Eine Freundschaft, aber nicht so tief wie mit Frankreich

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Am Ende hat man noch einen passenden Ort für die Unterzeichnung gesucht. Einen Ort, der die Freundschaft zwischen Briten und Deutschen in geeigneter Weise untermauere, wie man es in der Bundesregierung formulierte. Einen Ort, der dem Freundschaftsvertrag zwischen den beiden Ländern einen Namen geben kann. Gefunden hat man das Victoria and Albert Museum, benannt nach Königin Victoria und Prince Albert, ihrem deutschstämmigen Ehemann aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha.

Und weil das Museum im Londoner Stadtteil Kensington liegt, stehen am Donnerstagmittag Kanzler Friedrich Merz und Premierminister Keir Starmer mit ihren Außenministern auf einer Brücke zwischen zwei mächtigen Hallen und unterschreiben den Kensington-Vertrag. Vier Unterschriften jeweils und vier Fahnen hinter ihnen, einmal die EU, einmal Deutschland, zweimal der Union Jack.

Danach treten sie vor die Mikrofone. Starmer lobt die engen Beziehungen, und Merz sagt, das sei ein historischer Tag, und es sei auch für ihn eine große Ehre, „heute hier in diesem Museum zu sein, das zwei Namen trägt, die auch die britische und deutsche Geschichte eng miteinander verbinden“. Man wolle enger zusammenarbeiten, „insbesondere nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union“. Der Kanzler sagt weiter: „Es ist überfällig, dass wir einen solchen Vertrag miteinander abschließen.“

Merz ist an diesem Tag nach London geflogen, nicht nur um den Freundschaftsvertrag zu unterzeichnen. Es ist aber der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung eines eigentlich recht späten Antrittsbesuchs des Kanzlers bei einem so engen Partner, bei einem Freund. Aber es ist ja nicht nur so, dass der Vertrag fertig verhandelt und der Ort für die Unterzeichnung gefunden werden musste. Getroffen haben sich Starmer und Merz auch so schon bei internationalen Gipfeln in den vergangenen Wochen von G 7 bis NATO, und kurz nach dem Amtsantritt von Merz sind sie sogar zusammen Nachtzug gefahren.

Sicherheit vor einem aggressiven Russland

Mit dem französischen Präsidenten und dem polnischen Ministerpräsidenten hatten sie die ukrainische Hauptstadt besucht und von Kiew aus beim amerikanischen Präsidenten angerufen. Es war der Beginn einer engen Abstimmung im Versuch, die Unterstützung der Ukraine zu sichern und Amerika dabeizuhalten. Und es ging schon da um das Thema, das auch im Freundschaftsvertrag ganz vorne steht: die Sicherheit vor einem aggressiven Russland. Auf der Rückfahrt im Zug hatten Starmer und Merz lange zu zweit gesprochen, heißt es in der Bundesregierung.

Dass Starmer und Merz nun zusammen im Königin-Victoria-und-Prince-Albert-Museum stehen und den Vertrag unterzeichnen können, geht auf eine lange Geschichte zurück. Nachdem Prince Albert im 19. Jahrhundert noch ein beliebter Deutscher auf der britischen Insel war, standen sich die beiden Länder im 20. Jahrhundert erst in zwei Weltkriegen gegenüber, und die Beziehungen danach waren lange geprägt von Klischees und Distanz, vor allem von britischer Seite: bis hin zu den Sorgen der britischen Premierministerin Margaret Thatcher vor einem wiedererstarkenden Deutschland in der Zeit der Wiedervereinigung, Stichwort Chequers-Affäre.

Heute stehen diese Sorgen auf der Insel nicht im Zentrum, stattdessen wird Zufriedenheit signalisiert, dass die Deutschen wie die Briten eine wichtige Rolle übernommen haben bei der Unterstützung der Ukraine. Nach dem Brexit versucht die britische Regierung nicht nur mit der EU selbst die Beziehungen zu sortieren, sondern auch mit einzelnen Ländern zu einer besseren Zusammenarbeit zu kommen – auch wenn das innenpolitisch nicht immer so ganz einfach ist, auch nicht für Starmer.

Dabei geht es London neben den Sicherheitsfragen vor allem um die Zusammenarbeit bei Wirtschaft und Migration. So verkündete Starmer schon im August bei seinem Antrittsbesuch in Berlin beim damaligen Kanzler Olaf Scholz, dass man einen Freundschaftsvertrag schreiben wolle. Er sprach von einer Chance, die es nur einmal in einer Generation gebe. Scholz sagte, man wolle die Beziehungen der beiden Länder auf eine neue Grundlage stellen. So begann die Arbeit an dem Vertrag.

Deutschland hat jedes Komma mit der EU rückgekoppelt

Rasant hatte das federführende Auswärtige Amt mit den Briten verhandelt, trotzdem zerbrach die Ampelkoalition noch rasanter. Als Merz Kanzler wurde, machte er klar, dass es weitergehen solle. Man habe die Vorarbeiten einer Überprüfung unterzogen, heißt es im Kanzleramt. Das habe zu Nachschärfungen geführt, vor allem im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wo man noch mal „draufgesattelt“ habe, aber auch bei Themen wie der Zusammenarbeit in der Luftfahrt, Digitalisierung oder Staatsmodernisierung. Ganz besonders hat man von deutscher Seite aufgepasst, jedes Komma mit der EU „rückzukoppeln“. Damit man der Verständigung zwischen Großbritannien und der EU einen Gefallen tue und keinen Bärendienst erweise.

Für die deutsche Seite war es auch wichtig, so gab es schon Scholz vor und so sieht es auch Merz, dass man bei den persönlichen Kontakten und Reisen Erleichterungen erreiche – angefangen bei Klassenreisen und Auslandsstudium. Diesen Punkt hebt Merz nach der Unterzeichnung hervor: „Dies ist eine gute Basis für die weitere Entwicklung unserer Beziehungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.“

27 Seiten hat der Vertrag jetzt, ergänzt wird er von einem Aktionsplan, in dem 17 Projekte festgeschrieben sind, die London und Berlin angehen wollen. Der Aktionsplan erwähnt auch das Trinity-House-Abkommen zur Verteidigung, das die Verteidigungsminister der beiden Länder bereits im vergangenen Herbst unterzeichnet hatten. Dazu gehört die Entwicklung gemeinsamer Abstandswaffen, aber auch die Kooperation bei der Abwehr von Unterwasserbedrohungen in der Nordsee – und die Sicherung kritischer Infrastruktur. Nach der Unterzeichnung des Vertrages geht es für Starmer und Merz zu einem Vier-Augen-Gespräch in Downing Street Nummer 10.

Das Beziehungsdreieck zwischen Berlin, Paris und London

Ein Freundschaftsvertrag ist für Deutschland etwas Besonderes, und am tiefsten geht jener mit Frankreich, der Aachener Vertrag. Dass der deutsch-britische nicht so tief greift, war in Berlin schon in den Verhandlungen zu hören gewesen, und so liest er sich auch. Als dritter Schenkel eines Beziehungsdreiecks zwischen Berlin, Paris und London will man den Vertrag verstanden wissen. Tatsächlich hat sich auch aus Sicht der Bundesregierung die Zusammenarbeit der drei Länder in den vergangenen Wochen sehr bewährt, nicht nur mit Blick auf die Ukraine. Die drei Partner versuchen gerade eine gemeinsame Position abzustimmen, ob und wann sie bei den Atomverhandlungen mit Iran ihren Snapback ziehen wollen, um die Sanktionen wieder in Kraft zu setzen. Da wird die Zeit knapp.

Bei der Unterstützung der Ukraine hat Merz seine Position unter den drei Partnern in den vergangenen Wochen nicht nur gefunden, sondern offenbar auch gestärkt. Darauf deutet schon hin, dass er es war, der am vergangenen Freitag von Donald Trump im Frust über den russischen Präsidenten angerufen wurde. Trump bot ihm an, dass er zwei dringend benötigte Patriot-Systeme für die Ukraine abkaufen könne. Wann die Systeme aus Deutschland aber in die Ukraine geschickt werden und wann die Ersatzsysteme aus Amerika in Deutschland ankommen, ist noch offen. Merz sagt, über die Details werde derzeit unter den Verteidigungsministern verhandelt. Es zeichnet sich ab, dass Berlin zunächst geklärt haben will, wann der Ersatz aus Amerika eintreffen wird.

Ein drittes System bezahlt Oslo. Auch London hat sich bei der Finanzierung der neuen Systeme offen gezeigt – bei der gemeinsamen Pressekonferenz weicht Starmer Nachfragen zu der konkreten Ausgestaltung dazu aber aus. London will innerhalb der „Koalition der Willigen“ Pläne für die Zeit nach einem Waffenstillstand ausarbeiten. Starmer hatte schon länger auf eine Friedenstruppe gepocht – Berlin hält sich hier bislang zurück. Die Pläne zur Sicherung eines Waffenstillstands seien schon weit fortgeschritten, sagt Starmer nun. Dazu gehörten Sicherungen in der Luft, auf See und am Land. Als Starmer sagt, es gehe auch darum die ukrainischen Kapazitäten zu stärken, nickt Merz.