Jensen Huangs Chinesisch wirkte ein bisschen eingerostet. Der Nvidia-Chef, der aus Taiwan kommt, aber dort nur lebte, bis er fünf war, hatte seine Rede in Peking auf Chinesisch eröffnet. Zum ersten Mal, wie er sagte. Nach einigen Sätzen wechselte er ins Englische. Er wolle dem Saal die Qual ersparen, witzelte er. Huang, der mit dem Chiphersteller Nvidia das wertvollste Unternehmen der Welt führt, entwickelt sich zum vielleicht wichtigsten Tech-Botschafter zwischen den USA und China. Mit US-Präsident Donald Trump scheint er gut zu können, nicht zuletzt weil er ihm Investitionen von Hunderten Milliarden Dollar verspricht, die das Weiße Haus als „Trump-Effekt“ feiert. Doch auch den Umgang mit Peking hat er zuletzt intensiviert. Huang hat dazu allen Grund. Ende vergangenen Jahres, der damalige US-Präsident Joe Biden hatte gerade die Tech-Sanktionen gegen China ausgeweitet, gab China eine Kartelluntersuchung gegen Nvidia bekannt. Die Behörden warfen dem kalifornischen Konzern vor, sich nicht an Auflagen aus einer Übernahme gehalten zu haben. Doch in China werden solche Untersuchungen stets auch als politische Botschaft interpretiert.
Treffen auf höchster Ebene
Huang hat verstanden und bedient seitdem die gesamte Klaviatur, mit der ausländische Konzernchefs Chinas Öffentlichkeit und politische Führung umwerben. Dazu gehört erstens Symbolik: Huang sprach Chinesisch, tauschte für die Rede seine Lederjacke, sein Markenzeichen schlechthin, gegen einen traditionellen Tang-Anzug ein. Das Unternehmen veröffentlichte einen Blogbeitrag darüber, wie Nvidia-Chips helfen, den Wert alter chinesischer Keramik zu identifizieren. Anfang des Jahres schwänzte Huang die Amtseinführung von US-Präsident Trump und feierte mit Nvidia-Angestellten in China das chinesische Neujahrsfest.
Dazu gehört zweitens die Beziehungspflege: Huang traf sich mit erfolgreichen Unternehmern wie dem Xiaomi-Gründer Lei Jun und wichtigen Wirtschaftspolitikern wie Handelsminister Wang Wentao und He Lifeng, einem alten Vertrauten von Präsident Xi Jinping, der als Vizeministerpräsident die Verhandlungen im Handelsstreit führt. Der Besuch in Peking, wo er eine Lieferkettenmesse eröffnete, war nach dem Neujahrstrip und einer Reise Mitte April, als sich Trump und Xi gerade mit Zöllen überzogen, schon die dritte ins Reich der Mitte in diesem Jahr. Zuvor hatte er China in der Pandemie, soweit öffentlich bekannt, gar nicht besucht und im vergangenen Jahr einmal.
Drittens gehört dazu das Geld: Denn Huang umgarnt die Chinesen nicht nur, um KI-Chips zu verkaufen, er investiert auch. In We-Ride etwa, ein auf autonomes Fahren spezialisiertes Unternehmen aus Südchina. Darüber hinaus plant Nvidia laut Berichten ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum in Shanghai. Und viertens gehören dazu Botschaften: Huang lobte die chinesische KI-Industrie als „Weltklasse“. Den US-Chipsanktionen attestierte er vor einigen Monaten „Versagen“, was man in China gern hört.
Wie im Kalten Krieg
Denn wie einst im Kalten Krieg geben die Amerikaner die neuesten technischen Errungenschaften nicht aus der Hand. Erst waren Unternehmen wie Intel und AMD betroffen. Seit der KI-Boom losbrach, hat Washington auch Nvidia fest im Blick und verbietet die Lieferung der fortschrittlichsten Chips nach China. Die beiden Länder sind längst in einem Wettrennen um die Spitzenposition bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. Und Amerikas Sorge ist, dass die Chips in Hightechwaffen eingesetzt werden. Huang glaubt indes, dass die USA die Volksrepublik mit den Sanktionen eher weiter anspornen.
Huangs Strategie erinnert stark an die von Apple-Chef Tim Cook. Auch Cook reist mehrmals im Jahr nach China. Er trinkt chinesischen Tee, bekundet seine Liebe zur Kalligraphie, dreht Videos mit Influencern und trifft sich mit Wirtschaftspolitikern und Provinzchefs. Während Trumps erster Amtszeit investierte Apple in Chinas Uber-Konkurrenten Didi und steckte Geld in Forschungszentren. Wie Patrick McGee in seinem Buch „Apple in China“ schreibt, wollte Apple Signale nach Peking senden. Apple produzierte und verkaufte zwar in China. Weil Apple aber nur Zulieferer hatte, aber kein Gemeinschaftsunternehmen betrieb, hatte die Regierung Sorge, dass nicht ausreichend technisches Wissen im Land bleiben könnte. Apple versuchte demnach die Sorgen mit Investitionen zu zerstreuen.
Es geht um viel
China hat seit dieser Zeit technologisch stark aufgeholt. Doch was Nvidia macht, wirkt ähnlich. Huang zeigt auf, wie Chinas KI-Szene von Nvidia profitiere. Chinas KI-Modelle wie Deepseek seien „Weltklasse“ und hätten hohe Anforderungen im Training und in der Anwendung. Die Architektur des H20-Chips sei dafür „wirklich ideal“. Diesen Chip, der in Rechenzentren genutzt wird, hatte Huang als Geschenk mitgebracht. Nvidia hatte ihn eigens für das Reich der Mitte entwickelt, um sich an die US-Chipsanktionen zu halten. Im Handelsstreit im April weitete Trump das Verkaufsverbot aber kurzerhand auf den H20 aus. Nvidia musste 5,5 Milliarden Dollar abschreiben. Ende vergangener Woche traf sich Huang mit Trump. In Peking verkündete er nun, dass Nvidia diesen Chip in China wieder verkaufen könne.
Für Huang geht es in China um viel. Im vergangenen Geschäftsjahr machte Nvidia 17 Milliarden Dollar Umsatz in China, ein Plus von sieben Milliarden gegenüber dem Jahr 2023. Mit einem Anteil von 13 Prozent war China der drittwichtigste Auslandsmarkt, die wahre Bedeutung dürfte noch größer sein. Denn das kleine Singapur kam auf einen Anteil von 18 Prozent. In dem Stadtstaat laufen nun Ermittlungen wegen des Schmuggels von Nvidia-Chips nach China.
Für Huang steht indes nicht nur das Geschäft der Gegenwart auf dem Spiel, sondern auch das der Zukunft. Die Hälfte der KI-Forscher weltweit seien in China, sagte er in Peking. Chinas KI-Industrie mache rapide Fortschritte. Huang verwies etwa auf Huawei. Das sanktionierte Unternehmen hat sich zum wichtigsten Chipkonzern Chinas entwickelt und macht zusammen mit Partnern rasante Fortschritte, hat aber immer noch einige Jahre Rückstand.
Der Balanceakt für Huang liegt darin, es sich bei all der Zuneigung gegenüber Peking nicht mit Washington zu verscherzen. Trump scheint ihm bisher wohlgesinnt. Doch die beiden Senatoren Elizabeth Warren von den Demokraten und Jim Banks von den Republikanern warnten Huang in einem offenen Brief. „Wir befürchten, dass Ihre Reise in die VR China Unternehmen legitimieren könnte, die eng mit dem chinesischen Militär zusammenarbeiten.“ Sich mit solchen chinesischen Unternehmen zu treffen, sei „unverantwortlich“. Die Senatoren sehen in den Sanktionen denn auch kein „Versagen“ wie Huang, sondern einen „überparteilichen Konsens“. Aber Huang hat die nächste Reise nach Washington sicher schon geplant.