Potsdamer Konferenz 1945: Vertreibung der Deutschen

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„Terminal“, zu Deutsch „Endstation“: So lautete das vielsagende Codewort, unter dem die Planungen für jenes Treffen liefen, das die Zukunft Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg prägen sollte wie kein anderes – die Potsdamer Konferenz. Eine Endstation war die Zusammenkunft des amerikanischen Präsidenten Harry Truman, des sowjetischen Diktators Josef Stalin und des britischen Premierministers Winston Churchill, die vor achtzig Jahren, am 17. Juli 1945, in Schloss Cecilienhof begann, in mehrfacher Hinsicht.

Zum einen, weil der Zweite Weltkrieg in Europa zehn Wochen vorher mit der bedingungslosen Kapitulation Hitlerdeutschlands zu Ende gegangen war. Zum anderen, weil es das letzte Mal sein sollte, dass die Siegermächte in diesem Format konferierten, bevor es Opfer des Kalten Krieges wurde. Und für Churchill sollte die Konferenz auch persönlich zu einer vorläufigen Endstation werden; nach der verlorenen Unterhauswahl musste er vorzeitig aus Potsdam abreisen, an seine Stelle rückte sein farbloser Nachfolger Clement Attlee.

Auf der Potsdamer Konferenz stellten „die großen Drei“ die Weichen für das Nachkriegsdeutschland: Die Siegermächte beschlossen die endgültige Einteilung in vier Besatzungszonen, aber auch die Zulassung politischer Parteien und Gewerkschaften, die Dezentralisierung der Verwaltung und die Entfernung von NSDAP-Mitgliedern aus öffentlichen und halb öffentlichen Ämtern. Die Entscheidung, die jedoch in den folgenden Jahrzehnten in Deutschland vor allem mit der Potsdamer Konferenz verbunden blieb, war die Zustimmung der Amerikaner und Briten zur Vertreibung der Deutschen aus Mittel- und Osteuropa und zur Abtretung der deutschen Ostgebiete an Polen.

Vertreibung von etwa 14 Millionen Deutschen aus Mittel- und Osteuropa

Die drei Regierungen „erkennen an, dass die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muss“, lautete einer der wohl meistzitierten Sätze aus dem Potsdamer Abkommen. Das solle „in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen“. Auch wenn nur drei Staaten genannt wurden, nahmen die Westalliierten damit faktisch die Vertreibung von etwa 14 Millionen Deutschen aus Mittel- und Osteuropa in den kommenden Jahren hin.

Zu diesem Zeitpunkt waren die „wilden“ Vertreibungen schon in vollem Gange, die den Vorgaben des Potsdamer Abkommens hohnsprachen. Polen hatte am 20. Juni damit begonnen, die Deutschen aus den ehemals deutschen Gebieten zu vertreiben, bis zum Beginn der Potsdamer Konferenz waren es 450.000, ebenso viele mussten bis dahin die Tschechoslowakei verlassen. Stalin versuchte Truman und Churchill in Potsdam davon zu überzeugen, dass die meisten Deutschen Polen schon verlassen hätten und die Sowjetunion daher Polen in den angeblich schon entvölkerten Gebieten habe ansiedeln müssen.

Im Grundsatz hatten Amerikaner und Briten die Vertreibungen schon vor der Potsdamer Konferenz gebilligt. Dabei spielten die deutschen Gräueltaten, unter ihnen die nationalsozialistischen Bevölkerungsumsiedlungen in Osteuropa, im Zweiten Weltkrieg eine Rolle. Hinzu kam die Überzeugung, dass der Frieden in Mittel- und Osteuropa nur durch homogene Bevölkerungen ohne deutsche Minderheit langfristig gesichert werden könne. Lediglich über den Umfang der Vertreibungen stritten die Westalliierten in Potsdam noch mit den Sowjets. Churchill machte geltend, dass in den Gebieten, die Polen im Osten an die Sowjetunion abtrete, nur drei bis vier Millionen Polen lebten, aber acht Millionen Deutsche vertrieben werden sollten. Dahinter stand auch die Sorge, der Strom der Vertriebenen nach Westen werde die Aufnahmefähigkeit der britischen und amerikanischen Besatzungszonen überlasten.

Ringen im die Verschiebung der polnischen Westgrenze

Letztlich war das Thema für Amerikaner und Briten in Potsdam jedoch nur ein Nebenschauplatz im Ringen um die Verschiebung der polnischen Westgrenze. Und auch hierbei ging es ihnen nicht in erster Linie um Polen, sondern darum, Machtsphären im Nachkriegseuropa abzustecken. Unter den Siegermächten herrschte Konsens darüber, dass Polen als Kompensation für die Gebietsabtretung an die Sowjetunion im Osten deutsche Gebiete im Westen erhalten sollte. Aber Amerikaner und Briten wollten ihnen ursprünglich weniger Territorium zugestehen als die Sowjetunion. Schließlich gaben Truman und Churchill aber in beiden Punkten nach, um eine Einigung in dem Streitpunkt zu erreichen, der für sie in Potsdam am wichtigsten war: die Reparationsfrage. Man einigte sich hierbei am Ende im Kern darauf, dass die Siegermächte jeweils ein Gebiet zugesprochen bekommen, aus dem sie ihre Reparationsansprüche befriedigen können. Für diesen Kompromiss gaben Amerikaner und Briten ihren Widerstand in der Grenzfrage auf und ließen auch ihre ursprüngliche Forderung fallen, die Vertreibung der Deutschen im Umfang zu begrenzen.

In den kommenden Jahrzehnten wurde der Passus des Potsdamer Abkommens zur Vertreibung der Deutschen wiederholt zum Zankapfel. Die Bundesregierungen haben stets die Auffassung vertreten, es handele sich dabei nicht um eine völkerrechtlich verbindliche Erlaubnis, die Deutschen zu vertreiben, was Völkerrechtler bestätigten. Darüber kam es noch 1996 zwischen der Bundesrepublik und der Tschechischen Repu­blik zum Streit.

Die „New York Times“ nannte das Potsdamer Abkommen am 13. November 1946 den „unmenschlichsten Beschluss, der jemals von zur Verteidigung der Menschenrechte berufenen Regierungen gefasst wurde“. Insgesamt gab es in den USA jedoch kaum Kritik an der amerikanischen Zustimmung zur Vertreibung. Truman bemühte sich in seiner Rundfunkansprache nach der Potsdamer Konferenz am 2. August, die Sache als möglichst nebensächlich darzustellen: Die meisten Deutschen hätten Polen schon verlassen.