Die drängende Suche nach Patriot-Systemen

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In der Nacht zu Montag wurde abermals deutlich, warum die Ukraine auf mehr Luftverteidigungssysteme vom Typ Patriot pocht: Russland attackierte Kiew und andere Teile des Landes unter anderem mit ballistischen Raketen, die besonders schwer abzufangen sind.

Die Behörden meldeten mindestens einen Toten in der ukrainischen Hauptstadt; in mehreren Bezirken seien Gebäude in Brand geraten, darunter ein Hochhaus, ein Supermarkt und das Gelände eines Kindergartens. Laut der ukrainischen Luftwaffe hat Moskau neben Hunderten von Drohnen insgesamt 24 Marschflugkörper und Raketen auf das Land abgefeuert – darunter fünf vom Typ Kinschal, die zu den Hyperschallwaffen gezählt werden.

Die amerikanischen Patriots gehören zu den wenigen Systemen im ukrainischen Arsenal, die solche Raketen effizient abwehren können. Derzeit verfügt das Land wohl über mindestens sechs voll einsatzbereite Batterien; Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte am Montag, dass die Ukraine fünf zusätzliche Einheiten benötige. Deutschland werde dazu beitragen, dass Kiew diese dringend benötigten Waffen so schnell wie möglich erhalte, betonte er während eines virtuellen Treffens der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe, bei dem die Luftverteidigung für das angegriffene Land im Fokus stand.

Pistorius: Können aus eigenen Beständen keine Patriots mehr liefern

Doch woher die begehrten Luftverteidigungssysteme nun so schnell kommen sollen, ist trotz der Kehrtwende von Donald Trump noch unklar. Der US-Präsident hatte vergangene Woche angekündigt, dass Washington Kiew wieder massiv mit Waffen – darunter Patriots – unterstützen werde, für die aber ausnahmslos die NATO-Partner zahlen. Die Bundesregierung zeigt sich bereit, zwei der neuen Systeme zu finanzieren. Norwegen will für ein weiteres bezahlen.

Und zunächst schien es so, als ob es jetzt ganz schnell geht: Die ersten Patriots seien bereits auf dem Weg in die Ukraine, sagte Trump vergangene Woche: „Sie kommen aus Deutschland und werden dann durch Deutschland ersetzt.“ Nur wusste die Bundesregierung davon offenbar nichts. Das könne man nicht bestätigen, teilte ein Sprecher aus dem Verteidigungsministerium mit. „Bis so was dann auf dem Hof steht – das kann Monate dauern.“ So ein System ziehe man nicht einfach aus dem Regal.

Schon zuvor betonte Pistorius, dass Deutschland keine weiteren Patriots aus eigenen Beständen abgeben könne. „Wir haben nur noch sechs übrig in Deutschland“, sagte er der „Financial Times“. Von den insgesamt zwölf deutschen Patriot-Systemen hat Berlin drei an Kiew übergeben, zwei sind am polnischen Flughafen Rzeszów – einem Hauptumschlagplatz für die Ukrainehilfe – stationiert und eins wird in der Regel für Trainingszwecke genutzt oder befindet sich in Wartung. „Das ist wirklich zu wenig, vor allem hinsichtlich der NATO-Fähigkeitsziele, die wir erfüllen müssen“, so Pistorius. „Wir können definitiv nicht mehr abgeben.” Deutschland will in Zukunft insgesamt acht weitere Patriots für den eigenen Bedarf beschaffen, die ersten davon sollen nächstes Jahr eintreffen.

Patriots zählen zu den modernesten Luftverteidigungssystemen der Welt und stehen deswegen nicht nur in der Ukraine hoch im Kurs. Sie können bis zu fünf Ziele gleichzeitig in einer Entfernung von knapp 70 Kilometern bekämpfen. Ein System ist komplex und besteht aus mehreren Komponenten: darunter Startgeräte, Radare und der Feuerleitstand. Die Kosten einer Batterie einschließlich Abfangraketen werden je nach Konfiguration auf rund eine Milliarde Dollar geschätzt. Der Bedarf an Patriots weltweit ist groß – genau wie der Mangel an den Systemen und zugehörigen Flugabwehrraketen.

Die USA priorisieren ihre Lieferungen neu

Die Dringlichkeit für die ukrainische Luftverteidigung führte dazu, dass die USA ihre Lieferungen neu priorisieren. Das Schweizer Verteidigungsministerium teilte mit, dass sich die Übergabe von für die Schweiz vorgesehenen Patriots verzögern werde. Das US-Verteidigungsministerium habe erklärt, dass sie den Staaten, die nun Waffen an die Ukraine abgeben, eine schnelle Nachbeschaffung ermöglichen wollten.

Das „Wall Street Journal“ berichtete, dass die USA Deutschland auf der Lieferliste vor die Schweiz gesetzt hätten, um den Weg für die Übergabe von zwei deutschen Patriots an die Ukraine freizumachen. Bern hat 2022 fünf Patriot-Einheiten bestellt, die ursprünglich von 2026 bis 2028 geliefert werden sollten.

Mit der amerikanischen Neupriorisierung dürfte auch eine Aussage Trumps zu erklären sein, die für Verwirrung sorgte: Es gebe ein Land, das „17 Patriots hat, die für die Lieferung vorbereitet werden. Sie werden sie nicht brauchen.“ Er dürfte damit offenbar Patriot-Startgeräte und nicht vollständige Batterien gemeint haben. Laut dem Fachportal „Defence Express“ waren in dem Deal zwischen Bern und Washington 17 Startgeräte für die Schweiz – drei pro Batterie zuzüglich zwei als Backup – vorgesehen plus rund 140 Abfangraketen.

Es ist unklar, ob dies alles nun tatsächlich an die Ukraine übergeben werden soll oder ob es Deutschland dadurch ermöglicht wird, Patriots aus eigenen Beständen zu liefern. Klar scheint, dass Berlin zunächst geklärt haben will, wann der Ersatz aus Amerika eintreffen würde.

Derweil ist ebenfalls offen, welche anderen Verbündeten sich dazu entschließen könnten, Patriots aus eigenen Beständen abzugeben. Neben Deutschland verfügen Griechenland, die Niederlande, Polen, Rumänien, Spanien und Schweden über das System. Bislang gab es von diesen Ländern keine konkreten Ankündigungen.

Ein US-Regierungsvertreter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass Griechenland, Spanien und die Niederlande gute Kandidaten seien, da diese Länder mehrere Patriot-Batterien besäßen oder sie die Systeme nicht zwingend für die eigene Verteidigung benötigten. Allerdings hatten sich Griechenland und Spanien bislang trotz politischen Drucks gesträubt, Patriots an die Ukraine zu liefern. Die Suche nach Gebern geht weiter: Am Mittwoch soll es laut Medienberichten ein Treffen zwischen den europäischen Nutzerstaaten geben, um die Patriot-Frage weiter zu erörtern.

Die europäische Alternative SAMP/T

Eine Alternative für die Ukraine ist das französisch-italienische Luftverteidigungssystem SAMP/T. Es gilt als europäische Konkurrenz zu den amerikanischen Patriots. SAMP/T kann mit seinen Aster-Raketen gegen ballistische Raketen, Marschflugkörper oder gegen Kampfflugzeuge eingesetzt werden. Kiew besitzt bis dato zwei dieser Systeme, Rom will noch in diesem Jahr ein weiteres übergeben. Allerdings gibt es auch hier einen Mangel an Raketen: „Wir hatten nie genug davon“, sagte Selenskyj – das sei das Problem mit SAMP/T.

Zudem hat das System in der Ukraine laut dem „Wall Street Journal“ aufgrund von Softwareproblemen Schwächen bei der Abwehr von ballistischen Raketen gezeigt. Dennoch gehen Fachleute wie Markus Schiller, Fachmann für Fernflugkörper an der Universität der Bundeswehr München, davon aus, dass SAMP/T durchaus in der Lage sei, ballistische Raketen vom Himmel zu holen. Er sagte der F.A.Z: „Auch die derzeit eingesetzten russischen Hyperschallwaffen Kinschal und Zirkon sollte das System weitgehend abwehren können.“

Selenskyj betonte zwar ebenfalls, dass SAMP/T sehr fortschrittlich sei – aber eben nicht vergleichbar mit den Patriots. „Sie sind effektiv und können Ziele abschießen, aber nicht alles, was die Patriots abfangen können.“