Trotz Sondervermögens: Bahn-Neubaustrecke Mannheim-Frankfurt „massiv gefährdet“

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Die Bundesregierung stellt extra einen neuen Schuldentopf für den schlechten Zustand der Infrastruktur zur Verfügung – 500 Milliarden Euro für die nächsten zwölf Jahre. Doch das Geld reicht nicht einmal für seit Jahrzehnten geplante und dringend benötigten Neubaustrecken im Schienennetz. Die Neubaustrecke zwischen Mannheim und Frankfurt sei „massiv gefährdet“, warnt der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Tarek Al-Wazir (Grü­ne), gegenüber der F.A.Z. Dabei sind sich die Bahn, ihre Wettbewerber und auch das Bundesverkehrsministerium einig: Die Neubaustrecke wird dringend gebraucht, um die Überlastung der bestehenden Strecke zu reduzieren. Das ergibt sich aus einer Antwort der Bundes­regierung, die der F.A.Z. vorliegt.

„Es ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung und den neuen Bundesverkehrsminister, dass trotz 500 Milliarden Sondervermögen für die Infrastruktur in der mittelfristigen Finanzplanung die Neu- und Ausbauprojekte nicht finanziert sind“, kritisiert Al-Wazir, der zehn Jahre lang hessischer Verkehrsminister war.

Keine Zweifel am Nutzen der Strecke

Den Informationen aus dem Bundesverkehrsministerium zufolge steht das Projekt kurz vor dem Abschluss der Planung. Nach einer längeren Durststrecke könnte damit bald wieder ein Neubauprojekt starten. Ab 2027 wäre dies möglich. Doch die aktuelle Haushaltsaufstellung gibt das nicht her – im Gegenteil: Ab 2027 werden deutlich we­niger Mittel für Aus- und Neubau zur Verfügung stehen. Während die Lücke zwischen vorläufiger Finanzplanung und Bedarf 2027 knapp 300 Millionen Euro beträgt, liegt sie zwei Jahre später schon bei 1,5 Milliarden Euro, wie das Ministerium auf Nachfrage des Grünenabgeordneten Matthias Gastel einräumt.

Dabei gibt es an dem Nutzen der Neubaustrecke keine Zweifel, betont Al-Wazir. Die aktuelle Verkehrsprognose geht von einer Auslastung der Riedbahn von 127 Prozent im Jahr 2040 aus, es werden also absehbar zu viele Züge auf der Strecke fahren, was die Unpünktlichkeit weiter vergrößert. „Die Zahlen zeigen deutlich, wie dringend nötig die Neubaustrecke Mannheim-Frankfurt ist und welche Bedeutung sie für ganz Deutschland hat.“ Ohne diese ICE-Trasse werde es auch auf frisch sanierten Strecken wie der Riedbahn keine spürbare Verbesserung in puncto Pünktlichkeit geben. Erst im vergangenen Dezember hat der Staatskonzern die als „Riedbahn“ bekannte Bestandsstrecke zwischen Mannheim und Frankfurt mithilfe einer fünfmonatigen Vollsperrung ertüchtigt. An dem Grundproblem der Überlastung konnte jedoch auch die milliardenschwere Rundumerneuerung nichts ändern.

„Gesamtsystem im Blick haben“

„Wer die Bahn wirklich besser machen will, muss endlich das Gesamtsystem im Blick haben“, warnt Al-Wazir. Neben der fortlaufenden Sanierungsreihe der hochbelasteten Korridore müsse auch der Aus- und Neubau finanziert werden. Er hofft jetzt auf das parlamentarische Verfahren: „Das muss bis zum endgültigen Beschluss über den Bundeshaushalt im September dringend korrigiert werden.“

Seit der Aufstellung des Bundeshaushalts vor drei Wochen wächst der Unmut in der Branche darüber, dass selbst das Sondervermögen nicht ausreicht, um die Infrastruktur in Deutschland auf Vordermann zu bringen. Schon zu Beginn wurde es deutlich dezimiert: Aus dem 500-Milliarden-Euro-Topf gehen 100 Milliarden Euro direkt an die Länder, weitere 100 Milliarden Euro fließen in den Klima- und Transformationsfonds. Bei der Vorstellung des Haushaltes gab sich die Deutsche Bahn auffällig zurückhaltend: Zwar begrüßte eine Sprecherin die Pläne, die Finanzmittel für die Schiene in diesem und nächstem Jahr zu erhöhen. „Für die Zeit ab 2027 müssen wir mit dem Bund sicherstellen, dass eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung auch mittel- und langfristig erreicht wird“, mahnte sie jedoch.

Das Schlagwort lautet “Erhalt vor Neubau“

Damit trifft der Staatskonzern einen wunden Punkt, den auch Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) in seiner Rede zum Haushalt ansprach. Das meiste Geld werde in die Generalsanierung fließen, die nun analog zur Laufzeit des Sondervermögens bis zum Jahr 2036 dauern soll. „Erhalt vor Neubau“ lautet dabei das Schlagwort. Schnieder räumte jedoch ein, dass ab dem Haushalt 2026 auch der Blick auf den Neubau von Straßen und Schienenwegen gerichtet werden müsse. „Ziel muss es sein, dass wir Erhalt und Neubau ermöglichen“, sagte er. In den aktuellen Zahlen spiegelt sich dieser Ehrgeiz jedoch noch nicht wider.

Mit der öffentlichkeitswirksamen Generalsanierung der Riedbahn ist das Projekt der geplanten Neubaustrecke zwischen Frankfurt und Mannheim etwas in den Hintergrund gerückt. Doch jetzt nimmt das Vorhaben wieder Fahrt auf, zumal es die Deutsche Bahn mit dem Slogan bewirbt: „Mit Tempo 300 vom Main an den Neckar“. Die ersten Planungen reichen bis ins Jahr 1993 zurück. Die neue Schnellstrecke sollte ursprünglich schon 2007 in Betrieb genommen werden. Mittlerweile sind selbst Pläne von 2010, wonach das Projekt 2017 fertiggestellt sein sollte, längst Makulatur. Auf der künftig 57,8 Kilometer langen Strecke dürften die ersten Züge erst nach 2030 verkehren.

Bis 60 Meter tiefe Erkundungsbohrungen

Immerhin hat man sich nach umfangreichen Studien 2020 auf eine Vor­zugs­variante für die Streckenführung geeinigt. Vorher wurden vier Jahre lang mehr als 30 verschiedene Trassenvarianten detailliert untersucht und nach Umwelt-, Verkehrs- und Wirtschaftskriterien verglichen. Übrig blieb eine Strecke, die von Zeppelinheim südlich von Frankfurt parallel zur Autobahn 5 verläuft und von Darmstadt entlang der A 67 bis kurz vor Einhausen. Dort mündet sie in einen Tunnel mit anschließender Anbindung an die Riedbahn nördlich von Mannheim. Nicht nur ICEs sollen dort durchbrausen, sondern nachts zwecks Lärmminderung auch der Güterverkehr. In diesem Jahr laufen für die Planung des Tunnels bis zu 60 Meter tiefe Erkundungsbohrungen.

Die Befürworter bewerben die Neubaustrecke als eine zentrale Verbindung im Schnellfahrnetz der DB, verbinde sie doch die beiden Ballungsräume Rhein-Main und Rhein-Neckar und schließe damit die Lücke zwischen den beiden Schnellfahrstrecken Köln – Rhein/Main und Mannheim – Stuttgart. Die beiden bestehenden Strecken Riedbahn und Main-Neckar-Bahn würden durch die neue Strecke entlastet, und das Nah- und Fernverkehrsangebot in der Region deutlich verbessert, heißt es. Im Schnell­verkehr mit bis zu 300 km/h verkürze sich die Fahrzeit zwischen den Ballungsräumen Rhein-Main und Rhein-Neckar auf we­niger als eine halbe Stunde. Rund 100 zusätzliche Verbindungen zwischen Frankfurt und Mannheim verdoppelten künftig das Angebot im Fernverkehr. Zu den Kosten ist seit einiger Zeit nur wenig zu hören. In der Vergangenheit war von 1,3 bis 1,7 Milliarden Euro die Rede, doch dürften diese Summen inzwischen längst obsolet sein und deutlich höher liegen. Allein auf 1,8 Milliarden Euro belaufen sich zusätzliche Forderungen aus der Region.