So soll ein Boomer-Soli die Rente retten

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Kaum ein Thema ist politisch so heikel wie die Reform der Rente. Immer höhere Bundeszuschüsse und Beitragssätze sind nötig, um die wachsende Zahl von Rentnern in Deutschland zu versorgen. Zugleich sind Rentner eine wichtige Wählergruppe, insbesondere für CDU/CSU und SPD. Auch deshalb scheuen die Parteien eine große Reform, welche die finanziellen Lasten des Systems zwischen Jung und Alt neu verteilt. Vorschläge dafür sollen erst Mitte 2027 von einer noch einzusetzenden Rentenkommission kommen.

In die beginnende Sommerpause in Berlin platzt nun ein Vorschlag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der für Diskussionsstoff sorgt. Das Institut schlägt einen „Boomer-Soli“ vor, der Geld im System umverteilen soll: von Rentnern mit hohen Einkommen zu denen mit niedrigen. Konkret soll auf alle Alterseinkünfte oberhalb eines Freibetrags von rund 1000 Euro im Monat eine Abgabe von 10 Prozent erhoben werden. Die 20 Prozent der Rentnerhaushalte mit den höchsten Einkommen würde dies „moderat“ belasten, die unteren 20 Prozent würden dagegen „deutlich profitieren“. Es sei nicht fair, die Lasten des demographischen Wandels vor allem den jüngeren Generationen aufzubürden, begründete DIW-Steuerfachmann Stefan Bach den Vorstoß. „Ein Boomer-Soli kann helfen, für Ausgleich zu sorgen.“ Erheben ließe sich dieser „bürokratiearm im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung“.

„Letztlich wird hier nur der Mangel umverteilt“

Unter Ökonomen wird der Vorschlag kontrovers diskutiert. Kritik kommt von Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. „Der Vorschlag läuft darauf hinaus, den Rentenanspruch von den geleisteten Beiträgen zu lösen und die gesetzliche Rente in Richtung einer Grundrente zu entwickeln“, sagte Fuest der F.A.Z. Dadurch sinke der Anreiz, Beiträge zu zahlen. Der Rentenbeitrag wirke dann ähnlich wie eine Steuer, für die man keine direkte Gegenleistung bekomme. „Das macht es noch weniger attraktiv zu arbeiten, als es ohnehin schon ist“, konstatiert Fuest. „Letztlich wird hier nur der Mangel umverteilt.“ Er rät stattdessen dazu, das Wachstum der Renten zu begrenzen und die Lebensarbeitszeit zu erhöhen.

Aufgeschlossener zeigt sich Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. „Über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Konzepte muss man diskutieren“, sagt sie. Wichtig sei die Botschaft, dass die Finanzierung des Rentensystems gefährdet sei und die Lösung nicht darin bestehen könne, diese Last allein der jungen Generation mit steigenden Beiträgen aufzubürden. „Ein umverteilendes Element innerhalb der Rentnergeneration kann ein Teil eines Lösungspakets sein, in dem darüber hinaus das Renteneintrittsalter erhöht und der Rentenanstieg begrenzt wird“, sagt Schnitzer.

Anreize zum vorzeitigen Renteneintritt abschaffen?

Die fünf „Wirtschaftsweisen“ unter dem Vorsitz von Schnitzer hatten schon in ihrem Jahresgutachten im Herbst 2023 einen Vorschlag gemacht, der in eine ähnliche Richtung wie der des DIW geht, wenn auch nicht so weit. Für eine „intragenerationelle Umverteilung“ schlug der Sachverständigenrat eine „progressive Rentenberechnung“ vor. Ab einem bestimmten sozialversicherungspflichtigen Jahreseinkommen würde in einem solchen Modell die Zahl der erworbenen Entgeltpunkte und damit die spätere Rentenhöhe nur noch unterproportional steigen. Die Bezieher niedriger Einkommen bekämen relativ mehr Rentenpunkte zugesprochen. Die Ökonomen gaben aber auch zu bedenken, dass eine solche Umverteilung innerhalb einer Generation nur ein Aspekt einer Rentenreform sein könne neben einer Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung und der Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge.

Der frühere Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schaltete sich auf der Plattform X in die Debatte ein. „Wenn Rentner mit 3000 Euro einen Soli für ärmere Rentner abgeben, ist das Umverteilung unter Rentnern“, schrieb er. „Einfacher und gerechter wäre eine Unterstützung armer Rentner durch eine erhöhte Erbschaftsteuer.“ Für die Rente hätten Menschen gearbeitet, für ein hohes Erbe nicht. Lauterbach ist weiter Abgeordneter im Bundestag, kümmert sich statt um Soziales jetzt allerdings um den Themenbereich Forschung und Technologie.

Jochen Pimpertz, der sich beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit den sozialen Sicherungssystemen beschäftigt, sieht den DIW-Vorschlag ebenfalls kritisch. In der Rentenversicherung gelte der Grundsatz: „Wer länger einzahlt, erhält im Alter mehr. Diesen Leistungsanreiz braucht es mehr denn je, wenn ab jetzt die Boomer aus dem Erwerbsleben ausscheiden.“ Zudem berücksichtige der „Boomer-Soli“ nicht, wie viel Vermögen ein Rentnerhaushalt habe. Die Altersgruppe über 65 Jahre verfüge in Deutschland im Mittel über ein Haushaltsnettovermögen von über 172.500 Euro. „Am Ende würde es vor allem zu Fehlanreizen kommen: So wäre es beispielsweise sinnvoll, die betriebliche Altersvorsorge in einer Summe auszahlen zu lassen, statt eine monatliche Betriebsrente zu bekommen“, warnt das IW.

Dass der Vorschlag des „Boomer-Solis“ tatsächlich umgesetzt wird, ist unwahrscheinlich, wie auch die Reaktion der Union zeigt. „Das Äquivalenzprinzip, wonach längere und höhere Einzahlungen auch zu einer höheren Rente führen, ist einer der Grundsätze der gesetzlichen Rentenversicherung, der Vertrauen schafft“, sagt Stefan Nacke, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Eine Umverteilung zwischen Rentnern sei nicht zielführend. Der Vorschlag des DIW schaffe zudem „neue Ungerechtigkeiten, wenn Einnahmen der Rentnerhaushalte, aber keine Vermögen berücksichtigt werden“.

Nacke lenkt den Fokus auf einen anderen Aspekt: „Weit über 60 Prozent der Menschen in Deutschland verabschieden sich – zu großen Teilen freiwillig – vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters in den Ruhestand. Hier liegt ein zentraler Baustein, dass in Zukunft mehr Menschen das Renteneintrittsalter tatsächlich erreichen und sie dadurch auch ihre individuellen Renten steigern.“ Ökonomen raten schon seit langer Zeit dazu, die Anreize zum vorzeitigen Renteneintritt, allen voran die sogenannte Rente mit 63, abzuschaffen. In der Politik stießen sie damit bislang aber auf taube Ohren.