Ukraine bekommt Tarnmäntel zum Schutz vor Drohnen: Was daran neu ist

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Auf die wenigen Spaziergänger an diesem Vormittag im Prager Stadtwald muss die Szenerie ziemlich skurril wirken. Vier Männer stehen da an einer Wegbiegung. Einer trägt einen bodenlangen, offenkundig militärischen Zwecken dienenden, mit Hunderten kleinen Lappen und Fäden übersäten Tarnfleckmantel samt Kapuze. Der mit dem XXXL-Umhang, Gesichtsmaske und Schienbeinschützern und ein anderer in Zivil entfernen sich etwa 100 Meter von der Gruppe. Derweil führt der Dritte, Radek Duchek, seine Wärmebildkamera ans rechte Auge. Das digitale Monokular verbindet sich mit dem Tablet, das er auf seinem linken Handballen balanciert.

Auf dem Bildschirm erscheinen zwei Schemen. Der rechte leuchtend rot, der andere mausgrau mit leichten Gelbtönen. Die werden blasser, je weiter die Probanden sich entfernen. Obwohl beide mit bloßem Auge auf dem Waldweg gut zu sehen sind, ist der Getarnte auf dem Bildschirm nicht zu erkennen. Als er sich dann ins grüne Gebüsch schlägt, geht neben der infraroten auch die optische Spur verloren. Der Mann wird unsichtbar.

Duchek ist mit der Demonstration zufrieden. „Den Typen auf der rechten Seite spürt eine Drohne mit Infrarotsensor noch aus einem Kilometer Entfernung auf, den anderen überhaupt nicht.“ Das hätten sie unlängst mit großen Drohnen noch einmal genau überprüft. „Unser Ergebnis ist 96 Prozent Sicherheit mit Tarnmantel“, sagt er.

Sein Unternehmen 4M Systems fertigt einen Umhang, der Körperwärme nicht speichert, sie aber vor der Umwelt versteckt. „Der hat eine bessere Atmungsaktivität als Gore-Tex“, schmunzelt Duchek und fügt hinzu: „Nach meiner Kenntnis gibt es kein Unternehmen auf der Welt, das solche Stoffe verwendet, die die Wellenlänge der elektromagnetischen Körperstrahlung verändern.“

Testgebiet für viele militärische Neuerungen

Anfang August gehen die Tarnumhänge erstmals in Serienproduktion. Geliefert werden die 1,3 Kilogramm leichten Teile in einem Beutel im Bauchtaschenformat. Ausgepackt und übergeworfen sei das Ganze binnen Sekunden, nachdem der Soldat die Drohne vernommen hat, vor der er sich nun verstecken kann.

Bestimmungsort der ersten Lieferung ist die Ukraine, wo Kommandeure nach ersten begeisternden Tests am liebsten gleich Tausende im Abwehrkampf gegen russische Drohnen bestellt hätten. Geliefert werden sollen sie nun im September.

Finanziert werden die Tarnponchos zur Hälfte durch ein Crowdfunding der tschechischen NGO „Ein Geschenk für Putin“ (Dárek pro Putina). Die hatte binnen Tagen 5,8 Millionen Kronen (232.000 Euro) für die Hälfte der 333 Umhänge eingesammelt, den Rest sponsort 4M. Die Ukraine ist Erprobungslabor und Testgebiet für viele militärische Neuerungen. Dass 4M Systems sich hier wertvolle Erfahrungen verspricht, liegt auf der Hand.

Wichtigster Kunde ist das tschechische Militär

Die tschechische Presse zieht schon Vergleiche zu Harry Potter. Doch mit Romanhelden und Fabelwelten hat Duchek nichts am Hut. Er kennt den realen Krieg. Fast 20 Jahre hat der heute Fünfzigjährige für tschechische Spezialkräfte gearbeitet. Zuerst in der Polizei, dann fürs Militär. „Zwei Einsätze im Irak, ein halbes Jahr Afghanistan“, listet er auf. Da habe man Technik schätzen, aber auch die vielen kleinen Unzulänglichkeiten der Ausrüstung kennengelernt.

So lag es nahe, dass er 2015 dem Ruf eines Kollegen folgte, der ein Fachgeschäft für die Ausstattung von Elitesoldaten, „for army“ (4M Systems), gründete. Heute gehört das Unternehmen, das passgenaue Hosen, Jacken, Helme, Pistolenhalfter, Rucksäcke und Splitterschutzwesten für Spezialkräfte feilbietet, dem tschechischen Rüstungsunternehmen Colt CZ Group .

„Die Liebe zum Detail“ mache den Unterschied zur Konkurrenz aus, sagt Duchek. Manche Stoffe seien feuerhemmend, andere schützten vor Splittern. Er zeigt hier eine Polsterung an der Schulter, wo die Langwaffe scheure, dort eine Extratasche mit Schlaufe an der Hose, die keine Nähte zeigt. So eine Hose kann 200 bis 300 Dollar kosten. Das seien zwar keine Spitzenpreise, doch bewege man sich damit doch im oberen Mittelfeld.

Die Kooperation mit dessen Tochterunternehmen CZ (Česká zbrojovka), einem großen Hersteller von Kleinwaffen, habe 4M Systems von Anfang an Expansionsmöglichkeiten in mehr als 90 Länder der Welt eröffnet. „Wir verdanken CZ den Erfolg, heute dazustehen, wo wir sind.“ Geschäftszahlen will Duchek keine nennen. Die seien in der Bilanz des an der Prager Börse notierten Mutterkonzerns konsolidiert.

Wichtigster Kunde ist das tschechische Militär. Auch Feuerwehren und Gefängnisaufseher werden heute mit schusshemmenden Westen ausgerüstet. Zudem zählt Duchek Spezialkräfte in Europa, den USA und Afrika zu seinen Kunden. Den Einzelhandelsverkauf habe man 2020 eingestellt. Die Konzentration auf B2B-Geschäfte bedeute aber nicht, dass man Anfragen von Privatkunden ablehne – meistens seien das Angehörige von Eliteeinheiten, die ihre Ausrüstung etwas aufrüsten wollten.

Geschäftssitz in einer Einfamilienhaussiedlung

4M hat nicht den Massenmarkt im Blick. Mit anderthalb Dutzend Mitarbeitern wirkt es eher wie eine Boutique. Der Geschäftssitz liegt in einer beschaulichen Einfamilienhaussiedlung im Westen Prags. Ein paar Büro-, Besprechungs- und Schauräume mit Uniformen, Helmen, Rucksäcken, einer für die besonderen Bedürfnisse von Scharfschützen. Im Untergeschoss liegt die Werkstätte, wo Schneiderinnen gerade Prototypen des neuen Tarnumhangs zurechtschneiden. Neun Meter Stoff brauchen sie allein für einen Tarnmantel.

Schon vor zehn Jahren habe man sich dazu entschlossen, die eigenen Aktivitäten auf Forschung und Entwicklung sowie den Verkauf zu konzentrieren, erzählt Duchek, der das Geschäft seit ein paar Jahren allein führt. Produzieren lässt er in der Tschechischen Republik und Bulgarien, bei größeren Aufträgen vergibt er die Fertigung auch nach Asien. Man sei da auch bei größeren Stückzahlen sehr flexibel. Die Werkstoffe kämen alle aus Amerika und Europa.

So wie das patentgeschützte, dampfdurchlässige, extrem dünne, aber die Wärmestrahlung mindernde und wasserdichte Infrahex-Nanogewerbe für die Tarnumhänge. Das stammt von dem tschechischen Unternehmen Respilon. Als die ihn im vorigen Herbst kontaktierten, habe er erst einmal abgewunken, sagt Duchek: „Ich habe das für physikalisch unmöglich gehalten.“

Denn alles, was er bisher an Materialien dazu gesehen habe, führe nach kurzer Zeit zu Wärmestau und einer Überhitzung des Körpers. Damit wäre die thermische Si­gnatur des Körpers bald wieder zu sehen. Viele Hersteller hätten nur sogenannte Ghillie-Anzüge zur thermischen Tarnung von Soldaten im Angebot, sagt Duchek. Das seien perfekte Tarnmäntel mit eingenähter künstlicher Vegetation, geeignet auch für Scharfschützen. Der Nachteil sei, dass sie sperrig seien und die Bewegungsfreiheit einschränkten. Man könne in ihnen nicht schnell laufen oder kämpfen.

Mehrere Länder testen die Umhänge derzeit

Ducheks zuerst abwehrendes „Ich glaube nicht, dass wir interessiert sind“ kehrte sich nach einem Treffen in großes Interesse um. Zunächst sei die Reduzierung der thermischen Strahlung sogar so groß ausgefallen, dass die Soldaten sich als Kältefleck auf dem Bildschirm zeigten, sagt er grinsend. Aber das Problem habe man behoben. „Auf dem Wärmebild erscheint eine Temperatur von etwa fünf Grad Celsius, keine 38 oder 40 Grad.“

Streitkräfte mehrerer Länder testeten die Umhänge derzeit. Das dauert Duchek zwar erkennbar zu lang, aber er bleibt zuversichtlich. Nicht nur wegen der passiven Schutzwirkung, sondern auch wegen der taktischen Möglichkeiten, die der Umhang für Kommandoeinsätze hinter feindlichen Linien eröffne. „Stellen Sie sich vor, was die dort bewirken könnten, das ergibt ungeahnte Möglichkeiten.“

Duchek ist davon überzeugt, dass der Tarnumhang ein Bestseller werden wird. „Jede NATO-Armee wird in naher Zukunft so etwas kaufen müssen, um ihre Soldaten zu schützen und zu verstecken.“ Deshalb experimentiert er auch schon mit neuen Produkten, bevor das Tarngeschäft so richtig in Schwung gekommen ist. Man könne zum Beispiel Fahrzeuge unsichtbar machen. Weitere Prototypen sind in Arbeit: Strahlungsschutz für Schlafsäcke, ein Hitzeschutz für Schalldämpfer an Langwaffen. Denn was helfe dem Scharfschützen der Tarnumhang, wenn das Gewehr ihn verrate?