Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ließ die Mitglieder der EU-Kommission bis zuletzt im Unklaren darüber, wie der Vorschlag für den EU-Haushalt 2028 bis 2034 aussehen soll. Sie habe erst am Dienstag mit jedem Kommissar einzeln über die Zahlen gesprochen, berichtete sie am Mittwoch. Dann feilte ihr Team gemeinsam mit Haushaltskommissar Piotr Serafin die gesamte Nacht durch und danach an den letzten Details. Immer wieder verschob sich der Beginn der Kommissionssitzung am Mittwoch. Statt wie geplant um 9 Uhr, begann die Sitzung erst um 13 Uhr.
Danach gab es offenkundig reichlich Redebedarf der EU-Kommissare, die erst Minuten vor der Sitzung die Zahlen zu sehen bekamen. Anscheinend waren nicht alle der Meinung, dass das Vorgehen von der Leyens normal war. Sechs Kommissare sollen protestiert haben. Erst im Laufe des Abends herrschte Klarheit, wie die EU künftig ihr Geld ausgeben soll. In vielen Punkten sind die Angaben indes mit Vorsicht zu genießen, da die Kommission mal mit inflationsbereinigten Zahlen hantiert, mal nicht. Wo es möglich ist, machen wir das transparent.
Wie viel Geld will die EU-Kommission ausgeben?
Die Gesamtausgaben sollen auf insgesamt beinahe zwei Billionen Euro steigen. Anders als üblich arbeitet die Kommission dabei mit laufenden Preisen, sprich, die Inflation ist nicht herausgerechnet. Das sieht, zugespitzt gesagt, einfach nach mehr aus. Deshalb kann man die zwei Billionen auch nicht direkt mit den viel zitierten Gesamtausgaben des laufenden EU-Haushalts von 1,2 Billionen Euro vergleichen. Vergleichen lässt sich jedoch der Anteil der Ausgaben an der Wirtschaftsleistung: Der soll von bisher rund 1,1 Prozent auf 1,26 Prozent steigen.
Wie rechtfertigt die Kommission den Anstieg?
Sie betont, dass die EU von 2028 an die Schulden zurückzahlen muss, die sie für den Corona-Fonds aufgenommen hat. Die Kommission setzt dafür in laufenden Preisen 24 Milliarden Euro im Jahr an. Allein das mache 0,11 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Ohne Tilgung und Zinsen der Corona-Schulden müsste der Haushalt somit nur auf 1,15 Prozent steigen. Sie argumentiert zudem, dass die EU Geld für „moderne“ Aufgaben wie Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit braucht.
Wofür will die Kommission das Geld genau ausgeben?
Der Haushalt erhält eine völlig neue Struktur. Die detaillierten Programme, etwa zur Regionalförderung, Agrarpolitik und anderen Politikfeldern so wie ein großer Teil der diversen Fonds des Haushalts verschwinden. Stattdessen soll es neben den Verwaltungskosten nur noch drei große Posten geben: 865 Milliarden Euro sind für die neuen Nationalen und Regionalen Partnerschaftspläne reserviert, die unter anderem die bisherige Agrar- und Regionalpolitik ersetzten. 410 Milliarden Euro sollen in einen neuen Wettbewerbsfähigkeitsfonds fließen, 200 Milliarden Euro in den Außenpolitikfonds Global Europe. Hinzu kommt eine Reihe anderer Programme.
Warum eigentlich ein Haushalt für sieben Jahre?
Die EU will so verhindern, dass EU-Staaten und Europaparlament jedes Jahr von Neuem um den Haushalt ringen. Das hat früher dazu geführt, dass die EU beinahe ganz ohne Haushalt dagestanden hätte. Auch erhöht ein langfristiges Budget die Planungssicherheit. Genau genommen, setzt die EU mit dem mehrjährigen Haushalt nur einen Rahmen für die Jahreshaushalte. Deshalb ist auch die Rede von einem Finanzrahmen. Der Nachteil der Planungssicherheit ist, dass die EU auf Krisen nicht flexibel reagieren kann. 90 Prozent der Ausgaben sind vorab festgelegt, hat von der Leyen beklagt.
Wie will die Kommission den Haushalt flexibler machen?
Hier kommen die Nationalen und Regionalen Partnerschaftspläne ins Spiel, die unter anderem die klassischen Haushaltsposten Agrar- und Regionalpolitik ersetzen. Diese radikale Neuausrichtung soll erleichtern, Geld umzuwidmen, wenn es für neue Aufgaben benötigt wird. Zum einen soll ein Viertel der vorgesehenen Mittel zunächst einmal nicht vergeben werden, um einen Puffer für neue Herausforderungen zu haben. Zum anderen sollen die Pläne bei Bedarf leicht angepasst werden können. Hinzu kommen weitere Instrumente, die erlauben, nicht genutzte Mittel für andere Zwecke einzusetzen, sowie eine 73-Milliarden-Euro-Fazilität für Katastrophen.
Was verbirgt sich hinter den Nationalen und Regionalen Partnerschaftsplänen?
Die Mitgliedstaaten sollen für den gesamten Finanzrahmen 2028 bis 2034 mit der Kommission Pläne dazu aushandeln, wie sie das Geld aus dem 865-Milliarden-Fonds verwenden wollen. Sie können das Geld für diverse EU-Ziele von der Agrarpolitik über die Regionalpolitik und die Sozialpolitik bis zur Förderung der Rüstung und dem Kampf gegen die Wohnungsnot einsetzen. Das Geld fließt, sobald die Staaten mit der Kommission vereinbarte Reformen umsetzen und konkrete Etappenziele für bestimmte Projekte erreichen. Bisher werden nachher die Kosten für konkrete Projekte ersetzt. Vorbild für diesen Ansatz ist der Corona-Fonds, der jedoch als umstritten gilt. Der Europäische Rechnungshof moniert etwa, dass so nicht kontrolliert werden kann, wie die Staaten das Geld am Ende einsetzen.
Erhalten die Landwirte weniger Geld?
Bisher erhalten die Landwirte ein Drittel des Gesamtbudgets. Von 2021 bis 2027 waren es insgesamt 387 Milliarden Euro, davon flossen 287 Milliarden Euro als direkte Hilfen an die Bauern – beides in Preisen von 2018. Nach den Bauernprotesten im vergangenen Jahr hat sich die Kommission nicht getraut, das Agrarbudget einfach komplett in den Nationalen und Regionalen Plänen aufgehen zu lassen. 302 Milliarden Euro – allerdings in laufenden Preisen – davon werden fix für die Bauern reserviert. Das ist eine Kürzung von deutlich mehr als einem Fünftel.
Bekommen die Bauern weiter direkte Einkommenshilfen aus Brüssel?
Das Design der Subventionen ändert sich. Die Mitgliedstaaten erhalten mehr Freiheiten darin, wie sie ihre Landwirte unterstützen. Sie können die 302 Milliarden Euro nutzen, um jungen Landwirten gezielt zu helfen oder um Umweltmaßnahmen zu finanzieren. Auch direkte Hilfen für Landwirte bleiben möglich. Das Geld soll aber nur noch an aktive Bauern fließen, größere Höfe sollen weniger Geld je Hektar bekommen und sie sollen von einer bestimmten Summe an gedeckelt werden.
Was bedeutet die Reform für die Regionalpolitik?
Die Kommission betont seit Wochen, dass die Haushaltsreform nicht auf Kosten der Regionen gehen soll. Die Kohäsionspolitik bleibe wichtig. Die Hauptstädte sollten in den Verhandlungen mit der Kommission über die Nationalen und Regionalen Pläne die lokalen und regionalen Interessen berücksichtigen, sagt sie. Die Kommission argumentiert zudem, Regionalförderung und die Förderung der Rüstung könnten auch Hand in Hand gehen: Wenn das Geld etwa in einen neuen Hafen fließe, könnten von dort Militärgüter ausgeführt und zugleich die Region aufgewertet werden.
Hat die Kommission auf die Proteste der Regionen reagiert?
Bei den Regionen war die Sorge groß, dass die Staaten das Geld am Ende nutzen, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen. Die Kommission hat darauf reagiert und will 218 Milliarden Euro für die wenig entwickelten Regionen reservieren. Davon profitieren aber nur die Regionen, deren Wohlstand niedriger liegt als 75 Prozent des EU-Durchschnitts. Wie viel Geld die Kommunen und Regionen am Ende tatsächlich bekommen, liegt damit durchaus in der Hand der Hauptstädte.
Wer soll das alles bezahlen?
Die EU-Kommission behauptet, auf die Mitgliedstaaten kämen faktisch keine höheren Beiträge zu. Sie müssten einfach nur die Summe weiter überweisen, die sie am Ende des bisherigen Finanzrahmens nach Brüssel überweisen. Die Lücke zum höheren Gesamtbudget soll eine Reihe neuer Eigenmittel füllen, die direkt in den Haushalt fließen sollen. Sie sollen jährlich etwas mehr als 58 Milliarden Euro in die Brüsseler Kassen spülen, dieses Mal in Preisen von 2025 gerechnet.
Wie finanziert sich die EU bisher?
Derzeit überweisen die Mitgliedstaaten weitgehend abhängig von ihrer Wirtschaftskraft jährlich einen nationalen Beitrag an die EU. Das deckt vier Fünftel des Budgets ab. Auf Deutschland entfallen etwas weniger als ein Viertel davon. Hinzu kommen die Zolleinnahmen und eine Abgabe auf Plastikmüll.
Welche neuen, direkten Einnahmen fordert die Kommission?
Die Kommission will einen Teil der Einnahmen aus dem Emissionshandel und der CO2-Grenzabgabe CBAM für sich reservieren. Hinzu soll eine Abgabe von zwei Euro je Tonne nicht eingesammelter Elektroschrott kommen, ein Anteil an der Tabaksteuer und eine neue Unternehmensabgabe. Die Kommission verzichtet hingegen auf die Einnahme aus der diskutierten Bearbeitungsgebühr von zwei Euro für kleine Pakete aus Drittstaaten, allen voran China.
Was hat es mit der Unternehmensabgabe auf sich?
Die sollen alle Unternehmen mit Sitz in Europa zahlen, die einen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro haben. Das ist etwas höher als die in ersten Entwürfen vorgesehenen 50 Millionen Euro. Die Abgabe ist gestaffelt. Bei einem Umsatz zwischen 100 und 250 Millionen Euro soll sie 100.000 Euro im Jahr betragen, von einem Umsatz von 750 Millionen Euro an sollen es 750.000 Euro sein. Das soll insgesamt 6,8 Milliarden Euro im Jahr einbringen.
Was verbirgt sich hinter dem Wettbewerbsfähigkeitsfonds?
Der soll eine Reihe bestehender Fonds bündeln. Dazu gehört etwa der als Juncker-Fonds bekannte InvestEU, der Innovationsfonds oder der Umweltfonds Life. Das Geld daraus soll nicht an die EU-Staaten verteilt werden. Vielmehr will die Kommission damit direkt Projekte in vier Feldern fördern: Künstliche Intelligenz und Digitales, grüne Technologien, Verteidigung und Gesundheit.
Wie viel Geld soll es für die Verteidigung geben?
Allein aus dem Europäischen Wettbewerbsfähigkeitsfonds sollen 131 Milliarden in die Rüstung fließen. Zudem können die Mitgliedstaaten Rüstungsprojekte im Rahmen der Nationalen und Regionalen Partnerschaftspläne fördern.
Was ist mit dem Austauschprogramm Erasmus und dem Forschungsprogramm Horizon?
Beide bleiben als unabhängige Fonds erhalten. Erasmus wird mit 40 Milliarden Euro, Horizon mit 175 Milliarden ausgestattet.
Wie wird die Ukraine unterstützt?
In laufenden Preisen sollen 100 Milliarden Euro – außerhalb des EU-Haushalts – in die sogenannte Ukraine-Fazilität fließen. Das Geld aus diesem Topf fließt direkt in den ukrainischen Staatshaushalt, um das Land zu stabilisieren, Reformen im Zuge des EU-Beitritts zu fördern und staatliche Investitionen in die Infrastruktur zu ermöglichen.
Was ist mit dem Erbe des Green Deals? Gibt es Ziele für den Umweltschutz?
35 Prozent der Gesamtausgaben sollen für Klima- und Umweltschutz eingesetzt werden. Darunter versteht die Kommission auch die Förderung von Recycling und Maßnahmen gegen die Folgen des Klimaschutzes.
Was ist mit der Rechtsstaatlichkeit?
Die gesamten Ausgaben des Haushalts bleiben daran geknüpft, dass die EU-Mitgliedstaaten nicht gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen.
Wie viel ist für die Verwaltung vorgesehen?
Der Verwaltungsapparat der EU wird nach dem Vorschlag in den sieben Jahren des Finanzrahmens in laufenden Preisen 118 Milliarden Euro kosten.
Neue EU-Schulden gibt es also nicht?
Neue Schulden sieht der Vorschlag direkt nicht vor. Die Kommission schlägt aber einen neuen Krisenmechanismus vor. Der soll es der EU ermöglichen, auf neue Krisen schnell zu reagieren. Von der Leyen will damit eine Art „Abkürzung“ schaffen, um flexibel auf Krisen wie Corona oder den russischen Angriff auf die Ukraine reagieren zu können. Der Mechanismus soll bis zu 400 Milliarden Euro zusätzlich zum EU-Budget bereitstellen können. Er soll einstimmig aktiviert werden können. Das Geld soll dann als Kredit an die EU-Staaten fließen, wie bei dem eben aufgelegten EU-Rüstungsfonds Safe. Das sind keine Schulden wie beim Corona-Fonds, da die Staaten das Geld zurückzahlen müssen. Aber die EU müsste dafür Kredite aufnehmen.
Was passiert nun?
Jetzt sind die Mitgliedstaaten und das Europaparlament am Zug. Sie müssen den Vorschlag beraten und können ihn dabei überarbeiten. Die Staaten müssen den Finanzrahmen einstimmig annehmen. Das Europaparlament kann ihn mit absoluter Mehrheit ablehnen oder annehmen. Bis es soweit ist, dürfte viel Zeit vergehen. Der Finanzrahmen 2021 bis 2027 wurde erst im Dezember 2020 endgültig angenommen.