Monatelange Vollsperrungen und täglich neue Baustellen: Auf dem deutschen Schienennetz wird so viel gebaut wie nie zuvor. Das zeigt sich auch in den Investitionen. Im vergangenen Jahr investierte der Bund knapp 200 Euro je Bürger und damit rund 74 Prozent mehr als im Jahr davor, als er noch 115 Euro investierte. Das ist das Ergebnis einer jährlichen Erhebung des Interessenverbandes Allianz pro Schiene und der Unternehmensberatung SCI Verkehr.
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern rückt Deutschland von Platz neun auf Platz sieben auf, bleibt aber weiter hinter Staaten wie Luxemburg (587 Euro), Schweiz (480 Euro) oder Österreich (352 Euro) zurück. „Wir sehen zwar einen deutlichen Aufwärtstrend bei den Investitionen in die Schieneninfrastruktur, planmäßig auch für die nächsten Jahre – aber mehr Geld allein reicht nicht“, warnte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, am Montag. „Diese Aufgabe ist mit dem neuen Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität noch nicht gelöst.“ Es brauche eine Verstetigung der Mittel etwa in Form eines schon länger diskutierten Eisenbahninfrastrukturfonds.
Nicht auf die lange Bank schieben
Flege verwies darauf, dass die lange vernachlässigten Neu- und Ausbauprojekte ganz entscheidend seien, um die Überlastung des Schienennetz zu reduziere. Sie dürften nicht immer wieder auf die lange Bank geschoben werden, sondern müssten im Haushalt mit eingepreist werden. Erst in der vergangenen Woche warnte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Tarek Al-Wazir (Grüne) gegenüber der F.A.Z., dass die seit Jahrzehnten geplante Neubaustrecke zwischen Mannheim und Frankfurt mangels Geldes gefährdet ist. Und auch Flege warnte am Montag: „Trotz der Rekordinvestitionen kommt der Neu- und Ausbau des Schienennetzes weiterhin zu kurz. In der Finanzplanung des Bundes klafft eine Milliardenlücke.“
Dabei kann die Bundesregierung dank des neuen Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität eigentlich aus dem Vollen schöpfen: Aus dem 500-Milliarden-Euro-Schuldentopf stehen dem Bund in den nächsten zwölf Jahren 300 Milliarden Euro zur Verfügung. Bis zum Jahr 2029 will die Bundesregierung mehr als 100 Milliarden Euro in das Schienennetz investieren. Bei der Bahn hat das nur verhaltene Freude ausgelöst. Spätestens ab 2027 drohe eine Unterfinanzierung, warnt der Staatskonzern. Grund dafür sind die hohen Kosten für die Generalsanierung von 40 Hochleistungskorridoren und die Digitalisierung von Stellwerken und Bahnstrecken. Am 1. August startet die Bahn mit der Rundumerneuerung der Strecke zwischen Hamburg und Berlin eines der größten Projekte in einer ganzen Serie von Großvorhaben: Auf rund 280 Kilometern sollen Gleise, Weichen, Oberleitungen, Bahnhöfe und Stellwerke erneuert werden. Dafür sind 2,2 Milliarden Euro vorgesehen. Aber schon diese Summe reichte nicht, um die hohen Kosten für eine vollumfängliche Digitalisierung auf dem neusten Stand zu finanzieren, deshalb wurden die Pläne schon abgespeckt.
Die Branche fordert deshalb schon seit Langem eine dauerhaft tragfähige Lösung. Auch im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist von einem Eisenbahninfrastrukturfonds die Rede. Darauf pochen Allianz pro Schiene und SCI Verkehr. „Österreich und die Schweiz zeigen schon lange, wie man Schiene richtig macht“, sagte SCI-Geschäftsführerin Maria Leenen. „Neben einer mehrjährigen Finanzierung gibt der Staat dort klare Ziele vor, deren Einhaltung konsequent gesteuert und überwacht wird.“ Zudem stocke es beim Ausbau etwa beim Thema Digitalisierung. Hier komme Italien deutlich schneller voran als Deutschland.