Kein Abtasten mehr bei Früherkennung von Prostatakrebs nötig

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Stand: 17.07.2025 10:58 Uhr

Bei vielen Männern verändert sich im Alter die Prostata. Nun wurde die medizinische Leitlinie zur Früherkennung von Prostatakrebs erneuert. Darin spielt die Tastuntersuchung kaum noch eine Rolle.

Von Ulrike Till und Ralf Kölbel, SWR

Bei fast der Hälfte aller Männer über 50 Jahren verändert sich mit der Zeit die Prostata: Bei manchen kommt es einfach nur zu einer gutartigen Vergrößerung – bei anderen entwickelt sich ein Tumor. Die Diagnose ist immer ein Schock, aber nur bei einigen Betroffenen ist der Krebs hochaggressiv.

Häufig finden sich auch Tumore in der Prostata, die so langsam wachsen, dass sie als ungefährlich gelten. Je nach Tumortyp müssen Ärztinnen und Ärzte anders vorgehen. Die jeweils beste Strategie steht in einer sogenannten Leitlinie.

Seit Anfang Juli gilt die neue Fassung der Leitlinie Prostatakrebs, einige wesentliche Punkte haben sich geändert.

Änderungen bei Therapie und Früherkennung

Lässt sich mit einer Tastuntersuchung Krebs in der Prostata frühzeitig erkennen? Nein, sagt die neue Leitlinie und stützt sich dabei auf neuere Studien. Millionen Männer haben sich damit wohl jahrelang in falscher Sicherheit gewogen. Inzwischen ist klar: Beim Abtasten fallen nur größere, schon fortgeschrittene Tumore auf.

Der Bluttest auf das prostataspezifische Antigen (PSA) schlägt früher an, führt aber immer wieder auch zu Fehlalarmen. “Wir empfehlen jetzt in der Leitlinie ein abgestuftes Früherkennungsprogramm, was mit dem PSA-Wert als Einstiegstest beginnt”, erklärt Marc-Oliver Grimm, Ärztlicher Direktor der Urologischen Uniklinik Jena und Koordinator der neuen Leitlinie. “Und wenn der PSA-Wert über 3 ng/ml ist, dann soll eine Risikoeinschätzung erfolgen.”

Erst bei dieser Risikoabwägung spielt dann auch die Tastuntersuchung eine Rolle. Wenn in der Familie gehäuft Prostatakrebs auftritt, ist das eigene Risiko größer. Außerdem spielt die Größe der Prostata bei erhöhtem PSA-Wert eine Schlüsselrolle: Es gehe dabei vor allem um die Volumenbestimmung der Prostata, erklärt Grimm. Diese Messung hilft, hohe PSA-Werte richtig einzuordnen. Eine sehr große Prostata produziert deutlich mehr PSA als eine kleine. Das heißt, bei einer kleinen Drüse ist ein Wert von 3 ng/ml wesentlich problematischer als bei einer großen Prostata.

Prostatakrebs im Überblick

  • Prostatakrebs ist mit durchschnittlich 65.820 Neuerkrankungen pro Jahr die häufigste Krebsart bei Männern
  • Bei Männern unter 50 tritt Prostatakrebs nur selten auf
  • Besonders betroffen sind ältere Männer
  • Im Alter von 75 Jahren erkrankt statistisch gesehen einer von 15 Männern in den nächsten zehn Jahren an Prostatakrebs
  • Im Verlauf eines Lebens erkrankt einer von sieben Männern
  • Etwas mehr als drei Prozent aller Prostatakrebs-Fälle enden tödlich

Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten

Differenzierte Therapie statt Standardbehandlung

Grundsätzlich können auch Entzündungen, manche Medikamente oder Druck auf die Prostata den PSA-Wert erhöhen. Wenn sich der Verdacht auf einen Tumor erhärtet, sollte laut Grimm der nächste Schritt erfolgen: eine Kernspin-Untersuchung, also ein MRT.

“Das Problem beim Prostatakarzinom ist ja, dass wir einmal einen ‘Haustierkrebs’ haben – der hat eine sehr geringe Aggressivität, wächst lokal, aber der metastasiert nicht, der wächst sehr langsam”, so Professor Grimm. Viele Männer würden daher nicht an einem Prostatakarzinom sterben, sondern damit, erklärt Grimm. Es gebe auf der anderen Seite aber auch einen aggressiven “Raubtierkrebs”. Das MRT helfe dabei, diese Formen gut zu differenzieren.

Wenn sich der Tumor dann als wenig aggressiv herausstellt, soll er erstmal gar nicht behandelt werden. Engmaschig überwachen reicht – das ist eine entscheidende Änderung zur bisherigen Empfehlung. Bisher sollte Patienten mit langsam wachsenden Tumoren auch eine Operation und Bestrahlung als Behandlungsoptionen angeboten werden.

“Das erfordert auch ein Umdenken, auch bei den Ärzten. Aber es ist eben unsere Aufgabe als Ärzte, dass wir die Patienten da mitnehmen”, sagt Grimm. Der Urologe verweist auf eine große Studie aus England, die gezeigt habe, dass die Sterberate nach 15 Jahren gleich sei – egal, ob die Patienten anfänglich überwacht, operiert oder bestrahlt würden. Voraussetzung sei aber, dass es sich um ein Niedrigrisiko-Prostatakarzinom handle.

Entscheidung über Kostenübernahme steht aus

Die zuständigen Fachgesellschaften haben die neue Leitlinie Anfang Juli offiziell verabschiedet. Trotzdem werden die Krankenkassen nicht automatisch für die empfohlenen Untersuchungen zahlen. Darüber muss erst der Gemeinsame Bundesausschuss entscheiden – und dieses Gremium stützt sich auf die Einschätzung des unabhängigen “Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen” (IQWIG).

Stefan Sauerland, Leiter des Ressorts für Nichtmedikamentöse Verfahren am IQWIG, zieht eine gemischte Bilanz aus den neuen Empfehlungen zur Früherkennung: Die neue Leitlinie sei zwar feiner und könne für einzelne Situationen besser adaptiert werden als die frühere Fassung, erklärt Sauerland. Allerdings bedeute dies auch einen deutlich höheren Aufwand. “Die Urologen sind hier sehr forsch in ihrer Leitlinie und wollen jetzt ein Screening, was eher eine Maximalvariante darstellt.”

Sauerland sieht unter anderem die Altersgrenzen für ein mögliches Screening, also eine Reihenuntersuchung auf Prostatakrebs, kritisch: Der empfohlene Start schon mit 45 sei sehr früh – und das Ende gar nicht definiert: “Die Empfehlung ist jetzt erst einmal: Bei einer Restlebenserwartung von mindestens zehn Jahren kann man noch weiter screenen. Und das ist etwas, was dann natürlich Tür und Tor öffnet für eine ewige Diagnostik, bis vielleicht 75 oder 80 Jahren. Das macht sicherlich überhaupt keinen Sinn.”

Leitlinienkoordinator Marc-Oliver Grimm verweist darauf, dass die Empfehlung für einen frühen Start und die nach oben offene Altersgrenze erstmal nur für die individuelle Früherkennung gelte.

Debatte um flächendeckendes Screening-Programm

Könnte es für Männer in einigen Jahren eine organisierte Krebsfrüherkennung geben, so wie beim Mammographiescreening für Frauen? Führende Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Urologie haben genau das kürzlich im Ärzteblatt gefordert. Und gehen damit viel weiter als die Leitlinie, betont Stefan Sauerland vom IQWIG.

Berufspolitisch passiere es oft, dass die Urologen sich Klientel wünschten und dafür werben würden, dass eigentlich jedermann zu einer Früherkennungsuntersuchung hingehen solle. “Und diese Empfehlung steht so zumindest nicht in der Leitlinie drin, und ich bin auch sehr skeptisch, dass eine solche Forderung sich derzeit umsetzen ließe.”

Leitlinien-Koordinator Grimm sieht dagegen einen dringenden Bedarf: “Die Studien, die man gemacht hat, legen nahe, dass man eigentlich ein organisiertes Früherkennungsprogramm braucht, sprich also Screening, um die Prostatakrebssterblichkeit wirklich zu senken.”

Laut Sauerland wird es rund zwei Jahre dauern, bis der Gemeinsame Bundesausschuss sich für oder gegen ein solches Programm entscheidet.