In Berlin scheint es eine neue Brandmauer zu geben. Sie wirkt sehr stabil und verläuft zwischen den Bundestagsfraktionen von Union und SPD in der Angelegenheit Brosius-Gersdorf. In der Frage, wie es weitergeht mit der Besetzung von drei Richterstellen am Bundesverfassungsgericht, gibt es weder aus der SPD noch aus der Union Zeichen der Annäherung.
In der Union heißt es nach wie vor, es bestehe kein Zeitdruck, die am vergangenen Freitag abgesagte Wahl bald stattfinden zu lassen. Gerechnet wird damit, dass eine Einigung mit den Sozialdemokraten auch erst im September stattfinden könne. Eine abermalige Kandidatur von Brosius-Gersdorf wird in der Union als aussichtsloses Unterfangen angesehen. Der hessische CDU-Abgeordnete Stefan Korbach, der dem Wahlausschuss angehört, ließ sich vom „Wiesbadener Kurier“ mit der Aufforderung an die Bewerberin zitieren: „Zu einer mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu gewinnenden Wahl sollte Frau Brosius-Gersdorf nicht antreten.“
Der Ausschuss nominiert die Kandidaten, die anschließend vom Bundestag gewählt werden. Die Sitzung am Montag der vorigen Woche wird als ruhig und unaufgeregt beschrieben. Brosius-Gersdorf bekam die erforderliche Zweidrittelmehrheit, um als Kandidatin von Union und SPD im Bundestag anzutreten. Erst nach der Nominierung durch den Ausschuss baute sich der Widerstand in der Union zu einer großen Welle auf.
Zwei Briefe mit einer Botschaft: Die SPD steht zur Kandidatin
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Matthias Miersch, verschickte innerhalb weniger Tage zum zweiten Mal einen langen Brief an die Fraktionsmitglieder. Darin lobt er, die Koalition habe in den 70 Tagen, die sie regiere, „zentrale Weichen“ gestellt. Dann kommt Miersch rasch und ausführlich auf die abgesagte Richterwahl zu sprechen. Die SPD habe in den vorigen Wochen „ihren Teil zur Stabilität in der Koalition“ beigetragen. „Das erwarten wir jetzt auch von unserem Koalitionspartner“, schreibt er.
Miersch setzte in der SPD damit den Ton für den weiteren Umgang mit der Personalie und ließ keinen Zweifel daran, dass die Sozialdemokraten an der Kandidatin festhalten würden. „Wir stehen weiter uneingeschränkt hinter der Kandidatin, Professor Dr. Frauke Brosius-Gersdorf.“ An deren Eignung bestehe „kein Zweifel“. Sie habe sich gegen „unsachliche Vorwürfe“ zur Wehr gesetzt. Mierschs Äußerungen passen zu dem, was sonst aus der SPD zu hören ist: Niemand halte es für richtig, auch nur einen Millimeter zurückzuweichen. Nicht hinter Brosius-Gersdorf zu stehen, sei keine Option.
Carmen Wegge, die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, verwies im Gespräch mit der F.A.Z. auf verschiedene Akteure, die ihrer Meinung nach eine Kampagne gegen Brosius-Gersdorf führen. Wegge erwähnt in diesem Zusammenhang eine Recherche von T-Online. Das Portal berichtete am Mittwoch, dass der Heidelberger Rechtswissenschaftler Ekkehart Reimer den Wikipedia-Eintrag zu Brosius-Gersdorf einige Tage vor Bekanntwerden ihrer Kandidatur veränderte. „Will man sich einem Männerklüngel beugen, der aktivistisch versucht, diese Kandidatin zu verhindern“, fragt Wegge. Für die SPD könne es auch angesichts dessen kein Zurück geben.
„Wo kämen wir andernfalls hin?“
Ähnlich klingt Sonja Eichwede, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Mitglied im Wahlausschuss. Sie sagte der F.A.Z.: „Wir sind überzeugt von unserem Vorschlag und stehen hinter Frau Prof. Dr. Brosius-Gersdorf.“ Die SPD wolle nichts anderes, aber sie dürfe solchen Kampagnen auch keine Macht einräumen. „Wo kämen wir andernfalls hin?“, fragt Eichwede. Sie fürchtet außerdem, dass sich fachlich ausgezeichnete Kandidaten künftig nicht mehr bereit erklären könnten, für solch ein Amt zu kandidieren.
Brosius-Gersdorf hatte in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ angekündigt, auf ihre Kandidatur zu verzichten, sollte ein Schaden für das Bundesverfassungsgericht drohen. Trotzdem gebe es für die SPD momentan keinen Anlass, anzunehmen, dass ihre Kandidatin ernsthaft über einen Rückzug nachdenke, sagt Wegge. Wichtiger sei, was Brosius-Gersdorf zuvor bei Lanz gesagt habe. Die Juristin hatte die Frage aufgeworfen, was passiere, wenn sich „solche Kampagnen, und es war zum Teil eine Kampagne,“ durchsetzten. Was das mit unserem Land und unserer Demokratie mache.
Die SPD bleibt nicht nur bei ihrer Forderung, dass die Union auf sie zugehen müsse. Die Sozialdemokraten fordern auch, dass CDU und CSU mit Brosius-Gersdorf sprechen. Aus Kreisen der Unionsfraktion erfuhr die F.A.Z. jedoch, dass es keine Pläne für ein solches Treffen gebe.
Die Forschungsministerin gerät in die Kritik von Forschern
Für eine weitere Verhärtung hat ein Auftritt von Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) bei Sandra Maischberger in der ARD gesorgt, bei dem sie Verständnis für die Unionsabgeordneten äußerte und als Parteipolitikerin, nicht als Forschungsministerin argumentierte. Bär verteidigte die Kritik an Brosius-Gersdorf und legte ihr nahe, die Kandidatur zurückzuziehen. „Wir haben lauter mündige Abgeordnete, und wenn die sagen, ich kann mit meinem Gewissen Frau Brosius-Gersdorf nicht wählen, dann akzeptiere ich das, dann respektiere ich es und dann erwarte ich aber auch von der Kandidatin, dass sie mal für sich selbst überlegt, ob sie die Richtige ist“, sagte Bär. Aus der Angelegenheit eine „Riesenstaatskrise“ zu machen, erschließe sich ihr nicht.
Für besondere Empörung unter Wissenschaftlern sorgte Bärs Bemerkung, man tue Frauen keinen Gefallen, wenn man sich nicht mit ihren Inhalten auseinandersetzen dürfe. Sie erwarte „ein bisschen Resilienz“ und „dass man auch kritikfähig sein muss“, wenn man sich „ins höchste deutsche Gericht wählen lassen möchte“. In sozialen Netzwerken ergießt sich ein Shitstorm von Wissenschaftlern, die sich an die Fördermittelaffäre von Bärs Vorgängerin Stark-Watzinger erinnert fühlen und Bär die öffentliche Diffamierung einer Wissenschaftlerin vorwerfen.
Der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak äußerte bei RTL die Vermutung, „dass das Kalkül der Unionsführung ist, dass Frau Brosius-Gersdorf weiter, man muss es so hart sagen, sturmreif geschossen wird und den Rückzug antritt“. Er halte die gesamte Aktion für „hochnotpeinlich“.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing ist Brosius-Gersdorf auch angesichts von Kritik in Bischofspredigten beigesprungen und hat der „Augsburger Allgemeinen“ gegenüber gesagt, „diese Frau hat nicht verdient, so beschädigt zu werden“. Er vermied jeden weiteren Kommentar zur Auswahl der Kandidatin und meinte, in dieser Debatte sei viel schiefgelaufen. „Es ist kein Thema für einen Kulturkampf. Wir können diesen Kulturkampf nicht gebrauchen. Es gibt zu viele Profiteure davon“, so Bätzing.