Bezieher von Bürgergeld sollen nach dem Willen der schwarz-roten Koalition wieder strenger zum Einstieg in Arbeit angehalten werden. Es gebe „ganz offensichtlich ein Problem, die Menschen ausreichend in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, begründet dies Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Deshalb will die Regierung nach dem Sommer zügig mit diesem Umbau beginnen. Eine Gruppe aber soll davon ausgenommen werden: Für Flüchtlinge aus der Ukraine sieht der Koalitionsvertrag ganz neue Zuständigkeiten vor. Die Jobcenter sollen sich dann gar nicht mehr um jene kümmern, die vor Putins Krieg nach Deutschland flüchten.
Gerade dieser Teil der Pläne stößt aber auf wachsende Vorbehalte unter Fachleuten. Denn das Projekt, das politisch unter dem abstrakten Begriff „Rechtskreiswechsel“ firmiert, ist arbeitsmarktpolitisch offenbar noch wenig ausgereift. Es sei „entscheidend, dass die Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten bei dem geplanten Rechtskreiswechsel weiterhin gut gelingt“, mahnt deshalb Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA) und bis 2024 Sonderbeauftragter der Regierung für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. „Wir haben bereits beim Job-Turbo gesehen, wie wichtig eine gute Begleitung ist. Das darf hier nicht verloren gehen“, sagte Terzenbach der F.A.Z. Mit dem „Job-Turbo“ hatte die Ampelkoalition im Oktober 2023 ihre Bürgergeldreform nachjustiert, um die Integration von Flüchtlingen gezielter voranzubringen.
Von Geflüchteten zu Asylbewerbern
Hinter dem aktuellen Begriff „Rechtskreiswechsel“ steht nun das Vorhaben, neu ankommende Menschen aus der Ukraine künftig im Sozialrecht stattdessen wie Asylbewerber zu behandeln. Dies bedeutet zum Einen, dass sie eine um etwa 20 Prozent niedrigere monatliche Geldleistung erhalten als im Bürgergeld. Und zum anderen sind für Bezieher von Asylbewerberleistungen die Jobcenter nicht zuständig. Vielmehr gibt es eine Mischzuständigkeit der Kommunen und der beitragsfinanzierten Arbeitsagenturen. Letztere sollen Asylbewerber auf dem Weg in Arbeit beraten und fördern, aber das ist freiwillig.
Konkret sei nun beispielsweise zu befürchten, dass der Zugang zu Sprachkursen für diese Gruppe schwieriger werde. Das aber hätte „schlimme Folgen“, warnt Piel. „Es würde vielen den Weg verstellen, schnell in Arbeit zu kommen.“ Und obendrein würden die für Integration zuständigen Behörden, die den geplanten Rechtskreiswechsel umsetzen sollen, „mit einem neuen Bürokratieschub schwer belastet“. Ihr Gesamturteil fällt deshalb unzweideutig aus: „Die Bundesregierung sollte von diesem Vorhaben Abstand nehmen, niemand gewinnt dabei.“
Im Koalitionsvertrag steht das Vorhaben im Kapitel Migration, nicht Arbeit und Soziales. Einschätzungen von Arbeitsmarktpolitikern standen dabei offenbar weniger im Vordergrund. Befürworter berufen sich indes darauf, dass die Zuordnung der Ukrainer zum Asylbewerbersystem kurz nach Putins Angriff schon einmal gegolten habe. Erst im Juni 2022 wurden Ukrainer mit anerkannten Asylbewerbern gleichgestellt, also denen, die nach positivem Abschluss ihres Asylverfahrens Zugang zu Bürgergeld erhalten.
Ukrainer aber müssen demgegenüber gar kein Asylverfahren durchlaufen, da ihnen im Rahmen einer EU-Regelung ohne Einzelfallprüfung ein Flüchtlingsstatus zuerkannt wird. Der Bezug von Asylbewerberleistungen, der normalerweise nur die Übergangszeit vom Asylantrag bis zum Abschluss des Asylverfahrens überbrücken soll, würde für sie damit künftig zum Dauerstatus. Anders als im Frühjahr 2022 ist heute aber klar, dass Putins Krieg länger als einige Monate dauert.
Zu den Befürwortern des „Rechtskreiswechsels“ gehört auf kommunaler Seite der Deutsche Landkreistag, nach dessen Ansicht sich die Zuständigkeit der Jobcenter „nicht bewährt“ hat, wie er im März in einem Positionspapier festgehalten hat. Wichtig sei aber, im Zuge des neuerlichen Systemwechsels die Regeln im Asylbewerberleistungsrecht zu ändern. Ukrainer müssten „verpflichtet werden, nicht nur Arbeitsgelegenheiten, sondern zumutbare Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen“. Im Bürgergeld gilt das heute schon. Ein dem Fördern und Fordern vergleichbares System der Betreuung gibt es für Asylbewerber nicht, sieht man von einer Soll-Vorschrift ab, die Kommunen dazu auffordert, gemeinnützige Arbeitsgelegenheiten zu organisieren.
Derweil pocht die Arbeitgeber-Bundesvereinigung BDA insbesondere darauf, im Zuge des Rechtskreiswechsels nicht zu viele neue Aufgaben bei der beitragsfinanzierten Arbeitslosenversicherung abzuladen. Deren Belastung müsse „so gering wie möglich gehalten werden“, fordert Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der BDA, die im Wechsel mit dem DGB die Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit anführt. Kampeter stellt das Vorhaben „Rechtskreiswechsel“ aber nicht im Kern infrage.
Kommunen sollen verbessern, was bei Jobcentern nicht funktionierte
„Entscheidend bleibt, Geflüchtete aus der Ukraine so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagte er der F.A.Z. „Dafür braucht es zügigen Zugang zu Integrationskursen durch die Kommunen – und niedrigschwellige Angebote der Arbeitsagenturen, um frühzeitig den Kontakt zu den Menschen herzustellen.“ Neben der Arbeitslosenversicherung sieht er also die Kommunen in der Pflicht, künftig in neuen Strukturen das zu schaffen, was im Bürgergeld in der Verantwortung der Jobcenter nicht ausreichend gelungen sei.
BA-Vorstand Terzenbach weist indes mit Blick auf die Rolle der Arbeitsagenturen auf ein weiteres Problemfeld hin: die Finanzierung. Länder und Kommunen erhalten für jeden Bezieher von Asylbewerberleistungen als Kostenausgleich eine Jahrespauschale von 7500 Euro vom Bund; sie würde dann auch für Ukrainer gelten. Ob auch die BA einen Ausgleich für ihren absehbaren Mehraufwand bekäme, ist jedoch offen. Für sie liegt die Konsequenz allerdings auf der Hand: Der Bund müsste die Kosten erstatten.
„Für uns als BA ist es wichtig, dass diese Aufgabe dann aus Steuern finanziert wird, damit die Beitragszahler nicht zusätzlich belastet werden“, sagt Terzenbach. Es gehe hier um den „typischen Fall einer versicherungsfremden Leistung“. Denn Asylbewerber hätten ja vor der Ankunft „nicht in Deutschland gearbeitet und somit nicht in die Sozialversicherung eingezahlt“. Zwar liege es in der Hand der Regierung, über solche Aufgaben für die BA zu entscheiden. „Wir als Bundesagentur stehen allerdings in der Verantwortung, auf unsere Rolle als beitragsfinanzierte Sozialversicherung hinzuweisen.“