Zwischen der EU und China waren die Beziehungen noch nie schlechter

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Vor fünfzig Jahren haben China und die Europäische Union politische Beziehungen aufgenommen. Doch zum Feiern ist weder Brüssel noch Peking zumute. Vor dem Gipfeltreffen am 24. Juli in Peking liegen beide Seiten weit auseinander. Die Atmosphäre wird von Insidern als schlecht beschrieben. Momentan muss es schon als Erfolg gelten, wenn man sich überhaupt trifft. Ursprünglich waren zwei Tage dafür angesetzt, einer wurde von Peking gestrichen. Nicht einmal über die Themen ist man sich einig. Die EU will über das riesige Handelsdefizit und Pekings Unterstützung für den russischen Krieg gegen die Ukraine sprechen, China am liebsten nur über den Klimaschutz.

Wie groß die Differenzen sind, wurde schon beim G-7-Treffen in Kanada offenbar. In einer Sitzung legte Ursula von der Leyen einen Dauermagneten auf den Tisch, hergestellt aus Seltenen Erden. Der kam aus dem Westen, doch sie verband das mit einer Warnung: China dominiere diesen Markt, und es setze seine Übermacht als „Waffe“ ein, um Wettbewerber zu schwächen.

Einerseits habe es Exportbeschränkungen für kritische Rohstoffe verhängt, die man im Westen braucht. Andererseits überschwemme es globale Märkte mit seinen subventionierten Waren, wetterte die Kommissionspräsidentin. Ein „Muster von Dominanz, Abhängigkeit und Erpressung“, hielt sie dem Land vor. Das war an den Mann gerichtet, der ihr schräg gegenüber saß: US-Präsident Donald Trump. Lass uns zusammenarbeiten, sollte das heißen, statt uns in einen Zollkrieg gegeneinander zu begeben. Wir haben einen gemeinsamen Gegner: China.

China wünscht sich eine „positivere und pragmatischere Politik“

In Peking hat man die Botschaft rasch verstanden – zumal Europa und Amerika sich auch bei der Verteidigung um einen Schulterschluss bemühten. „Europa räumt den Verhandlungen mit den USA weiterhin Priorität ein, was auf dem jüngsten NATO-Gipfel deutlich wurde“, sagt Cui Hongjian, Leiter der Abteilung für EU-Studien an der Pekinger Fremdsprachenuniversität, Kaderschmiede chinesischer Diplomaten, der F.A.Z. Dass sich Europa von den USA löse, wie einige in China hoffen, glaubt der Professor nicht.

„China sieht die transatlantischen Beziehungen als einen festen Zustand an, so wie Europa auch China und Russland als denselben Akteur sieht“, so Cui. Nicht nur für die EU, auch für China haben die Gespräche mit den USA und Trump höhere Priorität, sagt er. Möglichkeiten für ein wirkliches Engagement zwischen China und der EU gebe es also erst später. „Nicht jetzt”.

In Brüssel hatte es am Anfang des Zollstreits mit den USA Signale einer Annäherung an China gegeben. Peking hob Sanktionen gegen Europaabgeordnete auf. Doch das war es dann auch. Die Europäer haben den Eindruck, dass sie mit ihren Anliegen gar nicht durchdringen. Deshalb findet die Diplomatie längst nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen statt, sondern in aller Öffentlichkeit. Diese Woche wiederholte von der Leyen ihre Forderungen im EU-Parlament. Europäische Unternehmen müssten einen fairen Zugang zum chinesischen Markt bekommen. China müsse seine Überkapazitäten abbauen. Außerdem dürfe Peking nicht länger Putins Krieg unterstützen. Europa werde weiter seine Abhängigkeiten verringern, ohne sich von China abzukoppeln.

Die Antwort aus Peking: „Wir hoffen, dass die EU erkennt, dass es um eine Neuausrichtung der Mentalität der EU geht“, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning, „und nicht um die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und der EU“. Man wünsche sich eine „positivere und pragmatischere Politik gegenüber China“. Die Volksrepublik verlangt ihrerseits, dass die EU Ausgleichszölle auf ihre hochsubventionierten Elektroautos wieder aufhebt und Exportbeschränkungen von Hochtechnologie lockert.

Anfang Juli war Wang Yi in Brüssel, der chinesische Außenminister, Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei – ein einflussreicher Mann also. Vier Stunden redeten sich Wang Yi und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas die Köpfe heiß. Warum China den russischen Krieg unterstütze, wollte die Estin wissen. Ihr Besucher stritt das erst ab: Würde man die Russen wirklich unterstützen, hätten die längst gewonnen.

Die EU hat aber etliche Belege dafür, wie chinesische Firmen ihre Sanktionen umgehen, Bauteile für Waffen importieren und an Russland weitergeben. Kallas blieb hartnäckig. Dann fiel der Satz, bei dem Kallas und ihren Beamten die Kinnlade herunterfiel: Wenn Russland den Krieg verliere, sagte Wang, werde Amerika seinen gesamten Fokus auf China richten. Das erste Eingeständnis in einem solchen Dialog. Am nächsten Tag war es in der „South China Morning Post“ nachzulesen – und Peking war sauer über den Vertrauensbruch.

Strenge Ausfuhrkontrollen für Seltene Erden

Die Episode zeigt neuerlich, wie sehr China seine Außenpolitik inklusive der EU-Beziehungen durch die Brille des sino-amerikanischen Systemkonflikts betrachtet. Manchen in Peking gilt die EU hier sogar schon als „Kollateralschaden” dieses Machtkampfs. Das zeigt sich derzeit wohl nirgendwo so klar wie auf dem Feld Seltener Erden, dem geo-ökonomischen Schwachpunkt des Westens. Diese werden etwa in Elektroautos verbaut, sind aber unabdingbar auch für den Bau moderner Kampfflugzeuge und Unterseeboote. Insbesondere geht es Peking um waffenfähige schwere Seltene Erden. Und deren Produktion beherrscht die Volksrepublik nach vielen Jahren gezielter Industriepolitik nahezu vollständig.

Um eine Weiterlieferung an die USA zu verhindern, hat China strenge Ausfuhrkontrollen eingeführt. Begründung: Der doppelte Verwendungszweck, den diese Minerale haben. Allein im Mai sind die Ausfuhren der wichtigen Seltenerdmagneten in die USA und die EU um gut 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gefallen. Verkäufern Seltener Erden werden in China genaue Dokumentationspflichten auferlegt, über deren Genehmigung in manchen Fällen die Zentrale Militärkommission entscheidet.

China setze Ausfuhrkontrollen mittlerweile strategisch als geopolitisches Instrument ein, heißt es in einer neuen Studie des Beratungshauses Sinolytics. Pekings Ansatz habe sich „von hauptsächlich wirtschafts- und industriepolitischen Motiven zu einer auf die nationale Sicherheit ausgerichteten Politik verlagert“.

Europäische Industrievertreter berichten, dass Peking von Firmen eine genaue Auflistung von Liefer- und Produktionsketten verlangt, wenn diese Seltene Erden aus China beziehen wollen. Das gehe bis ins Detail der Zulieferer. So bekomme Peking letztlich eine exakte Aufstellung und Übersicht der gesamten europäischen Produktion. Befürchtet wird eine Weitergabe von Patenten und Betriebsgeheimnissen wie auf dem Silbertablett. Derzeit lasse China immer gerade so viel Seltene Erdern liefern, dass die Produktion nicht abgewürgt wird. Mehr aber auch nicht.

Europa gilt in Peking als entkräftet

Der ehemalige Präsident der europäischen Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, sieht die chinesische Stoßrichtung indes auch hier klar gegen Amerika gerichtet: „Ich glaube nicht, dass es China mit den Exportbeschränkungen zu Seltenen Erden vor allem darum geht, an geistiges Eigentum europäischer Firmen zu gelangen“, sagt Wuttke, der heute für die US-Politikberatung DGA arbeitet. „China will eher einen Hebel in den Rüstungssektor bekommen“. Im Juni soll Handelsminister Wang Wentao dem EU-Handelskommissar Maros Sefcovic versprochen haben, dass China für die EU einen beschleunigten „grünen Kanal“ zur Genehmigung von Lizenzen schaffe. Passiert ist seither allerdings wenig.

China glaubt offenbar, sich Härte leisten zu können, weil es sich angesichts des amerikanischen Chaos in einer stärkeren Position wähnt. Europa dagegen gilt in Peking als entkräftet. „Aus meiner Sicht befindet sich Europa derzeit in einer schwächeren Position und ist noch abhängiger von den USA geworden“, sagt Cui Hongjian. „Im Vergleich zu China wird Europa in den Bereichen Handel, Sicherheit und Energie immer abhängiger von den USA.“

Ähnlich äußerte sich der frühere chinesische Botschafter in Berlin, Shi Mingde: „Wir sehen, dass (Europas) innen- und außenpolitische Lage immer noch schwierig ist, die Wirtschaft ist schwach, die politische Ökologie verschlechtert sich, die Flüchtlingsproblematik ist prominent, die sozialen Widersprüche und strukturellen Probleme haben zugenommen, die Handlungsfähigkeit der Regierungen, auch der EU-Institutionen, ist beeinträchtigt.“ So sprach Shi vergangene Woche auf dem „World Peace Forum“ in Peking. Letztlich, so Shi, stünden die Europäer allein da: „Die Europäer haben sich eingebildet, dass die Amerikaner, weil sie Verbündete und Freunde sind, sich mehr um sie kümmern und gnädiger zu ihnen sein würden. Tatsache ist, dass es den USA nur noch um Unilateralismus geht”. Shi fügte hinzu: „‚America first‘, da spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Gegner, einen Verbündeten oder einen Freund handelt.“

Die Kritik an Trump teilen viele in Brüssel. Auch von der Leyens Werben um Trump beim G7-Treffen sehen einige kritisch – zumal ungewiss ist, ob der US-Präsident überhaupt darauf eingeht. Die NATO ließ er abblitzen, als deren Generalsekretär Mark Rutte die wachsende Zusammenarbeit zwischen China, Russland, Nordkorea und Iran beklagte. Viel spricht freilich dafür, dass der Annäherungsversuch der Kommissionspräsidentin eher ein taktischer Zug war. Bei anderer Gelegenheit redete sie zuletzt oft über ein „unabhängiges Europa“, das sich im Konflikt der Supermächte behaupten müsse. Das ist aber leichter gesagt als getan.