Aus Karlsruhe wurden gerade invasive Ameisen gemeldet, es ist nicht die einzige Stadt in Deutschland, in der schwer bekämpfbare Superkolonien auftreten. Wie werden Ameisen so schnell so viele?
Normalerweise sind Ameisenstaaten voneinander abgegrenzt, sie halten sich gegenseitig in Schach. Man kann nicht eine Arbeiterin aus einem Nest nehmen und in ein anderes verpflanzen. Die würde sofort attackiert, weil sie einen anderen Koloniegeruch hat, ein spezielles Duftprofil auf ihrer Oberfläche. Anders ist das bei eingeschleppten Arten: Da riechen alle Ameisen mehr oder weniger gleich. Dadurch erkennen sich Individuen aus anderen Nestern gegenseitig nicht als fremd. So können sie sehr schnell hohe Nestdichten aufbauen – und das Ökosystem überrennen.
Was passiert in einer Superkolonie?
Superkolonien bestehen aus sehr großen Verbünden von Nestern, die immer neue Satellitennester gründen. Alle Nester oder Kolonien sind miteinander verbunden, daher der Name: Superkolonie.

Nimmt das Phänomen weltweit zu?
Wir nehmen einen Trend wahr, ja. Der Mensch trägt Ameisen häufiger in fremde Gebiete ein. Auf diese Weise tauchen immer wieder Arten an Stellen auf, an denen man nicht damit gerechnet hätte.
Wie werden Ameisen eingeschleppt?
Invasive Ameisen werden zum Beispiel in Topfpflanzen oder Obstkisten eingeschleppt. Oft ist darin ein kleiner Teil einer Kolonie mit einer oder mehreren Königinnen sowie Arbeiterinnen und Brut. Sobald die sich erfolgreich ansiedeln, bilden sie einen Brückenkopf und breiten sich aus.
Reicht eine Königin für eine Superkolonie?
Schon eine Gruppe von Arbeiterinnen mit Brut kann es schaffen, aus der Brut neue Königinnen und Männchen heranzuziehen.
Bilden sich Superkolonien nur bei eingeschleppten Arten?
So einfach ist es leider nicht. Es gibt auch einige Arten, die nicht nur in eingeschleppten Regionen Superkolonien bilden, sondern auch dort, wo sie heimisch sind. Die Argentinische Ameise beispielsweise bildet auch in Südamerika Superkolonien. Wie sie das schaffen, wissen wir nicht.
Die Argentinische Ameise hat am Mittelmeer eine fast 6000 Kilometer lange Superkolonie von der italienischen Riviera bis Galizien gebildet. Wie groß ist die Superkolonie im heimischen Südamerika?
Die Superkolonien in Südamerika sind nicht ganz so groß. Manche umfassen mehrere Dutzend Kolonien. Einige Ameisenarten bei uns zeigen ein ähnliches Verhalten. Manche Waldameisen sind polydom, bilden also mehrere Nester pro Kolonie. Trotzdem koexistieren sie gut mit anderen Ameisenarten. Das tun invasive Ameisen gerade nicht.
Invasive Ameisen werden von uns in ein neues Ökosystem hineingeworfen und finden dort kaum Fressfeinde und auch keine Krankheitserreger vor. Zudem bekämpfen sich Individuen aus verschiedenen Nestern nicht gegenseitig. Dadurch können sie sich stärker ausbreiten als einheimische Arten – und sind in der Lage, die heimischen zu verdrängen. Die Folgen sieht man im ganzen Ökosystem, beispielsweise weil manche einheimischen Ameisen bestimmte Pflanzensamen eintragen. Wenn invasive Ameisen dies nicht tun, können sie so die Flora verändern.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
In Karlsruhe wurde die Art Lasius neglectus entdeckt, sie soll sehr schnell Superkolonien bilden.
Die Vergessene Wegameise, wie Lasius neglectus auch heißt, kennen wir schon seit einigen Jahren zum Beispiel aus Jena, erstmals wurde sie 1990 in Budapest beschrieben. In Jena breitete sie sich allerdings nicht so massiv aus.
13 invasive Arten sind in Mitteleuropa bekannt, die im Freien überleben können. Die wirklich bedenklichen Arten wie die Rote Feuerameise oder die Argentinische Ameise sind aber noch nicht hier. Kommen die mit dem Klimawandel bald zu uns?
Die Rote Feuerameise ist bereits in Sizilien nachgewiesen. Diese Insekten sind unangenehm, weil sie stechen können. Auch ich wurde schon gestochen. Die Argentinische Ameise lebt längst im Mittelmeerraum. Wenn die Winter frostfrei werden, dann ist es für die beiden Arten kein Problem, hier zu überdauern. Durch steigende Temperaturen und verstärkten Handel ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass wir mehr und mehr invasive Ameisenarten bei uns vorfinden. Allerdings ist das, was in der Natur passiert, zu einem großen Teil unvorhersehbar.
Es gibt Studien, dass invasive Ameisen plötzlich auch wieder verschwinden. Das passiert zum Beispiel, wenn zwei invasive Arten aufeinandertreffen und sich gegenseitig den Garaus machen. Bei der Argentinischen Ameise sehen wir, dass sich mehrere Superkolonien gebildet haben, die auf verschiedenes Einschleppen zurückzuführen sind. Die bekämpfen sich, weil sie unterschiedlich riechen.
Ist der Zusammenbruch einer Superkolonie auch durch Pathogene möglich – oder durch Inzucht? Eine Gründerpopulation ist genetisch verarmt . . .
Klar, mit einem Zusammenbruch durch Pathogene muss man rechnen. Durch Inzucht kann das vielleicht erst nach tausend Generationen oder noch später passieren. Erfolgreiche invasive Ameisen sind stabil gegenüber Geschwisterpaarung.
Invasive Ameisenarten sind weltweit gefürchtet. Was macht sie ökologisch und evolutionär so erfolgreich?
Generell sind Ameisen extrem erfolgreich, nicht nur die invasiven. Sie sind bis auf die Hochgebirge und Kältezonen in allen Ökosystem vertreten und nicht wegzudenken. Sie spielen bedeutende Rollen als Räuber, Pflanzenverwerter, Bodenlockerer, Schädlingsfresser – und nicht zuletzt als proteinreiche Nahrung für andere Tiere. Der Grund für ihren Erfolg ist ihre Zusammenarbeit. Wir haben es nicht mit einem einzelnen Tier zu tun, das gleichzeitig Nahrung finden und sich um die Brut kümmern muss, sondern mit Tieren, die sich die Arbeit teilen. Das macht ihren Erfolg aus.
Viel wird gerade von KI und transhumanen Wesen geredet. Werden am Ende vielleicht die Ameisen die Weltherrschaft übernehmen?
So wie wir uns im Moment verhalten, kann es durchaus sein, dass sie uns überleben werden. Es gibt weltweit 16.000 Ameisenarten, die an die unterschiedlichsten Ökosysteme angepasst sind. Sie stellen eine sehr lange, sehr erfolgreiche Geschichte in der Evolution dar. Das müssen Wirbeltiere, Menschenaffen und Menschen erst mal nachmachen.