Russland hat in der Nacht zum Montag seine Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung fortgesetzt. Während eines mehrere Stunden dauernden Angriffs seien 450 russische Drohnen und mehr als 20 Raketen gezählt worden, teilte die ukrainische Luftwaffe am Montag mit. Hauptziele waren die Hauptstadt Kiew sowie die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw im Osten des Landes und die westukrainische Metropole Iwano-Frankiwsk. Die Stadt hatte vor der russischen Großinvasion 240.000 Einwohner und ist seit dem Überfall Zufluchtsort für Zehntausende Binnenflüchtlinge, die sich fernab der russischen Grenze vergleichsweise sicher wähnten. Doch seit Moskau seine Luftangriffe erheblich ausgeweitet hat, ist auch der Westen des Landes häufiger unter Beschuss.
Das Portal Kyiv Independent berichtete von schweren Explosionen in der Hauptstadt nach Mitternacht sowie lärmenden Drohnen, was bis nach fünf Uhr morgens gedauert habe. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte mit, dass Drohnenschwärme auch über sechs weiteren Gebieten des Landes gesichtet, aber zumeist abgefangen worden seien. Selenskyj zufolge wurden bei den Angriffen zwei Menschen getötet und mindestens 15 weitere verletzt, darunter ein zwölf Jahre alter Junge. Bei dem Angriff auf Kiew seien eine Station der U-Bahn, in der die Menschen bei Luftangriffen regelmäßig Schutz suchen, beschädigt worden, ein Kindergarten in Brand geraten und bei dem Angriff auf Iwano-Frankiwsk mehrere Wohnhäuser teilweise zerstört worden.
„Viele Ziele wurden abgeschossen, aber leider nicht alle“, schrieb Selenskyj auf der Plattform X. „Deshalb müssen wir unsere Abfangkapazitäten weiter ausbauen. Eine solche Lösung kann uns vor massiven Angriffen schützen.“ In der vergangenen Woche hatten die USA der Lieferung weiterer Patriot-Flugabwehrsysteme an die Ukraine zugestimmt, die von Deutschland und NATO-Partnern bezahlt werden sollen. Deutschland und die USA haben bisher je drei dieser Systeme an die Ukraine abgegeben; Selenskyj zufolge bräuchte sein Land jedoch mindestens 25 Patriots, um sich wirksam vor russischen Luftangriffen schützen zu können.
Pistorius sagt Ukraine Hilfe bei Luftabwehr zu
Bei einem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe am Montag in London vereinbarten Verbündete Kiews, darunter Deutschland und Großbritannien, die Ukraine in den kommenden 50 Tagen mit so vielen Waffen wie möglich zu versorgen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte, Deutschland werde dazu beitragen, fünf dringend benötigte Patriot-Systeme so schnell wie möglich bereitzustellen. „Wie wir das erreichen können, werden wir in den nächsten Tagen eng und im Geiste des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Partnern koordinieren.“ Noch in dieser Woche will eine Expertengruppe tagen, um die schnelle Lieferung der Patriots möglich zu machen.
Das Verteidigungsministerium in London teilte mit, Großbritannien werde unter anderem Munition für Flugabwehr im Wert von 170 Millionen Euro beisteuern. Es gehe darum, das Ultimatum Trumps mit einer 50-Tage-Initiative zur Ausrüstung der Ukraine zu flankieren, erklärte der britische Verteidigungsminister John Healey. Man müsse die Ukraine militärisch stärken, um Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen. Zuvor hatte US-Präsident Donald Trump Russland eine Frist von 50 Tagen eingeräumt, die Angriffe zu stoppen, anderenfalls werde er Strafzölle gegen Verbündete Russlands verhängen.
Die Ukraine benötigt zur Steigerung ihrer Waffenproduktion eigenen Angaben nach in diesem Jahr umgerechnet über fünf Milliarden Euro an zusätzlichen Militärhilfen. Das sei notwendig, um mehr ferngesteuerte Drohnen, Abfangdrohnen und weitreichende Waffen herzustellen, sagte Verteidigungsminister Denys Schmyhal bei dem virtuellen Treffen.
Solidaritätsbesuch von Frankreichs Außenminister
Indes traf – kurz nach den Luftangriffen am Montag in Kiew – der französische Außenminister Jean-Noël Barrot zu einem Solidaritätsbesuch in der ukrainischen Hauptstadt ein. Er besuchte zunächst die U-Bahnstation, die von Russland angegriffen worden war. „Als ich gestern Abend in Przemyśl in Polen in den Zug stieg, wurden mehrere ukrainische Städte erneut Ziel tödlicher russischer Raketen- und Drohnenangriffe“, sagte er – und fügte hinzu: „Wenn jemand gehofft hatte, Wladimir Putin würde das ukrainische Angebot zur Wiederaufnahme der Friedensgespräche annehmen, hat er jetzt seine Antwort erhalten.“ Selenskyj hatte am Wochenende neue Verhandlungen über eine Waffenruhe vorgeschlagen. Ein Datum für die Gespräche gibt es noch nicht. Der Kreml hat sich zu solchen direkten Gesprächen bereit erklärt.
Barrot war Ehrengast der ukrainischen Botschafterversammlung und hielt vor den versammelten Repräsentanten eine Rede in englischer Sprache. Darin kritisierte der Außenminister, dass die russischen Angriffe nicht militärischen Zielen, sondern der Zermürbung der Bevölkerung durch Angriffe auf zivile Einrichtungen gelten würden. Barrot besuchte am Montagnachmittag auch die stillgelegte Reaktoranlage in Tschernobyl, die im Februar von russischen Drohnen angegriffen worden war. Frankreich will sich mit zehn Millionen Euro an der Reparatur der Schutzhülle des Atomkraftwerks beteiligen. Bei dem Drohnenangriff soll die Schutzhülle beschädigt worden sein. Ein französisches Konsortium der Firmen Bouygues und Vinci hatte die Schutzhülle gebaut, die angeblich 100 Jahre halten sollte.
Barrot wurde bei der Botschafterkonferenz mit einer Ehrenmedaille des Prinzen Jaroslaw des Weisen für seinen Besuch an der Front in Sumy und „die konstante Unterstützung der Ukraine“ ausgezeichnet. Er betonte, dass sich Frankreich in der EU maßgeblich für das verschärfte Sanktionspaket eingesetzt habe. Die EU hatte am Freitag das 18. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet und dabei Moskaus Öleinnahmen ins Visier genommen. Zudem gelten erweiterte Transaktionsverbote für Geschäfte mit russischen Banken und Beschränkungen für die Ausfuhr von sogenannten Dual-Use-Gütern. Mit Blick auf China und Indien sagte Barrot in Kiew, dass diese Länder die Maßnahmen als „inakzeptabel“ zurückwiesen, sie aber notwendig seien. „Europa handelt, wenn die Sicherheitsinteressen der Europäer auf dem Spiel stehen“, sagte er. Es sei Frankreichs Ziel, Putin dazu zu zwingen, sein Kalkül zu überdenken.
Barrot sprach die vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump aufgestellte 50-Tage-Frist an. „Die Zeit drängt“, sagte er. Er wollte während seines zweitägigen Besuchs auch mit Selenskyj und der neuen Regierungschefin Julia Swyrydenko zusammentreffen. Selenskyj hatten nach einem einstündigen Gespräch mit Macron bekannt gegeben, dass Frankreich bereit sei, „zusätzliche Piloten“ auf neuen Kampfflugzeugen vom Typ Mirage 2000-5 auszubilden.