Zwei Billionen Euro Ausgaben, plus ein Krisenfonds von bis zu 400 Milliarden Euro. Diese Zahlen muss man erst einmal wirken lassen. Zurückhaltung legt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht an den Tag, wenn es um das mehrjährige EU-Budget 2028 bis 2034 geht. Da mögen die Mitgliedstaaten noch so sparen müssen. Von der Leyen geht in die Vollen.
Sie orientiert sich nicht an der traditionellen Marke, dass rund ein Prozent der Wirtschaftsleistung in das EU-Budget fließen sollen. Sie fordert 1,26 Prozent.
Die Begründung für die Mehrausgaben ist seit Jahrzehnten immer dieselbe: Die EU sieht sich mit neuen Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert; das Budget muss moderner werden. Von der Leyen braucht vor allem Geld für die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und die wegen der geopolitischen Lage nötige Aufrüstung.
Leisten soll das vor allem ein riesiger Wettbewerbsfähigkeitsfonds von 410 Milliarden Euro. Allein 131 Milliarden sollen in die Rüstung fließen, ein Großteil des Rests in die „saubere Wende“, wie der Green Deal inzwischen heißt, und die Digitalisierung. Von der Leyen will damit eifrig Industriepolitik betreiben.
Das Schuldenargument überzeugt nicht
Nun ist Skepsis erlaubt, was die industriepolitischen Gestaltungsfähigkeiten der Brüsseler Zentrale betrifft. Dass der französische EU-Binnenmarktkommissar Stéphane Séjourné den Wettbewerbsfähigkeitsfonds in Anspielung auf den vielzitierten Bericht des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, gar zum „Draghi-Fonds“ erklärt, ist eine Anmaßung. Draghi hat mehr gefordert als viel europäisches Geld für industriepolitische Träume.
Für die Wettbewerbsfähigkeit der EU wäre es wichtiger, wenn die Kommission den Bürokratieabbau und die Vollendung des Binnenmarkts vorantriebe. Insbesondere bei letzterem legt die Kommission erschreckend wenig Engagement an den Tag.
Für ein modernes Budget zumindest braucht die EU nicht zwei Billionen Euro. Auch das zweite Argument der Kommission für die Aufstockung überzeugt nicht: die 2028 beginnende Rückzahlung der Schulden, die die EU für den Corona-Fonds aufgenommenen hat. Die Kommission setzt dafür allein 168 Milliarden Euro an.
Die Kommission muss an anderer Stelle sparen
Nein, wenn die Kommission Geld für moderne Ausgaben benötigt und die EU ihre Schulden zurückbezahlen muss, dann muss sie eben an anderer Stelle sparen. Spielraum dafür gibt es im Haushalt seit jeher genug, bei all den „unmodernen“ Ausgaben: den fehlgeleiteten Agrarhilfen und den bestenfalls beschränkt erfolgreichen Kohäsionsmitteln. Sie machen bisher jeweils ein Drittel des Budgets aus. Von der Leyen will beide Posten zwar kürzen. Die Landwirte sollen 30 Prozent weniger bekommen. Stärkere Einschnitte wagt sie aus Angst vor Trecker-Protesten aber nicht.
Dafür wagt sie an anderer Stelle einen radikalen Schritt, um Geld in sinnvolle Ausgaben lenken zu können. Sie will die verkrustete, jede Reform erschwerende Struktur des EU-Budgets aufbrechen. Die traditionellen Haushaltsposten wie die Agrar- und die Kohäsionspolitik sollen verschwinden. Sie sollen in einem neuen 865 Milliarden großer Topf aufgehen, aus dem die EU-Staaten Geld für verschiedene Ziele abrufen können. Wofür sie das genau einsetzen, sollen sie in „Partnerschaftsplänen“ mit Brüssel aushandeln.
Die Staaten sollen die Pläne jederzeit anpassen können, ein Viertel des Geldes will Brüssel als Puffer zurückhalten. Die EU und die Staaten können so flexibler auf unerwartete Herausforderungen reagieren und dafür „unmoderne Mittel“ umnutzen. Einzige Einschränkung ist, dass bedauerlicherweise ein Teil des Gelds für Mindesthilfen für Bauern und Regionen reserviert bleibt.
Den Besitzstandswahrern gefällt diese Idee natürlich nicht. Sie ist auch nicht ohne Risiko. Wenn Brüssel wie geplant nur noch Pauschalen an die EU-Staaten überweist, erschwert das die Kontrolle. Zugleich haben Brüssel und die Hauptstädte beim Aushandeln der Pläne vielleicht zu viel Spielraum, um zweifelhafte Lieblingsprojekte zu fördern oder Haushaltslöcher zu stopfen.
Dennoch sollten die Mitgliedstaaten den Ansatz zumindest wohlwollend prüfen. Einen Riegel müssen sie indes dem neuen 400-Milliarden-Reservefonds für eventuelle Krisen vorschieben. Das legt die Basis für die nächsten EU-Schulden – selbst, wenn er einstimmig aktiviert werden muss. Dasselbe gilt für die Vorschläge für neue direkte EU-Einnahmen, allen voran die Unternehmensabgabe. Die Finanzierung durch nationale Beiträge hat sich bewährt. Alles andere verschleiert nur die Kosten der EU für ihre Mitglieder.