In den reichen Ländern dieser Welt klafft eine Lohnlücke. Gemeint ist nicht jene zwischen Männern und Frauen, das Gender-Pay-Gap. Die wird viel diskutiert. Es gibt noch eine andere: eine, die beträchtlich ist und doch in ihrer Struktur erstaunlich wenig erforscht – zumindest bislang. Sie verläuft nicht entlang von Geschlechtergrenzen, sondern zwischen Einheimischen und Migranten in Europa oder Nordamerika.
Ein paar neue Fakten: Fast 18 Prozent verdienen Einwanderer je Jahr im Durchschnitt weniger, vergleicht man ihre Gehälter mit denen der einheimischen Bevölkerung. Drei Viertel davon erklären sich durch Unterschiede in der Berufswahl. Das schreiben die Autoren einer neuen Studie, die im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde. Von Land zu Land variiert dieses Gefälle beim Lohn allerdings enorm. Während es in Spanien fast 30 Prozent beträgt, verdienen Migranten in Schweden nur sieben Prozent weniger. Hinzu kommt: Die Unterschiede sind recht beständig. Selbst in der Folgegeneration bleiben sie messbar. Das heißt, obwohl die Kinder eine vollständige Schul- und Ausbildungslaufbahn im Aufnahmeland absolviert haben. Wenngleich die Lücke mit der Zeit deutlich schrumpft.
„Lohnunterschiede können das Vertrauen in faire Arbeitsmärkte untergraben und Frustration wie gesellschaftliche Spannungen verstärken“, sagt Malte Reichelt der F.A.Z. Reichelt ist einer der Autoren der „Nature“-Studie und Juniorprofessor für Computational Social Science an der Universität Erlangen-Nürnberg. Auch steige die Bedeutung von arbeitsmarktgesteuerter Zuwanderung infolge des demographischen Wandels in vielen Ländern. Für Deutschland sei es daher entscheidend, dass nicht nur Einwanderung ermöglicht, sondern auch faire und attraktive Arbeitsmarktchancen für Zugewanderte geschaffen würden. Nicht nur daraus folgt also: Gerade Gesellschaften, die sich als egalitär verstehen, müssen dem nachgehen. Das fängt beim Verständnis der Problematik an, und da gab es lange ein großes Defizit.
Für die Studie haben Reichelt und ein internationales Forscherteam Daten von 13,5 Millionen Arbeitnehmern – zugewandert wie einheimisch – aus neun Ländern ausgewertet, die viel Zustrom von Migranten verzeichnen. Darunter die USA, Kanada, Frankreich und Deutschland, Länder also mit hohen Einkommensniveaus im globalen Vergleich. Dass es bei Migranten und Einheimischen allgemein große Unterschiede in puncto Gehalt gibt, ist per se keine neue Erkenntnis. Viele Länder diskutieren bereits über Maßnahmen, die die Lohnunterschiede im gleichen Beruf senken sollen. Doch darin liegt der Knackpunkt: Mit Blick auf die Ursachen war das Bild bislang unscharf.
Studie liefert ein faktisches Fundament
Konkret geht es um eine grundsätzliche Frage, die lange nicht klar beantwortet werden konnte: Wird Migranten für die gleiche Arbeit im gleichen Unternehmen schlicht weniger bezahlt? Oder ist es eher so, dass bestimmte Mechanismen auf dem Arbeitsmarkt dafür sorgen, dass Einwanderer in Berufen oder Firmen landen, in denen sie weniger verdienen können. Für die Integrationspolitik sind das elementare Fragen, schließlich hängt davon ab, welche Maßnahmen wie gewichtet werden müssen. Sollten Maßnahmen also eher darauf abzielen, den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zu gewährleisten? Oder geht es mehr darum, Hürden beim Zugang zu gut bezahlten Jobs abzubauen?
Die Ergebnisse der neuen Studie können da Licht ins Dunkel bringen, denn sie liefern zumindest mal ein faktisches Fundament: Etwa drei Viertel des Lohngefälles sind damit zu erklären, dass Migranten vor allem in schlechter bezahlten Branchen, Berufsfeldern und Unternehmen unterkommen, schreiben die Autoren. Der wesentliche Faktor beim Lohngefälle ist also weniger eine direkte Diskriminierung bei der Bezahlung, sondern der ungleiche Zugang zu gut bezahlten Jobs. Das sei bei allen neun untersuchten Ländern der Fall. Und trotzdem: Immerhin ein Viertel des Lohnunterschieds sei darauf zurückzuführen, dass die gleiche Arbeit nicht gleich bezahlt werde.
„Es braucht strukturelle Antworten“
„Unsere Studie zeigt: Die größere Herausforderung liegt nicht allein in ungleicher Bezahlung für gleiche Arbeit, sondern in der strukturellen Trennung von Migrantinnen und Einheimischen im Arbeitsmarkt“, sagt Reichelt der F.A.Z. Migranten arbeiteten selbst mit vergleichbaren Qualifikationen häufiger in schlechter bezahlten Berufen, Branchen und Betrieben. Das habe erhebliche gesellschaftliche Folgen. „Wenn sich die Arbeitswelten zunehmend entkoppeln – und dies mit geringeren Löhnen und geringeren Aufstiegschancen für Migranten verbunden ist –, entstehen Risiken für die gesellschaftliche Integration: getrennte Lebensrealitäten, weniger soziale Durchmischung und potentiell wachsende Ungleichheit.“
Für die Autoren hat die Studie deshalb auch eine klare politische Implikation. „Wer die Lohnlücke schließen will, muss über ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ hinausdenken – es braucht strukturelle Antworten auf den ungleichen Zugang zu guten Jobs“, sagt Malte Reichelt. Man weiß nun also, wo man ansetzen muss. Es geht um Maßnahmen wie Sprachförderung, Berufsberatung, Netzwerkbildung, aber auch die Verbesserung der Anerkennung ausländischer Abschlüsse. All das erhöhe die Chancengleichheit beim Zugang zu attraktiven Arbeitsstellen.