Die Nervosität ist extrem groß bei Autovermietern, Leasingfirmen und Betreibern großer Flotten. Ende des vergangenen Jahres hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas beauftragt, ein Gesetz für „saubere Unternehmensflotten“ vorzulegen. Seither geht in der Branche die Sorge um, die Kommission könne das nutzen, um das beschlossene, aber politisch unter Druck stehende Verbrennerverbot für Neuwagen 2035 abzusichern. Seit Wochen gibt es Gerüchte, die Kommission werde schon bald Elektroautoquoten von 75 Prozent im Jahr 2027 und 95 Prozent im Jahr 2030 für große Flottenbetreiber vorschreiben.
Die „Bild“-Zeitung hat das nun aufgegriffen und meldet, es sei gar eine Quote von 100 Prozent für 2030 geplant, sprich ein Verbrennerverbot. Das ist falsch. Es gibt nach Informationen der F.A.Z. weder eine Vorentscheidung, welche Quoten die Europäische Kommission vorschlagen könnte, noch, ob es überhaupt Quoten geben wird. Der Vorschlag soll bis Jahresende vorliegen. Ein Schnellschuss schon Ende dieses Sommers, wie verbreitet, war nie geplant.
Autovermieter und Leasingunternehmen wichtig für Neuwagengeschäft
Richtig ist, dass Quoten für saubere Unternehmensflotten nach Ansicht zentraler Akteure in der Kommission eine wichtige Rolle für den Ausbau der Elektromobilität spielen können. Wobei es dabei nicht um eine Quote für Elektroautos im engen Sinne des Wortes geht. Die Kommission werde einen möglichen Vorschlag auf jeden Fall technologieneutral gestalten, heißt es dort. Es könnten also auch mit klimaneutralen Kraftstoffen betankte Autos mit Verbrennermotor angerechnet werden.
Die Kommission glaubt gute Argumente für Vorgaben für die Firmenflotten, Leasingfirmen und Autovermieter zu haben. Sie will damit das Henne-Ei-Problem lösen: Gibt es zu wenige Elektroautos auf den europäischen Straßen, weil es an Ladeinfrastruktur fehlt? Oder ist es genau andersherum: Fehlt es an Ladeinfrastruktur, weil deren Anbieter unsicher sind, wie sich der Markt für Elektroautos entwickelt? Wenn die EU Vorgaben für große Flotten mache, sende das ein klares Signal, dass sich der Ausbau der Infrastruktur lohne, heißt es. In Ländern wie Belgien gebe es Anzeichen dafür, dass entsprechende Vorgaben für Firmenwagen den Ausbau der Infrastruktur befeuert hätten.
Der Hebel ist tatsächlich beträchtlich. In Deutschland entfallen 60 Prozent des Neuwagengeschäfts auf Autovermieter und Leasingunternehmen. Im EU-Durchschnitt ist es die Hälfte.
Frankreich hat schon eine Quote
Die Kommission hat auch den Markt für Gebrauchtwagen im Visier. Autovermieter verkaufen ihre Autos häufig nach einem oder zwei Jahren weiter. Bei Leasingfirmen sind es eher drei bis fünf Jahre. Je mehr Elektroautos sie im Angebot haben, desto mehr landeten auf dem Gebrauchtwarenmarkt, heißt es in der EU-Kommission. Auf dieses Angebot könnten dann auch kaufschwächere Kunden zugreifen, für die teuere neue Elektroautos nicht in Frage kämen.
Ob diese Rechnung aufgeht, ist allerdings unsicher. Die Gegenseite warnt, die Kunden wollten keine Elektroautos. Diese drohten ungenutzt herumzustehen. Im Zweifel würden die Autovermieter deshalb eher billigere chinesische Elektroautos kaufen als europäische. Hintergrund des Widerstands ist auch, dass sich Vermieter wie Hertz mit dem ihrem Engagement in Elektroautos verhoben haben und wieder auf Verbrenner setzen. Durch mehrfache Preissenkungen von Tesla sank der Wiederverkaufswert der Elektro-Mietflotte. Das Unternehmen schrieb hohe Verluste. Auch die Reparaturen der Elektroautos seien viel teurer gewesen als von Verbrennern, begründete Hertz den Kurswechsel.
Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) ist gegen Quoten für Unternehmensflotten. Die Infrastruktur müsse zuerst ausgebaut werden, betont die Verbandspräsidentin Hildegard Müller. „Fast 60 Prozent aller Ladepunkte in der EU entfallen auf Deutschland, Frankreich und die Niederlande“, sagt sie. Hamburg habe mehr Ladepunkte als die Slowakei oder Bulgarien.
Hersteller wie Volvo sind offenbar offener für den Ansatz. Es gibt auch durchaus Vorbilder. Frankreich hat vor Jahren eine Quote für saubere Fahrzeuge für Firmenflotten eingeführt. Sie gilt für Flotten von mehr als 100 Fahrzeugen und steigt bis 2030 schrittweise auf 70 Prozent. Die Wirkung ist aber begrenzt, weil das französische Gesetz keine Sanktionen vorsieht.
FDP gegen neue Vorgaben
Eine europäische Regelung würde – so viel ist schon jetzt sicher – ebenfalls nur für größere Flotten gelten, nicht also für Handwerker und andere Kleinunternehmer, die nur eine oder mehrere Hand voll Autos in ihrem Fuhrpark haben. Klar ist auch, dass die Vorgaben schnell greifen sollen. Wenn sie die erwünschte Wirkung entfalten sollten, müssten sie deutlich vor dem schon beschlossenen Verbrennerverbot für 2035 greifen, heißt es. Dass die Kommission dabei das Jahr 2030 im Blick hat, ist deshalb plausibel. Es könne aber auch sein, dass die Kommission am Ende stärker auf finanzielle Anreize für Elektroautos setze oder zumindest Quoten und finanzielle Anreize kombiniere, sagen EU-Beamte.
Der FDP-Europaabgeordnete Jan-Christoph Oetjen bleibt skeptisch. „Von der Leyen sollte dringend ein Stoppschild setzen, einen solchen Eingriff in das Marktgeschehen darf es in der Europäischen Union nicht geben“, sagt er. „Was wir ganz sicher nicht brauchen, sind neue, zentralistisch vorgegebene Flottenvorgaben, wie sie aktuell für Miet- und Unternehmensflotten diskutiert werden“, sagt auch der CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke.
Klimaschutzverbände wie Transport & Environment dringen seit langem schon auf gesetzliche Vorgaben für Leasingfirmen und Autovermieter. Es gehe erst einmal um mehr Transparenz, heißt es dort. Bisher lieferten viele von ihnen noch nicht einmal Daten dazu, wie ihre Flotten zusammengesetzt seien und wie sich die Emissionen entwickelten. Transport & Environment fordert aber auch Vorgaben zur Elektrifizierung der Leasingflotten. „Ohne Regulierung werden sich die Leasingunternehmen weiter vor der Verantwortung für den Klimawandel drücken, obwohl sie viele Hebel in der Hand haben“, sagt Stef Cornelis. Ähnlich sieht es der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Nur wenn der gewerbliche Fahrzeugbestand konsequent elektrifiziert werde, könne die EU die Klimaziele im Verkehr noch erreichen.