder geförderten Wohnungsbau zu lenken, um mangelnde private Investitionsbereitschaft auszugleichen. „Das hilft allen Menschen mit kleinen und normalen Einkommen und entlastet die öffentlichen Haushalte bei Bürgergeld und Wohngeld“, erklärte Schmidt. Auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Änderung der Karenzzeitregel ging sie nicht ein.