Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert von der neuen Regierung eine Stärkung der Wirtschaft des Landes. In einer Rede vor dem Parlament in Kiew sagte er anlässlich der Abstimmung über das neue Kabinett am Donnerstag, dazu seien eine „maximale Deregulierung“, die Beseitigung bürokratischer Hindernisse und die „maximale Befreiung der gesellschaftlichen Kräfte der Ukraine“ nötig. Die Erneuerung der Regierung werde die Erfüllung dieser Aufgaben garantieren, sagte Selenskyj.
Die meisten Mitglieder des neuen Kabinetts gehörten der Regierung indes schon bisher an. Die neue Ministerpräsidentin Julija Swyrydenko war bisher Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. Ihr erster Stellvertreter, Digitalisierungsminister Mychajlo Fedorow hat sein Amt bereits seit Herbst 2019 inne; er erhält in der neuen Regierung indes mehr Aufgaben und Vollmachten. Das während des Kriegs wichtigste Ministerium, das Verteidigungsministerium, wird vom bisherigen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal übernommen. Es wird durch die Zusammenlegung mit dem Ministerium für strategische Industrie (also vor allem der Rüstungsindustrie) zu einer Art Superministerium.
Neues Superministerium für Verteidigung und Rüstungsindustrie
Trotz seiner Versetzung auf ein formal niedrigeres Amt bleibt Schmyhal damit einer der Schlüsselakteure in der Regierung. Zur Begründung dieser Rotation zitiert das Nachrichtenportal RBK-Ukraina einen namentlich nicht genannten Gesprächspartner aus der Umgebung Selenskyjs: Swyrydenko und Fedorow – die in der Wirtschaft angesehen sind – sollten ein gutes Investitionsklima schaffen, während Schmyhal – der als guter Organisator gilt – „das Geld mit größtmöglicher Effizienz ausgeben soll“. Nach Einschätzung ukrainischer Medien ist es dem bisherigen Verteidigungsminister Rustem Umjerow nicht gelungen, das Haus in Ordnung zu bringen. Als er im September 2023 ins Amt kam, war das mit der Hoffnung verbunden, er werde mit seiner Erfahrung als Unternehmer und früherer Leiter des Staatlichen Eigentumsfonds das als schwerfällig geltende und von Korruptionsaffären erschütterte Ministerium zu einer effizienten Behörde umbauen.
Umjerow soll jedoch laut Berichten ukrainischer Medien weiter in verantwortlicher Position tätig bleiben und Mitglied es nationalen Sicherheitsrates werden. Ursprünglich hatte es geheißen, dass er die ukrainische Botschafterin in Washington ablösen werde, der von Donald Trumps Regierung eine Nähe zu den Demokraten und dem früheren Präsidenten Joe Biden nachgesagt wird. In einem Telefonat am 4. Juli hatte Selenskyj Trump ihre Abberufung zugesagt. Den für die Ukraine besonders wichtigen Posten in Washington wird jedoch die bisherige Europaministerin Olha Stefanischyna erhalten. Sie wurde von Präsident Selenskyj am Donnerstag per Erlass zu seiner Sonderbeauftragten für die Zusammenarbeit mit den USA ernannt. In ukrainischen Medien wurde nun darüber spekuliert, ob die US-Führung Einwände gegen Umjerow erhoben hatte.
Opposition sieht Verstärkung autoritärer Tendenzen
Das Wirtschaftsministerium und das Ministerium für europäische Integration werden mit Männern besetzt, die als Vertraute der neuen Ministerpräsidentin Swyrydenko gelten. Ihr altes Ministerium wird von ihrem bisherigen Stellvertreter Olexij Soboljew übernommen, während für Europa als stellvertretender Ministerpräsident Taras Katschka zuständig sein soll, der bisher gleichfalls stellvertretender Wirtschaftsminister war. Außenminister bleibt Andryj Sybiha, der erst seit September vorigen Jahres im Amt ist.
Die Opposition kritisierte, dass mit dem neuen Kabinett die Position Andrij Jermaks, des Leiters der Präsidialkanzlei, weiter gestärkt werde. Ihm wird seit langem vorgeworfen, zu viel Macht in seinen Händen zu konzentrieren. Oppositionsparteien klagen über zunehmend autoritäre Tendenzen. Jermak soll schon früher versucht haben, den Rücktritt des nun aus dem Amt geschiedenen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal zu erzwingen. Die neue Ministerpräsidentin Julija Swyrydenko arbeitete von Ende 2020 bis Ende 2021 als stellvertretende Leiterin des Präsidialamts direkt unter Jermak.