Trump gegen die EU: Countdown im Zollstreit

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Der Präsident der Vereinigten Staaten war in der Vergangenheit eher für schnelle Tweets und langwierige Kundgebungen berüchtigt, als begnadeten Briefschreiber kannte man ihn nicht. Das hat sich geändert, seit Donald Trump regelmäßig Schreiben an amerikanische Handelspartner versendet, die es in sich haben. Am 12. Juli war die Adressatin „Ihre Exzellenz Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission“. Vom 1. August an, drohte Trump, würden die USA einen allgemeinen Zoll von 30 Prozent auf europäische Güter erheben, zusätzlich zu den Sektorzöllen, die sich gegen die Automobil- und Stahlindustrie richten.

Zwei Dinge waren daran bemerkenswert. Das erste ist der Zollsatz: 20 Prozent hatte Donald Trump am „Liberation Day“ im April noch für die EU angekündigt, jetzt hat er noch einmal einen draufgesetzt. 30 Prozent, das würde den transatlantischen Handel zum Erliegen bringen, wie der europäische Handelskommissar Maroš Šefčovič warnte. Die Botschaft ist hier: Die EU hat zu lange gewartet wie das Kaninchen vor der Trumpschen Schlange, den Deal, den der Präsident wollte, hinausgezögert und nur mit vergleichsweise moderaten Gegenmaßnahmen gedroht. Jetzt hat sie die Quittung bekommen von einem Präsidenten, der nur Stärke versteht.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Der zweite bemerkenswerte Aspekt an dem Brief ist das Datum. Eigentlich sollten schon seit dem 9. Juli höhere Zölle gelten. Die Deadline hat Trump im Vorbeigehen um einige Wochen nach hinten verlegt, den Europäern und vielen anderen amerikanischen Handelspartnern mehr Zeit gegeben. Die Botschaft hier ist eine ganz andere: Trump „always chickens out“. Am Ende kneift der Präsident dann doch immer.

Hat die EU also doch alles richtig gemacht? Sich von Trump nicht aus der Ruhe bringen lassen und abgewartet in dem festen Glauben, dass schon alles nicht so schlimm kommt?

Politische Kompromisse

Manche Beobachter haben daran ihren Zweifel. „Im April ist die EU in diesen Handelskrieg mit Selbstbewusstsein und guten Karten eingetreten“, stellt der Politikwissenschaftler Tobias Gehrke in einem Beitrag für den European Council of Foreign Relations fest. „Jetzt scheint sie ihre gute Hand verspielt zu haben.“

Dass die EU sich Zeit ließ mit den Verhandlungen, mag zum Teil eine Strategie gewesen sein. Es ist aber auch das Resultat politischer Zwänge in den Mitgliedstaaten, die sich nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen konnten. „Es gibt in vielen Ländern Branchen, die besondere politische Aufmerksamkeit bekommen, häufig außerhalb der eigentlichen Wichtigkeit dieser Branche in der Wertschöpfung“, sagt Niclas Poitiers, Ökonom der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. In Frankreich seien das zum Beispiel die Bauern, in Deutschland die Automobilbranche. Wie die F.A.Z. am Freitag berichtete, sind es derzeit vor allem die Italiener, die bei härteren Maßnahmen bremsen, während Paris auf einen harten Kurs drängt, aber gleichzeitig bemüht ist, seine eigenen Sektoren zu schützen. Das Resultat ist ein Kompromiss: Statt zwischenzeitlich geplanter Gegenzölle auf Güter im Wert von 95 Milliarden Euro sind jetzt nur 72 Milliarden auf dem Tisch.

Dieses Hin und Her und die allgemeine Zurückhaltung könnten im Umgang mit Trump gerade die falsche Strategie sein. „Man braucht eine gewisse Drohkulisse“, sagt Niclas Poitiers. „Es muss glaubhaft sein, dass man hier bereit ist, einen ernsthaften Konflikt einzugehen. Hier hat die EU bisher auf Zeit gespielt.“ Zusätzlich abgeschwächt wird das Drohpotential der Europäer allerdings durch die außen- und sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA, etwa in Hinblick auf den Ukrainekrieg.

Europa fehlt die Schlagkraft Chinas

Anschauungsmaterial, wie man mit Trump besser oder schlechter klarkommt, bieten die Einigungen, die andere Länder bereits mit den USA erzielt haben: das Vereinigte Königreich, China und Vietnam.

„Die EU ist diese Gespräche angegangen wie Verhandlungen zu einem normalen Handelsabkommen: langsam, detailliert, technokratisch“, meint Handelsexperte Gehrke. Der falsche Ansatz für Verhandlungen mit Trump: „Aus Sicht der USA ging es um Bedingungen der Kapitulation.“ Gehrke sieht China als positives Beispiel, wie man im Umgang mit Trump mehr herausbekommt: frühestmögliche maximale Eskalation, um dann schnell deeskalieren zu können. Die Chinesen hatten schon im April zu rabiaten Methoden gegriffen, etwa die Lieferung von Boeing-Flugzeugen an der Grenze abgewiesen und die Ausfuhr Seltener Erden blockiert. Die EU hingegen, meint Gehrke, habe sich auf Verhandlungen eingelassen, die sich nur um Konzessionen an die USA drehen.

Aber Europa fehlt die Schlagkraft des autokratischen chinesischen Systems, schon aus den erwähnten politischen Zwängen. „Die EU ist vieles, aber sie ist definitiv kein System, das für maximale Agilität gebaut wurde“, sagt Dmitry Grozoubinski, der selbst Handelsabkommen mitverhandelt hat und heute ein Beratungsunternehmen für Handelsfragen führt. „Die Kommission kann nicht einfach bei Donald Trump anrufen und sagen: Lass uns einen Deal zusammenklopfen, alles ist auf dem Tisch.“ Die Amerikaner hätten außerdem sehr viel Raum, auf eine Weise zu eskalieren, die für Europa sehr schmerzhaft wäre.

Ein Deal ist noch lange kein Deal

Ein Deal wie der mit dem Vereinigten Königreich war für die EU derweil wohl nie eine Option. „Diese Einigung ist sehr dünn“, sagt Poitiers von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Es handelt sich nicht um ein bindendes Handelsabkommen. Außerdem sei es unstrittig, dass „dort Paragraphen drin sind, die, wenn sie umgesetzt würden, WTO-Regeln brechen würden“. Das komme für die EU als Institution des internationalen Rechts nicht infrage. „Wenn man durch Verträge herrscht, kann man nicht selber Verträge brechen.“

Das Abkommen mit Vietnam schließlich kommt eher einer Kapitulationserklärung gleich. Der Zollsatz für viele vietnamesische Güter bleibt mit 20 Prozent hoch, während amerikanische Güter in Vietnam in Zukunft null Prozent Zoll zu erwarten haben. Vietnam ist wie viele Länder zu klein und zu abhängig von den USA, um nennenswerte Konzessionen herauszuhandeln. Für die EU ist auch das keine Option.

Dass ein möglicher Deal nicht mehr wäre als eine Einigung per Handschlag, mit allen Unwägbarkeiten des wankelmütigen Präsidenten im Weißen Haus, ist auch das Problem, vor dem die EU steht. „Normalerweise sollte man möglichst schnell zu einem Deal kommen, um die Unsicherheit aus dem Markt zu nehmen“, sagt Dmitry Grozoubinsky. „Aber in diesem Fall bedeutet, einen Deal zu bekommen, überhaupt nicht das Ende der Unsicherheit.“

„Der Unterschied zwischen 30 und 50 Prozent ist nicht mehr so groß“

Für die Verhandlungen lässt sich aus den vergangenen Monaten dennoch zumindest eine Lehre ziehen. „Es ist völlig egal, was die Repräsentanten im Raum sagen“, sagt Handelsexperte Grozoubinsky. „Es gibt nur eine Person, die entscheidet, ob ein Deal gut genug ist: Donald Trump.“ Die Europäer sollten sich daher hüten, Zugeständnisse nur auf Basis von Abmachungen mit den amerikanischen Unterhändlern zu machen, bevor Trump sein Okay gegeben hat. So kursierte in Brüssel einen Tag vor Trumps 30-Prozent-Brief die Meldung, die Digitalsteuer auf amerikanische Techkonzerne werde vorerst fallen gelassen. Grozoubinsky vermutet, dass die EU glaubte, bereits eine Einigung erzielt zu haben – nur um dann feststellen zu müssen, dass der amerikanische Verhandlungsführer am Ende doch nicht für Donald Trump sprach.

Weder das Vereinigte Königreich noch Kanada und Mexiko mussten wirklich große Zugeständnisse machen, um Trump gnädig zu stimmen, es ging mehr um eine gesichtswahrende Einigung. Andererseits sieht Trump die EU viel stärker als Gegenspieler auf der internationalen Bühne, das dürfte den Preis hochtreiben. Eine Hoffnung könnte schon eher darin liegen, dass Trump sich mit seinem 30-Prozent-Zoll verrannt hat. Das Eskalationspotential sei damit ausgeschöpft, glaubt Grozoubinsky, weil ab dieser Höhe ohnehin die Unternehmen ihre Lieferaufträge stornieren. „Der Unterschied zwischen 30 Prozent und 50 oder 80 Prozent ist letztlich nicht mehr so groß.“ Viele EU-Exporte etwa in der Pharmabranche sind für die USA außerdem nicht leicht ersetzbar. Wenn die Zölle vom 1. August an wirklich greifen sollten, könnte das wie schon im April zu einer Flucht aus amerikanischen Staatsanleihen führen. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Märkte das Einzige sind, was Trump wirklich beeindruckt.

Ökonomisch hätte die EU also einige Argumente auf ihrer Seite. Dass Trump allerdings vor Kurzem auch Brasilien mit Zöllen belegte – ein Land, mit dem die USA einen Handelsüberschuss haben und das Trump nun geopolitisch in die Arme Chinas treibt –, hat wieder einmal eines gezeigt: In diesem Handelskrieg sollte man sich auf gar nichts verlassen.