Herr Kehrer, die Stiftung „Prout at Work“ unterstützt fast 80 Unternehmen in Deutschland. Wie genau helfen Sie Unternehmen, Chancengleichheit zu schaffen?
Als gemeinnützige Stiftung ist es unser Ziel, Unternehmen zu einer wirklich inklusiven Arbeitswelt zu verhelfen. Das Spektrum unserer Unterstützung ist breit: Wir entwickeln und organisieren maßgeschneiderte Trainings und Workshops, halten Vorträge und erstellen praktische Leitfäden, die Unternehmen eigenständig nutzen können. Es geht darum, dass Unternehmen nicht nur über Diversity reden, sondern sie auch wirklich leben.
Haben Sie einmal ein Beispiel? Welche Rolle spielen dabei aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen?
Ein zentrales Thema ist etwa die Elternzeit. Unsere Leitfäden zeigen auf, wie wichtig es ist, in der internen und externen Kommunikation die Bildsprache dahingehend zu ändern, dass auch Regenbogenfamilien, also gleichgeschlechtliche Paare, explizit einbezogen werden. Ein weiteres, sehr aktuelles Beispiel sind Trans-Personen am Arbeitsplatz. Seit dem Selbstbestimmungsgesetz Ende vergangenen Jahres hat sich gesellschaftlich und politisch viel bewegt.

Dies muss sich auch in den Unternehmen widerspiegeln, beispielsweise durch die Einrichtung von genderneutralen Toiletten. Solche Maßnahmen sind mehr als nur Symbole. Sie signalisieren Wertschätzung und schaffen ein inklusives Umfeld für alle Identitäten, auch für nicht-binäre Personen. Auch wenn dies aufgrund unbewusster Vorurteile manchmal noch eine Herausforderung darstellt.
Das Thema der „Unconscious Bias“, also der unbewussten Vorurteile, steht im Fokus Ihrer Arbeit als Diversity Coach. Was hat es damit auf sich?
Viele unserer Entscheidungen sind nicht neutral, sondern werden von tief verwurzelten Denkmustern geprägt. Wir bevorzugen zum Beispiel unbewusst größere Menschen oder halten Menschen mit Brille für intelligenter. Meine Coachings konzentrieren sich darauf, diese Mechanismen zu erkennen, zu verstehen und zu reflektieren. Das Wissen darum ermöglicht es uns, bewusstere und fairere Entscheidungen zu treffen, um am Ende nicht die Person einzustellen, die uns am ähnlichsten ist, sondern jene, die die besten Fähigkeiten und Perspektiven mitbringt, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Aussehen.
Haben alle Menschen unbewusste Vorurteile?
Ja. Wir können diese Vorurteile zwar nicht komplett eliminieren, aber wir können lernen, bewusster damit umzugehen und ihnen in der Arbeitswelt aktiv entgegenzuwirken, um eine gerechtere und leistungsfähigere Unternehmenskultur zu schaffen.
Seit Jahrzehnten zeigen Studien, dass vielfältige Teams kreativer und innovativer sind. Wenn Diversity aktiv gefördert wird, können Mitarbeitende authentisch sein und Berufs- und Privatleben besser vereinbaren. Das führt zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit. Für die Unternehmen selbst bedeutet dies eine gesteigerte Innovationskraft, was sich wiederum in besseren Produkten, höherem Umsatz und zufriedeneren Kunden niederschlägt. Letztendlich ist Vielfalt ein entscheidender Faktor für den nachhaltigen Erfolg.
Hat die Diskriminierung am Arbeitsplatz angesichts des verstärkten Engagements für queere Inklusion abgenommen?
Leider nicht wie erhofft. Obwohl in den vergangenen 20 Jahren in vielen Unternehmen deutlich mehr für die Inklusion queerer Menschen getan wurde und das Bewusstsein gewachsen ist, ist die Diskriminierungsgefährdung nicht signifikant gesunken. Im Gegenteil, in den letzten fünf Jahren ist sie leicht angestiegen. Das ist ein besorgniserregender Trend, der meiner Meinung nach stark mit dem geänderten politischen Klima und dem Schüren von Hass zusammenhängt.
Beide Banken sind Beispiele für Unternehmen, die seit über 20 Jahren sehr intensive Diversity-Arbeit leisten. Bei der Commerzbank beispielsweise spürt man einen langjährigen und tief verankerten Top-Management-Support für queere Themen; dieses Engagement durchdringt die gesamte Organisation. Auch bei der Deutschen Bank ist Vielfalt tief in der Unternehmens-DNA verankert. Die queere Community bei der Commerzbank ist zudem unglaublich aktiv und engagiert, sie bringt sich konstruktiv ein und ist ein echtes Vorbild.
Wie schwierig ist es, Vielfalt in Großkonzernen zu etablieren, verglichen mit kleineren Unternehmen?
Das hängt in der Regel von den Menschen ab, die im Unternehmen arbeiten. Es braucht Überzeugungstäter mit Durchsetzungskraft. In einem großen Unternehmen kann es anfangs schwieriger sein, Veränderungen zu initiieren als in kleineren, familiäreren Umfeldern. Der Vorteil von Großkonzernen ist: Selbst wenn einzelne Personen an der Spitze Gegenwind erzeugen, gibt es oft genügend Unterstützer und Unterstützerinnen im mittleren Management, die das Thema weiterhin vorantreiben können.
Vor welchen Herausforderungen und Chancen steht Ihre Stiftung bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Rhein-Main-Region?
Die Rhein-Main-Region ist eine total bunte und internationale Gegend, besonders als Finanz- und Wirtschaftsstandort. Hier treffen unzählige Kulturen und Lebensweisen aufeinander. Nur weil viel Diversity vorhanden ist, heißt das aber nicht automatisch, dass sich auch alle direkt gut verstehen. Genau hier macht es Sinn, Diversity-Management zu betreiben. Queere Menschen gibt es in jeder Kultur, und in manchen kann man damit offener umgehen als in anderen.
Wenn Unternehmen das Thema Diversity am Arbeitsplatz aktiv mitdenken und leben, hat das einen positiven Effekt auf die Attraktivität als Arbeitgeber. Queere Talente werden sich eher für einen Arbeitsplatz in Frankfurt entscheiden, wenn sie wissen, dass sie dort offen und akzeptiert sein können. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil im Kampf um Fachkräfte, den man nicht unterschätzen sollte.
In den USA hat Präsident Trump ein Dekret gegen Initiativen für mehr Diversität in Unternehmen erlassen. Beobachten Sie, dass Betriebe auch hierzulande zurückhaltender werden?
Leider ja, zumindest bei einigen Unternehmen. Wir haben in Deutschland zwar eine andere Situation, insbesondere einen massiven Arbeitskräftemangel, der Unternehmen dazu zwingt, sich für alle Talente interessant aufzustellen. Doch was die Strömungen aus den USA, etwa unter Trump, angeht: Wir sehen schon, dass es einige Unternehmen gibt, die im vorauseilenden Gehorsam stiller werden und ihre Diversity-Arbeit nicht mehr so aktiv nach außen kommunizieren wollen.
Sie ziehen sich zurück, um keine Angriffsfläche zu bieten. Aber gerade in der heutigen Zeit halte ich es für umso wichtiger, dass Unternehmenslenker Rückgrat zeigen und mutig für Vielfalt einstehen. Das gilt nicht nur im Hinblick auf internationale Entwicklungen, sondern auch für unsere eigene Gesellschaft hierzulande.
Gleichzeitig werben viele Unternehmen nach außen mit Vielfalt. Wie ernst nehmen sie das Thema tatsächlich?
Das Phänomen des „Pinkwashings“ gibt es leider immer wieder. Es bedeutet, dass Unternehmen zwar nach außen hin Vielfalt und Offenheit zeigen, etwa indem sie auf dem Christopher Street Day (CSD) mitlaufen oder bunte Logos verwenden, aber intern die Strukturen und die Kultur nicht wirklich divers sind. Es bringt nichts, nur einmal im Jahr im die Regenbogenfahne zu hissen, wenn keine echten Maßnahmen ergriffen werden. Manche Unternehmen machen das nur, um Kunden oder Talente von sich zu überzeugen, stehen aber gar nicht wirklich dahinter. Das ist kontraproduktiv und untergräbt das Vertrauen.
Wie gehen Sie mit Gegenwind oder Diskriminierung um, die Sie in Unternehmen erleben?
In erster Linie versuchen wir es mit persönlichen Gesprächen. Oft basieren diese auf Vorurteilen oder mangelndem Kontakt. Manche Menschen glauben, noch nie Kontakt zu einer queeren Person gehabt zu haben, und verfallen deswegen in unbewusste Denkmuster. Sie haben dann oft Bilder von queeren Menschen oder Trans-Personen im Kopf, die nichts mit der Realität zu tun haben. Unsere Arbeit zielt darauf ab, Begegnungen herzustellen, damit die Leute sich gegenseitig kennen und verstehen lernen. Nur so lassen sich Barrieren abbauen. Arbeitsrechtliche Maßnahmen sollten immer die allerletzten Schritte sein. Man muss versuchen, die Menschen zu verstehen: Wovor haben sie Angst? Was brauchen sie, damit auch sie ihren Platz finden können?
Zur Person
Das Thema Diversität beschäftigte den gebürtigen Augsburger und gelernten Bankkaufmann Albert Kehrer schon in seinem frühen Berufsleben. Bei IBM engagierte er sich für ein schwul-lesbisches Netzwerk. Mit Luc Vey gründete er 2013 in München die gemeinnützige Stiftung „Prout at Work“, die sich für Vielfalt am Arbeitsplatz einsetzt. Unterstützt wird sie dabei auch von Partnern wie Accenture, Deutsche Börse und PWC.