Ganz im Gegenteil. Ich begrüße die Aussage des Bundeskanzlers, dass wir in der Koalition einig sind. Aber es ist das eine, was man sagt und etwas anders, was man tut. Es freut mich, wenn der Kanzler sich ähnlich äußert wie wir. Gleichzeitig verstehe ich dann nicht die Position der Bundesregierung, die Erklärung von so vielen unserer engsten Partner nicht mit zu unterzeichnen, die unter anderem ein Ende des Gaza-Krieges fordert.
Der Kanzler sagt, die neue von mehr als 25 Staaten unterzeichnete Erklärung fordere nichts anders als eine Erklärung des Europäischen Rates, die Deutschland mitverhandelt und unterstützt hat.
Es sind mittlerweile sogar 29. Umso weniger kann ich verstehen, dass die Bundesregierung die aktuelle Erklärung nicht unterschrieben hat. Es ist und bleibt ein Fehler. Aus europäischen Diplomatenkreisen höre ich große Irritationen über das deutsche Verhalten, das uns weiter in dieser Frage isoliert. Das Ausmaß der Fehlentscheidung wurde falsch antizipiert und nun geht es darum, wie die Bundesregierung aus dieser Situation gesichtswahrend herauskommt.
Es wäre angebracht, Fehler einzugestehen und diese zu korrigieren, indem man die Erklärung nachträglich unterzeichnet. Und in Zukunft wäre es wichtig, dass solche Entscheidungen im Gesamtkabinett auch mit dem Koalitionspartner intensiv im Vorfeld beraten werden. Es wurden im Nachhinein Unterschiede in der Bewertung im Kabinett deutlich.
Sie meinen Ihre Parteifreundin, die Entwicklungshilfeministerin Reem Alabali Radovan, die sich ebenfalls irritiert geäußert hat, dass man diese Erklärung nicht unterschrieben hat?
Sie widersprechen in Ihrer Forderung einem wichtigen Argument des bisherigen deutschen Nahost-Kurses: dass man als Freund Gehör findet und Einfluss haben kann in Israel?
Ich widerspreche nicht, weil ich einem subjektiven Gefühl folge, sondern weil die Zustände im Gazastreifen objektiv katastrophal sind. Nichts von dem bislang Vereinbarten hat die Lage im Nahen Osten ins Positive gedreht. Wir hatten vor zwei Wochen das Abkommen zwischen Israel und der EU zur humanitären Versorgung im Gaza-Streifen vereinbart, die aktuelle humanitäre Situation hat sich sogar verschlechtert. Und unser Außenminister und Bundeskanzler stehen im engen Kontakt mit der israelischen Regierung. Aber was ist das Ergebnis? Die humanitäre Lage in Gaza ist so schlimm wie noch nie. Es drohen so viele Menschen wie noch nie in der Region in den letzten Jahrzehnten an Hunger zu sterben. Und im Windschatten des Gaza-Krieges werden in kurzer Zeit so viele Siedlungen in der Westbank wie noch nie gebaut, womit auch ein weiteres Ziel internationaler Bemühungen torpediert wird, die Zweistaatenlösung. Dabei bleibt auch die Forderung nach Freilassung der Geiseln zentral. Wir haben erlebt, dass Diplomatie und Waffenruhe zu Freilassungen führen. Nicht das, was die israelische Armee gerade tut.
Im Koalitionsvertrag ist die Sicherheit Israels abermals als Staatsräson festgeschrieben.
Wir als SPD bekennen uns weiterhin uneingeschränkt zur Staatsräson. Ich liebe dieses Land auch dafür, dass es eine ausgeprägte Erinnerungskultur hat und seiner historischen Verantwortung in dieser Form gerecht zu werden versucht. Wenn aber die aktuelle israelische Regierung so vorgeht, dass es unseren Zielen als Bundesregierung und Europäischer Union zuwiderläuft, entsteht ein Spannungsverhältnis. Es gibt nämlich noch etwas weiteres, das für mich als Staatsbürger maßgeblich ist: das ist unser Grundgesetz. Der Artikel 25 sieht die Achtung des Völkerrechts vor. Wenn Menschen im Gazastreifen gezielt vertrieben werden oder ihre Lebensgrundlagen zerstört werden, sind wir verpflichtet, das völkerrechtlich zu benennen.
Bricht Israel im Gazastreifen Völkerrecht?
Ja, es gibt klare Hinweise auf völkerrechtswidriges Verhalten, etwa durch den mangelnden Schutz der Zivilbevölkerung, durch Vertreibung oder durch gezielte Angriffe auf zivile Infrastruktur.
Die Hamas aber, die Israel am 7. Oktober 2023 überfallen hat, ist noch nicht besiegt.
Frieden im Nahen Osten und vor allem in den palästinensischen Gebieten und im Gazastreifen und auch für Israel kann es nur geben, wenn es eine Zukunft ohne die Hamas gibt. Aber es ist illusorisch zu glauben, man könne die Hamas rein militärisch besiegen, ohne gleichzeitig politische Perspektiven und Alternativen zu schaffen. Wer nur militärisch agiert, ohne eine politische Lösung anzustreben, verkennt die Lage vor Ort.
Sie fordern den Stopp von Waffenexporten an Israel, die völkerrechtswidrig eingesetzt werden – meinen Sie damit auch Rüstungsgüter, also Ersatzteile für Waffen zum Beispiel?
Deutschland hat eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels und den Schutz des jüdischen Staats. Das ist richtig. Gleichzeitig gelten gesetzliche Vorgaben für den Export von Waffen wie mit dem Waffenkontrollgesetz. Deutsche Waffen dürfen nicht zum Bruch von Völkerrecht verwendet werden. Und es liegt auf der Seite desjenigen, der unsere Waffen verwendet und verwenden möchte, zu beweisen und darzulegen, wofür diese benutzt werden.
Die vorherige Regierung hatte von der israelischen Seite eine schriftliche Versicherung eingefordert, dass deutsche Rüstungsgüter völkerrechtskonform eingesetzt werden – reicht Ihnen das?
Unsere Regierung ist gesetzlich dazu verpflichtet zu garantieren, dass unsere Waffen nicht zum Bruch von Völkerrecht genutzt werden. Das ist keine politische Willensfrage, sondern geltendes Recht. Und wenn die Lage im Gazastreifen den Eindruck vermittelt, dass diese Verpflichtung nicht mehr erfüllt werden kann, dann muss der Export kritisch geprüft werden. Gleichzeitig ist selbstverständlich unstrittig, dass Israel das Recht hat, sich gegen Raketenangriffe wie etwa aus dem Jemen zu verteidigen. Es geht hier nicht um pauschale Verurteilungen, sondern um völkerrechtlich begründete Einzelfallprüfungen.
Ihrer Argumentation folgend läuft das faktisch auf einen Rüstungsexportstopp hinaus für Israel.
Ich spreche nicht über ein Waffenembargo. Es ist ganz einfach: Deutsche Waffen dürfen nicht verwendet werden für den Bruch des Völkerrechts. Wenn man uns das beweisen kann, dann erübrigt sich auch die Diskussion.