Leica Kamera bildet Feinoptiker aus: Mit Geduld zum Feinschliff

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Der junge Mann mit Lockenkopf, Brille und Tattoos zieht einen weißen Kittel an, streift sich blaue Schutzhandschuhe über beide Hände und setzt sich auf einen Bürostuhl. Er greift sich einen Pinsel und tunkt ihn in eine milchige Flüssigkeit. Damit bestreicht er eine sich drehende Scheibe in der Werkbank vor seiner Brust.

Es sieht fast aus wie beim Töpfern. Allerdings nimmt Maximilian Lalk sichtbar statt einen Klumpen Ton einen Würfel aus mattem Glas in beide Hände und bewegt ihn auf der Scheibe vorsichtig kreisend hin und her. Sinn der Übung ist, einen glasklaren Würfel mit möglichst makellosen Oberflächen zu schleifen. Diese Übung ist Lalk wohl vertraut. Sie gehört zu den praktischen Grundlagen seiner Ausbildung zum Feinoptiker bei Leica in Wetzlar.

Feinoptiker zählt zu den klassischen Lehrberufen in der Industrie. Zumal in Wetzlar, der „Goethe- und Optikstadt“, wie sich die an der Lahn gelegene Kommune selbst nennt. Dort übernahm der Mechaniker Ernst Leitz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine kleine optische Werkstätte, wandte sich der Fotografie zu und baute seinen Betrieb mit seinen Söhnen Ludwig und Ernst II. zu einem Industrieunternehmen von internationalem Rang aus.

Wieder mehr junge Leute zur Ausbildung bereit

Der Ruf der Kleinbildkameras von Leica ist legendär. Vor wenigen Tagen ist ein Prototyp der Leica I versteigert worden – für 7,2 Millionen Euro. Foto-Enthusiasten aus aller Welt strömen zum Leica-Campus mit dem im Stile einer Kleinbildfilmrolle angelegten Hauptgebäude und dem Museum nebst Shop. Dort stellt gerade der englische Sänger und Fotograf Jamie Cullum aus und folgt auf seine ebenfalls für ihre fotografischen Werke anerkannten Musikerkollegen wie Bryan Adams und Lenny Kravitz.

Gleichwohl kann so mancher Heranwachsende weder mit dem Namen Leitz viel anfangen und mit dem Berufsbild des Feinoptikers noch weniger. „Ah, dann machst Du Brillen“ – dies mutmaßten viele Gesprächspartner, mit denen er sich über seinen Beruf unterhält, erzählt Daniel Musaev. Er befindet sich im zweiten Lehrjahr und ist schon ein Jahr weiter als Lalk.

Beide stellen jedoch keine Brillen her. Sie arbeiten für die Leica Camera AG in Wetzlar und lernen, präzise optische Bauteile wie Linsen, Prismen und Spiegel zu produzieren. Wobei in Mittelhessen unter dem Markennamen Leica seit zwei Jahren auch Brillengläser gefertigt werden. Das geschieht aber in der deutlich kleineren Schwesterfirma Leica Eyecare in der Gemeinde Heuchelheim nahe Gießen, in der ehedem der Kamerahersteller Minox saß.

Der 22 Jahre alte Musaev und der vier Jahre ältere Lalk zählen zu den 25 Auszubildenden bei Leica Camera, die auf sieben Berufe verteilt sind. Sie sind gleichzeitig zwei Gesichter eines Trends, den die Regionaldirektion Hessen der Arbeitsagentur ausmacht: „Junge Leute haben wieder mehr Lust auf eine betriebliche Ausbildung. Nach der Pandemie sind sie wieder vermehrt bereit, diesen beruflichen Weg einzuschlagen“, sagt ihr Leiter Frank Martin.

Weißkittel: Max Lalk (links) und Daniel Musaev in einer Werkstatt bei Leica in Wetzlar.
Weißkittel: Max Lalk (links) und Daniel Musaev in einer Werkstatt bei Leica in Wetzlar.Michael Braunschädel

Lalk und Musaev haben auf unterschiedlichen Wegen zu ihrem Arbeitgeber gefunden. „Mir war klar, etwas Handwerkliches machen zu wollen“, sagt Musaev. In der Freizeit habe er an Autos gewerkelt und sich mit Holzarbeiten beschäftigt. Aber Glas sei als Werkstoff etwas Besonderes. Und am Beruf des Feinoptikers habe ihn die Präzision der Arbeit fasziniert. So habe er sich nach dem Fachabitur beworben und nach dem Probearbeiten seine Lehre angefangen.

Lalk versuchte es nach dem Realschulabschluss zunächst mit einer Informatikausbildung. „Das war aber nicht so meins“, sagt er. So brach er die Lehre ab. Im Schulungszentrum des Bildungsdienstleisters Institut für Berufs- und Sozialpädagogik in Friedberg sei er auf die Idee gekommen, etwas Handwerkliches zu machen. Wegen seiner Vorliebe für Uhren habe er zunächst Uhrmacher werden wollen. Allerdings sei es schwer, eine Lehrstelle zu finden.

Eines Tages habe er die Ausschreibung von Leica gesehen und sich beworben. Zumal er zwar gerne fotografiere, aber nie verstanden habe, wie eine Kamera funktioniere. Nach nicht einmal einem Jahr in der Lehre lautet seine Erkenntnis: „Je länger ich in der Ausbildung bin, desto stärker steigt das Interesse an der Theorie dahinter“, sagt er lächelnd. „Wer keine Berührungspunkte mit Optik hat, hat meistens eine falsche Vorstellung von dem Beruf“, betont Musaev und ergänzt: „Aber im Verlauf der Ausbildung öffnen sich immer mehr Türen.“

Das meint der Lehrling sinnbildlich, es trifft aber auch im wörtlichen Sinn zu. Der Lehrling hat außer der Werkbank mit der sich drehenden Scheibe schon in der Kundenbetreuung einschließlich Werkstatt mitgearbeitet, in die Qualitätssicherung hinein geschnuppert, die Abteilung für Oberflächentechnologie kennengelernt und die für Glasvergütung zuständige Einheit ebenfalls. Sie durchliefen andere Abteilungen früher, als es in der Branche üblich sei. „Es ist cool, während der Ausbildung schon in der richtigen Fertigung zu sein“, sagt Lalk. Damit gebe der Betrieb den Lehrlingen mehr Verantwortung als in der Lehrwerkstatt.

Das ist so gewollt, wie Ausbilder Erik Barseghian zu verstehen gibt, der auch Leiter für maschinelle Optikfertigung ist. „Wir legen großen Wert auf eine umfassende Ausbildung, die auf die hoch technische Berufswelt in der Feinoptik vorbereitet. Wenn Max mit der Ausbildung durch ist, wird er nie wieder mit dem Würfel zu tun haben“, sagt er. Mit CNC-Maschinen schon eher. Deshalb schickt Leica seine angehenden Feinoptiker früh an diese Geräte, die automatisch Werkstücke in hoher Zahl bearbeiten können.

Auf einer sich drehenden Scheibe bearbeiten die Auszubildenden einen Glaswürfel, bis er auf allen Seiten schön plan ist.
Auf einer sich drehenden Scheibe bearbeiten die Auszubildenden einen Glaswürfel, bis er auf allen Seiten schön plan ist.Michael Braunschädel

Zudem eröffnet Leica den Auszubildenden die Möglichkeit, kreativ zu werden. Musaev hat mit Kolleginnen und Kollegen einen gläsernen Weihnachtsbaum gebaut – aus sechs Prismen, zwei Linsen und drei farbigen Filtergläsern. Anderthalb Monate haben sie bis zum fertigen Produkt gebraucht. Insofern sind sich die beiden Auszubildenden einig: In ihrem Beruf ist Geduld vonnöten.

Wer sie hat, zeigt sich beim Bearbeiten des matten Würfels. Ob eine Oberfläche schön plan ist, fördert ein anderes, auf den Würfel gelegtes Glas zutage. Erscheint das gewünschte Ergebnis, ist die Arbeit getan. Andernfalls heißt es wieder, Schutzhandschuhe und Kittel anziehen, Pinsel ins Schleifmittel tunken, die Scheibe damit bestreichen und den Würfel abermals bearbeiten.