Spinnen riechen mit den Beinen

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Viele Tiere verlassen sich bei der Partnersuche auf ihren Geruchssinn. Auch Spinnenmännchen orientieren sich an Duftstoffen, die das andere Geschlecht aussendet. Welche Sinnesorgane dabei im Spiel sind, war bisher jedoch unbekannt. Gemeinsam mit Kollegen der Universität Lund haben Wissenschaftler um Mohammad Belal Talukder und Carsten H. G. Müller von der Universität Greifswald dieses Rätsel nun für einen Großteil der Spinnen gelöst: Die fürs Riechen zuständigen Sinnesorgane verstecken sich unter viel größeren Tastborsten und Haaren auf den Beinen erwachsener Männchen.

Als Forschungsobjekt diente die Wespenspinne (Argiope bruennichi), benannt nach ihrem schwarz-gelben Streifenmuster. Denn diese Spinnenspezies ist eine der wenigen, bei denen der Duftstoff bekannt ist, mit dem die Weibchen artgleiche Männchen anlocken. Im Hochsommer findet man Wespenspinnen in hohem, aber nicht zu dichtem Gras. In einer Lücke zwischen den Halmen spannen sie ihr radförmiges Netz auf, mit dem sie Heuschrecken und andere Insekten fangen. Am Rand eines Spinnennetzes, in dessen Mitte ein stattliches Weibchen auf Beute lauert, lässt sich manchmal ein viel kleineres, unscheinbar gefärbtes Männchen entdecken.

Mit bestimmten Sinneshaaren, die auf den Tastern am Kopf und auf den Füßen sitzen, erkennen paarungslustige Spinnenmännchen, ob sie an der richtigen Adresse sind. Wenn sie Seidenfäden des Spinnennetzes berühren, nehmen sie anhaftende Moleküle auf. So merken sie am Geschmack, ob das Gespinst von einem passenden Weibchen stammt. Spinnen jeden Alters und Geschlechts besitzen derartige Geschmackshaare, mit denen sich beispielsweise ins Netz gegangene Beute prüfen lässt.

Auf der Suche nach dem Geruchssinn der Männchen nahmen Talukder und Kollegen den Ober- und Unterschenkel der Spinnenbeine unter die Lupe. Wie sie in den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften berichten, stießen sie auf eine Vielzahl von Haaren, die den Geschmackshaaren ähneln, aber kleiner sind und an ihrer Spitze keine Öffnung haben. Mit dem Rasterelektronenmikroskop ließen sich im oberen Teil dieser bislang unbekannten Sinneshaare deutliche Rillen erkennen. In diesen Rillen wiederum befanden sich winzige Poren. Wie Querschnitte der Beine zeigen, stehen diese Poren in Kontakt mit dem Inneren des Haares, in das Ausläufer von Sinneszellen hineinragen. Damit ähneln diese Sinneshaare der Spinnenmännchen den Riechhaaren von Insekten. Bienen können dank derart bestückter Antennen zum Beispiel zahlreiche Düfte wahrnehmen, mit denen sich Blüten als Nahrungsquelle anpreisen.

Aber nicht nur bei der Nahrungssuche, sondern auch im Paarungsgeschehen der Insekten spielen Riechhaare eine wichtige Rolle. Dass der Geruchssinn von Spinnenmännchen ebenfalls auf Sinneshaaren beruht, die Duftmoleküle über winzige Poren empfangen, zeigte die Probe aufs Exempel: Mit Trimethyl-Methylcitrat, dem Lockstoff der weiblichen Wespenspinnen, konfrontiert, reagierten die Sinneszellen der mutmaßlichen Riechhaare prompt. Schon bei sehr geringen Konzentrationen dieses Duftstoffs produzierten sie elektrische Signale, bei zunehmend höheren Konzentrationen zunehmend stärker.

Der Geruchssinn dürfte das Spinnenmännchen also auch darüber informieren, ob es seinem Ziel näher kommt. Am Netz einer weiblichen Wespenspinne angelangt, beginnt es an den Seidenfäden zu zupfen. Sollte sich das Weibchen dann ruckartig in die entsprechende Richtung wenden, gilt es Reißaus zu nehmen. Die großen Weibchen können den Männchen durchaus gefährlich werden. Paarungswillige Weibchen nehmen die übers Netz empfangene Nachricht hingegen gelassen auf und erlauben dem Männchen Körperkontakt. Wenn der Partner seinen Samen abgeliefert hat, muss er allerdings meistens doch dran glauben. Als leichte Beute liefern die Männchen den Weibchen Nährstoffe, die sie in die Produktion von Nachwuchs investieren.

Viele Arten haben Riechporen

Wie zu erwarten, ist die Wespenspinne nicht die einzige, deren erwachsene Männchen mit einem besonderen Geruchssinn ausgestattet sind. Bei 19 weiteren Spezies aus 16 unterschiedlichen Spinnenfamilien fanden Talukder und Kollegen ähnliche Riechhaare auf den Beinen der Männchen: bei der Kreuzspinne (Araneus diadematus) ebenso wie bei der gern in Kellerräumen wohnenden Zitterspinne (Pholcus phalangioides) und der an sonnigen Waldrändern häufigen Listspinne (Pisaura mirabilis), die ohne Netz ihre Beute fängt.

Bei weiblichen Spinnen wurden die Wissenschaftler hingegen nicht fündig: Sie haben keine Riechhaare an den Beinen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Spinnenweibchen ohne Geruchssinn auskommen müssen. Womöglich ist das fragliche Sinnesorgan nur noch nicht entdeckt worden, oder die Geschmackshaare reagieren auch auf Substanzen, die über die Luft verbreitet werden. Bei einer ostafrikanischen Springspinne, die auch als Vampirspinne bekannt ist (Evarcha culicivora) ist der Verdacht begründet: Sie ist auf den Fang von Stechmückenj spezialisiert und bevorzugt solche, die bereits Blut gesaugt haben. Diese lassen sich am geschwollenen Hinterleib und am Geruch erkennen. Wie das der Springspinne gelingt, obwohl die Beine beider Geschlechter keine Riechhaare tragen, ist ein Rätsel.