Björn Böhning soll mit Klingbeil SPD wieder aufbauen

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Lars Klingbeil ist 22 Jahre jünger als Friedrich Merz, aber der Vizekanzler hat gegenüber dem Regierungschef einen Vorteil, der Jahre wettmacht: Er hat schon eine politische Ersatzfamilie. Eine Handvoll Leute, die Klingbeil seit vielen Jahren begleiten und denen er wirklich vertraut. Auch Merz hat Vertraute, aber durch seinen zwischenzeitlichen Ausstieg aus der Politik kann dieses Netz nicht so eng sein wie bei dem politischen Berufsaufsteiger Klingbeil.

Auf diese „Ersatzfamilie“ – die Bezeichnung stammt von einem Mitglied der Gruppe – dürfte es umso mehr ankommen, als Klingbeil im Gegensatz zu Merz nicht einfach nur den Status quo erhalten will, um auf ewig Vizekanzler zu bleiben. Klingbeil will mehr. Dazu muss er als Finanzminister punkten, aber auch die SPD muss bei den Wählern wieder deutlich besser ankommen. Letzteres klingt nach einer ziemlich aussichtslosen Mission. Es ist die Mission von Björn Böhning. Er ist Klingbeils Mann für alle Fälle.

Böhning ist 47 Jahre alt, genau wie Klingbeil. Sie sind seit Jahren befreundet. Es gab deswegen nie den entscheidenden Anruf, bei dem Klingbeil seinen Kumpel gefragt hätte, ob er Teil der neuen Regierung werden wolle. Stattdessen haben die beiden wohl schon einige Zeit vor dem Bundestagswahltermin beschlossen: Wir machen das gemeinsam.

Böhning ist nun Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er beugt sich aber nicht über die Formel zur Berechnung der Globalen Minderausgabe, sondern seine Aufgabe ist es, das große Ganze im Blick zu behalten. Böhning koordiniert die sieben SPD-geführten Ministerien. Er ist damit das sozialdemokratische Pendant zu Thorsten Frei, dem Kanzleramtschef. Also Vizekanzleramtschef. Das Amt gibt es offiziell gar nicht, aber es passt zum Anspruch von Klingbeil und seinen politischen Brüdern und Schwestern: Wir sind auf Augenhöhe mit dem Kanzler.

Kurze Leine für die anderen SPD-Ministerien

Böhning führt die sieben SPD-Häuser an einer ziemlich kurzen Leine, ist zu hören. Er ist außerdem Mitglied des Koalitionsausschusses, sitzt also in dem Gremium mit am Tisch, das die Koalition am Laufen halten soll. Dass Böhning überhaupt einen Platz bekommen hat, lag an Querelen innerhalb der Union. Eigentlich sollte das Format nur aus neun Personen bestehen, aber dann hätte Merz nicht seinen Generalsekretär Carsten Linnemann unterbekommen. Um Streit zu vermeiden, wurde Kanzleramtschef Frei kurzerhand zum Schriftführer erklärt. So einen wollte Klingbeil dann auch haben. So wurde Böhning Teil des Entscheidungskreises.

Die Zusammenarbeit zwischen Frei und Böhning wird von beiden Seiten als gut beschrieben. Sie telefonieren fast täglich, einmal in der Woche gibt es ein Treffen. Vor dem Kabinett, das mittwochs zusammenkommt, gibt es noch mal ein intensives Vorgespräch. Nur wenn sich Frei und Böhning einig sind, kommt ein Gesetzentwurf auf den Weg. Die beiden sind der Flaschenhals der gesamten Koalition, sie kontrollieren alles, was von der Regierung ins Parlament kommt. Das Desaster bei der Richterwahl müssen sie sich nicht anlasten – das war Sache der Fraktionen.

Dass auch bei Böhning und Frei nicht automatisch alles glatt läuft, sah man zuletzt bei dem Streit über die Senkung der Stromsteuer. Womöglich hatte das auch damit zu tun, dass es zwar mit Frei und Böhning eine gute CDU-SPD-Achse gibt. Aber es fehlt die CSU. Sie hat keinen Staatssekretär benannt, der für die Koordinierung verantwortlich ist. Böhning, so heißt es, ruft manchmal kurzerhand bei Alexander Dobrindt direkt an, der auch Mitglied des Koalitionsausschusses ist. Aber eigentlich ist die Koordinierung nicht die Aufgabe eines Innenministers.

Mit der Stromsteuerdebatte waren Klingbeils Leute nicht zufrieden

Im Klingbeil-Lager ärgerte man sich über den Stromsteuerstreit, weil man den Finanzminister als geizigen Mann dargestellt sah, der die Wirtschaft entlasten will, aber nicht die einfachen Bürger. So war das nicht geplant. Böhnings Aufgabe ist es nämlich, das Handeln der SPD-Ministerien aufeinander abzustimmen und am Ende seinen Chef glänzen zu lassen.

Das Team Klingbeil hat sich in Europa umgeschaut: Da gewinnen sozialdemokratische Parteien kaum noch Wahlen, aber sympathische und fachkundige Sozialdemokraten sehr wohl. Wobei man im Bundesfinanzministerium derzeit noch dabei ist, erst mal den Boden festzutrampeln. Klingbeil ist kein Finanzpolitiker, die ersten Wochen im Amt dürften für ihn ein wilder Ritt gewesen sein. Inklusive der Mammutaufgabe, die SPD wieder aufzurichten, die ihrerseits mit Klingbeil als Parteichef hadert.

Eine Methode bei dem Versuch, Oberwasser zu gewinnen, ist im Hause Klingbeil, klar zwischen Wichtigem und weniger Wichtigem zu unterscheiden. Wenn ein Unions-Projekt auf der Kabinettsliste oder im Bundestag zur Abstimmung steht, setzt die SPD-Seite dem ein sozialdemokratisches entgegen. So wurde etwa innerhalb von einer Woche die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte beschlossen, aber auch der Wohnungsturbo.

Auch unmittelbar vor Landtagswahlen sollen sozialdemokratische Herzensthemen auf der Tagesordnung stehen. Böhning und Klingbeil teilen die Ansicht, dass sich politischer Erfolg mit einem professionellen Vorgehen organisieren lässt. Aber was heißt Erfolg? Das Abarbeiten des Koalitionsvertrags?

Die Unruhe in der SPD steigt, weil die Umfragen einfach nicht besser werden. Derzeit liegt die Partei eher unter ihrem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis von 16,4 Prozent. Der Bundeskanzler fand zuletzt mitfühlende Worte, als er sagte, er wünsche sich die Union bei mehr als 30 Prozent – und die SPD bei mehr als 20.

Klingbeil und Böhning haben so viele Kompetenzen an sich gezogen, dass alle künftigen Erfolge und Misserfolge der SPD mit ihnen verbunden werden. Dabei war Böhning eigentlich schon aus der Politik ausgestiegen. Eine gute Karriere lag ja schon hinter ihm. Angefangen hatte er bei den Jusos in Schleswig-Holstein. Damals lernte er auch Klingbeil kennen, der bei den Jungsozialisten in Niedersachsen war. Böhning wurde sogar Juso-Vorsitzender, das heißt: Er war ein junger, theoriegetriebener Mann, der fand, dass alles in der SPD radikal verändert werden müsste. Heute vertritt Böhning politisch ganz die Klingbeil-Linie: Die SPD soll pragmatische Politik machen und sich gleichzeitig öffnen für die neue Arbeitnehmerschaft, aber nicht nur Industriearbeiter. Auch für Selbständige, Handwerker und Gründer soll die SPD wieder wählbar werden.

Böhning wechselte vom Juso-Amt nach Berlin und leitete unter den Regierenden Bürgermeistern Klaus Wowereit und Michael Müller die Staatskanzlei. Dort lernte er, die langen Linien im Blick zu haben und Generalist zu sein. Dann wechselte er als Staatssekretär ins Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil. Kleine, für Heil wenig hübsche Fußnote: Heil ist jetzt weg, Böhning wieder da.

Denn bis vor wenigen Monaten bestand Böhnings Leben fast ausschließlich aus Wohlfühlterminen. Böhning war von der Politik gewechselt zur Allianz Deutscher Produzenten und hatte dort das Amt des Geschäftsführers inne. Viel Kino, viel Kanapee.

Jetzt verdient Böhning weniger Geld und hat weniger Zeit. Warum er trotzdem Klingbeils Wunsch folgte und zurück in die Politik kam? Die Freunde haben offensichtlich das Gefühl, in einer einmaligen Situation zu sein, wirklich etwas Großes bewegen zu können. Ob dieses Große der Wiederaufstieg oder der Untergang der SPD ist, wird sich zeigen.