Die Regel, dass Präsidenten Ärger bekommen, wenn sie Wahlversprechen brechen, schien für Donald Trump lange nicht zu gelten. Ihm wurde von seinen Anhängern nahezu alles verziehen. Doch diese Zeiten scheinen nun vorbei zu sein. Zuletzt traf der amerikanische Präsident einige Entscheidungen, die in seiner MAGA-Bewegung für Unruhe sorgten. Da war der Angriff auf Atomanlagen in Iran und die Kehrtwende im Ukrainekrieg, die dem isolationistischen Impuls seiner Kernwählerschaft widersprachen. Nichts hat ihm aber so viel Ärger eingehandelt, wie die Entscheidung, die Ermittlungsakten im Fall Jeffrey Epstein nicht freizugeben – anders als zugesagt.
Derzeit vergeht kein Tag in Washington, an dem Trump sich nicht für das Vorgehen seiner Regierung in dem Fall rechtfertigen muss. Vergeblich versucht er, die Debatte in seiner Partei zu beenden. Am Mittwoch ging das Bühnenstück weiter. Als Trump den Kronprinzen von Bahrein im Oval Office empfing, wurde er abermals mit Fragen nach Epstein konfrontiert. Genervt erwiderte der Präsident, es sei ein Schwindel, losgetreten von Demokraten und früheren FBI-Direktoren. „Dumme Republikaner“ gingen ihnen auf den Leim und spielten deren Spiel mit. Diejenigen, die unbeirrt über „den Typen, der offensichtlich einige sehr ernste Probleme hatte“ und vor Jahren gestorben sei, reden wollten, verschwendeten ihre Zeit. Sie sollten lieber über die Erfolge dieser Regierung sprechen.
Kurz zuvor hatte Trump auf seiner Plattform Truth Social seine Kritiker, die er nunmehr seine „ehemaligen Unterstützter“ nannte, wütend angegriffen: „Lasst diese Schwächlinge weitermachen und die Arbeit der Demokraten erledigen, denkt nicht einmal daran, von unserem unglaublichen und beispiellosen Erfolg zu sprechen, denn ich will ihre Unterstützung nicht mehr!“
Nicht nur Verschwörungstheoretiker stören sich an Trumps Umgang mit dem Fall
Im Oval Office schien er dann aber doch ein kleines Zugeständnis zu machen. Justizministerin Pam Bondi, die mit FBI-Direktor Kash Patel entschieden hatte, keine neuen Ermittlungsakten in der Causa zu veröffentlichen, sollte weitere Dokumente offenlegen, „wenn sie glaubwürdig“ seien, sagte der Präsident nun.
Es sind längst nicht mehr nur rechte Podcaster und einflussreiche Verschwörungstheoretiker, die sich am Umgang mit dem Fall des Sexualstraftäters stoßen, der 2019 tot in seiner New Yorker Gefängniszelle aufgefunden worden war. Auch im Kongress gibt es zahlreiche Republikaner, die Trump an sein Wahlversprechen erinnern und Transparenz verlangen. Zuletzt forderte auch Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses und wichtige Stütze des Präsidenten, Bondi auf, vorzutreten und ihre Handhabung der Epstein-Akten zu erklären. „Es ist ein sehr heikles Thema, aber wir sollten alles offenlegen und die Menschen entscheiden lassen“, sagte er.

Warum erregt sich die Trump-Basis derart über einen Fall, der eigentlich vor sechs Jahren geschlossen worden war? Epsteins Tod war Anlass für viele Verschwörungstheorien, die Trump und seine Leute selbst lange befeuerten, da die Angelegenheit für prominente Vertreter des liberalen Establishments äußerst peinlich war. Auch Trump selbst war und ist Gegenstand von allerlei Gerüchten, was ihn aber nicht daran hinderte, mit der Causa Wahlkampf zu machen. Worum geht es?
Epstein war bestens vernetzt
Der Fall liest sich im Grunde wie ein überfrachtetes Hollywood-Drehbuch, das zum einem zum Genre „Sex and Crime“ gehört – zum anderen aber eben auch das Zeug für einen veritablen Polit-Thriller hat: ein reicher Investor, der junge Frauen, darunter Minderjährige, sexuell missbraucht und mächtigen Personen des öffentlichen Lebens zugeführt hat. Seine langjährige Gehilfin Ghislaine Maxwell sitzt in Florida eine Haftstrafe von zwanzig Jahren ab.
Zu den Personen, die mit Epstein in Verbindung gebracht wurden, gehören unter anderem Prinz Andrew, Bill Gates und Bill Clinton. Die meisten Genannten bestreiten Fehlverhalten, bedauern aber im Nachhinein den Kontakt zu dem Mann, der schon 2008 einmal wegen Anstiftung zur Prostitution unter anderem Minderjähriger zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Auch Trump selbst feierte seit den späten Achtzigerjahren häufiger Partys mit Epstein in Mar-a-Lago und war Gast in dessen Townhouse in Manhattan, bis sie sich 2004 über eine Immobilie in Florida zerstritten, an der beide ein Interesse hatten.
Wegen der prominenten Namen im Umfeld Epsteins hatte der Fall stets auch eine politische Dimension. Verschwörungstheoretiker verbreiteten über Jahre düstere Geschichten. In diesen ging es nicht nur darum, dass einflussreiche Vertreter des liberalen Establishments dafür sorgten, dass die Ermittlungsakten, zu denen angeblich auch eine „Kundenliste“ gehört, unter Verschluss blieben. Sondern auch, dass der Tod Epsteins womöglich gar kein Selbstmord war. Der Angeklagte sei zum Schweigen gebracht worden, um einen öffentlichen Prozess zu verhindern, der das Land erschüttert hätte.
Ein willkommenes Narrativ für Trump
Trump beteiligte sich daran eifrig. So konnte er nicht nur den politischen Gegner diskreditieren, sondern auch sein Narrativ über den „tiefen Staat“ nähren, der die Justiz und den Sicherheitsapparat durchsetzt habe. An der MAGA-Basis wurde die Erzählung von der Epstein-Vertuschung zur Chiffre für einen moralisch korrumpierten Staat. Bondis Auftrag im „Department of Justice“ war es, mit diesem abzurechnen. Kurz nach ihrer Bestätigung durch den Senat legte sie nahe, eine „Kundenliste“ liege gleichsam zur Prüfung auf ihrem Tisch.
In der vergangenen Woche sagte sie dann aber, sie habe seinerzeit nur ganz allgemein von Epstein-Akten gesprochen. Das war, nachdem sie einen Vermerk veröffentlicht hatte, der drei Punkte enthielt. Erstens: Es sei keine „belastende Kundenliste“ gefunden worden. Zweitens: Epstein habe im Gefängnis tatsächlich Selbstmord begangen. Drittens: Weitere Ermittlungsakten würden nicht veröffentlicht. Der Opferschutz habe Vorrang.
Die republikanische Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene, bekannt für ihre Neigung zu Verschwörungstheorien, zischte, das sei eine völlige Kehrtwende. Die Menschen seien nicht bereit, das zu akzeptieren. Der Sprecher des Repräsentantenhauses Johnson erwägt nun, Anhörungen zu dem Fall im Kongress anzusetzen und sogar die Epstein-Vertraute Maxwell vorzuladen. Die Demokraten nehmen derweil in gewisser Weise Rache für die über Jahre geführte Kampagne gegen sie und kosten den Konflikt im MAGA-Lager genüsslich aus. Hakeem Jeffries, Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, sagte, wenn das Justizministerium die Akten nicht selbst veröffentliche, sollte der Kongress dies durch ein Votum erzwingen. Das amerikanische Volk habe ein Recht auf die Wahrheit. Nicht ohne Ironie fragte er, was die Trump-Regierung zu vertuschen versuche.
Und Elon Musk, der einstige Präsidentenberater und republikanische Großspender, der nun daran arbeitet, eine dritte Partei zu gründen, schrieb schließlich auf seiner Plattform X: „Wie soll man Trump vertrauen, wenn er die Epstein-Akten nicht veröffentlicht?“ Der Tech-Milliardär hatte erst vor einigen Wochen behauptet, die Unterlagen würden nicht veröffentlicht, weil Trumps Name sich in ihnen befinde. Später nahm er offenbar Bezug auf die Behauptung und schrieb, er bereue einige seine Beiträge. Diese seien zu weit gegangen.
Es gibt drei Möglichkeiten, warum Trump seine Kampagne nun auf die Füße fällt. Zum einen könnte es sein, dass Trump und seine Leute den Fall Epstein für politische Zwecke ausbeuteten, obwohl ihnen immer klar war, dass es keine Verschwörung gegeben hatte, in die staatliche Stellen verwickelt waren. Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass die interne Prüfung durch die Justiz unter Bondis Regie zu Tage förderte, dass Trumps Verbindungen zu Epstein problematischer waren, als der Präsident behauptet. Schließlich ist es auch denkbar, dass man wirklich an eine Verschwörung glaubte, nun aber herausgefunden hat, dass da nichts dran ist. Letzteres wäre die harmloseste Variante, aber immer noch peinlich genug, um den Fall Epstein langweilig zu nennen, wie Trump es tut.
Die einflussreiche Verschwörungstheoretikerin und bisherige Trump-Vertraute Laura Loomer bemerkte nun, der Umstand, dass Maxwell hinter Gittern sitze, zeige, dass der Fall kein Schwindel sei. Das beste, was der Präsident nun tun könne, sei es, einen Sonderermittler in der Causa zu ernennen.
Die politische Kampagne hat eines überdeckt: das Schicksal der wahren Opfer Epsteins und seiner Freunde. Virginia Giuffre, die als eine der ersten Frauen über die Machenschaften Epsteins aussagte, nahm sich Ende April das Leben, im Alter von 41 Jahren. Sie hatte zu Protokoll gegeben, von Epstein und seinen Kunden, darunter Prinz Andrew, missbraucht worden zu sein. Damals war sie 17 Jahre alt.