Die SPD erhöht den Druck auf Merz

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Der Bundeskanzler wird nach der Einigkeit in seiner Koalition gefragt. Er zeigt keine Zweifel an ihr. Es ist Dienstagabend, Friedrich Merz (CDU) steht im Kanzleramt neben dem tschechischen Ministerpräsidenten, und es geht um die deutsche Israel-Politik. Wenige Stunden zuvor haben Mitglieder der SPD-Fraktion ein Papier veröffentlicht, in dem der Koalitionspartner sich für einen härteren Israel-Kurs der Bundesregierung ausspricht und kritisiert, dass die Bundesregierung einen Aufruf von mehr als 25 Staaten nicht unterzeichnet hat, die ein Ende des Gazakrieges fordern. Merz sagt zur Israel-Politik: „In der Sache gibt es darüber keine Meinungsverschiedenheiten in der Koalition.“

Kommt da gerade das nächste Thema hoch, das die Koalition im Sommer um die Pause bringen dürfte? Bis hin zu der Frage: Wie hält es die Bundesregierung mit Rüstungsexporten nach Israel? Das SPD-Papier wurde vom ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich geschrieben und von Adis Ahmetović, dem außenpolitischen Sprecher. Da am selben Tag sowohl vom jetzigen Fraktionsvorsitzenden Matthias Miersch als auch von der sozialdemokratischen Entwicklungshilfeministerin Reem Alabali Radovan gleichgerichtete Zitate in Umlauf kamen, wurde deutlich, dass die SPD-Reihen in dieser Frage geschlossen sind. Geschlossen gegen den Koalitionspartner.

Er begrüße die Aussage des Bundeskanzlers, dass man in der Koalition einig sei, sagt Ahmetović am Mittwoch zwar der F.A.Z. „Aber es ist das eine, was man sagt, und etwas anderes, was man tut“, fügt er an. Es freue ihn, wenn der Kanzler sich ähnlich äußere wie die SPD. „Gleichzeitig verstehe ich dann nicht die Position der Bundesregierung, die Erklärung von so vielen unserer engsten Partner nicht mit zu unterzeichnen, die unter anderem ein Ende des Gazakrieges fordert.“

SPD-Papier nennt Lage in Gaza „katastrophal“

In dem SPD-Papier heißt es: „Die Lage in Gaza ist katastrophal und stellt einen humanitären Abgrund dar.“ Man habe einen „point of no return“ erreicht und fordere „klare und umgehende Konsequenzen“. Die Bundesregierung solle sich den Initiativen auf europäischer Ebene anschließen. Gemeint ist damit vor allem eine am Montag veröffentlichte Erklärung von zunächst 25 Staaten, der sich bislang drei weitere und die EU-Kommission angeschlossen haben und in der ein sofortiges Ende des Gazakrieges gefordert wird sowie die Aufhebung aller israelischen Beschränkungen für humanitäre Hilfe. Ausgegangen ist die Erklärung von Großbritannien, zu den Unterzeichnern gehören aber auch viele weitere enge Partner Berlins wie Frankreich und Italien.

Im Kanzleramt sagt Merz am Dienstagabend, was in diesem Aufruf zum Ausdruck komme, sei „keine europäische Initiative, sondern eine Initiative einiger Mitgliedstaaten und einiger anderer“. Er verweist darauf, dass man vorher schon im Europäischen Rat genau diese Position eingenommen habe. „Ich habe mich an der Abfassung des Textes, den wir im Europäischen Rat in Brüssel bereits vor einigen Wochen beschlossen haben, aktiv beteiligt“, sagt Merz. Deswegen gebe es weder in der Sache noch im Verfahren Meinungsverschiedenheiten.

Ahmetović will umso weniger verstehen, dass die Bundesregierung den aktuellen Aufruf nicht unterschrieben hat. „Es ist und bleibt ein Fehler“, sagt er. „Aus europäischen Diplomatenkreisen höre ich große Irritationen über das deutsche Verhalten, das uns weiter in dieser Frage isoliert.“ Das Ausmaß der Fehlentscheidung sei falsch antizipiert worden, und nun gehe es darum, wie die Bundesregierung aus dieser Situation gesichtswahrend herauskomme. Aus der Sicht von Ahmetović: in dem sie den Aufruf noch unterzeichnet. Wie aus der Bundesregierung zu hören ist, dürfte es dazu aber nicht kommen.

Eine alte Debatte mit neuer Rollenverteilung

Es ist nicht das erste Mal, dass der Israel-Kurs die Bundesregierung in der kurzen Zeit, seit sie im Amt ist, beschäftigt. Allerdings dieses Mal mit einer anderen Rollenverteilung. Im Kanzleramt sagt Merz mit Blick auf Gaza: „Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich einer der Ersten war, der in aller Deutlichkeit auch in Deutschland gesagt hat, dass die Zustände dort nicht länger hinnehmbar sind.“

Tatsächlich hatten Anfang Juni Merz und sein Außenminister Johann Wadephul (CDU) den Ton gegenüber Israel deutlich verschärft mit Blick auf das israelische Vorgehen im Gazastreifen. Merz hatte geäußert, er erkenne bei den „massiven militärischen Schlägen der israelischen Armee“ im Gazastreifen „keine Logik mehr“, wie sie dem Kampf gegen Terroristen und der Befreiung der Geiseln dienten. Wadephul wandte sich gegen eine „Zwangssolidarität“ mit Israel. In der SPD nahm man diesen Kurs wohlwollend hin. In der Union hingegen, vor allem der CSU, störten sich manche daran – vor allem Wadephul geriet wegen seiner Wortwahl in die Kritik und erklärte sich schließlich im Fraktionsvorstand.

Dabei hatte man in der Bundesregierung mit dem Kurswechsel vor allem die Konsequenzen gezogen aus dem, was seit Amtsantritt und trotz mehrerer Gespräche am Telefon oder unter vier Augen mit israelischen Vertretern weiterhin im Gazastreifen passiert war. Auch Wadephul selbst musste erleben, dass Zusagen, die er bei seinem Antrittsbesuch im Mai in Israel zur humanitären Versorgung erhalten hatte, nicht eingehalten worden waren.

Merz sagt am Dienstagabend im Kanzleramt: „Ich will auch die israelische Regierung jetzt mit wirklich großem Nachdruck dazu auffordern, die massiven militärischen Interventionen zu stoppen, einen Waffenstillstand zu ermöglichen und vor allem die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung dort zu ermöglichen.“

Trotz dieser Ereignisse gingen die engen Gesprächen mit der israelischen Seite in den vergangenen Wochen weiter. Das ist auch ein Teil der Erklärung, warum die Bundesregierung – genau genommen der in diesem Fall zuständige Außenminister – den aktuellen Aufruf nicht unterschrieben hat. In einer sehr engen Taktung ist er im Austausch mit dem israelischen Außenminister Gideon Sa’ar. Auch Merz hatte mehrmals schon mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu telefoniert – zuletzt erst am Freitag.

Merz setzt auf direkte Gespräche

Regierungssprecher Stefan Kornelius machte am Mittwoch deutlich, dass Merz direkte Gespräche für zielführender halte als eine öffentliche Erklärung. Nach dem Telefonat am Freitag hieß es in einer Mitteilung der Bundesregierung, Merz habe in dem Gespräch seiner „Hoffnung auf einen baldigen Waffenstillstand im Gaza-Streifen“ Ausdruck gegeben. Der Bundeskanzler habe gefordert, dass die „dringend notwendige humanitäre Hilfe“ jetzt auf sichere und menschenwürdige Weise die Menschen im Gazastreifen erreichen müsse.

Merz sagte der Mitteilung zufolge, es müsse eine tragfähige Nachkriegsordnung für Gaza gefunden werden, die „israelischen Sicherheitsbedürfnissen und dem palästinensischen Recht auf Selbstbestimmung Rechnung trage“. Eine Entwaffnung der Hamas bezeichnete Merz im Gespräch mit Netanjahu als „zwingend notwendig“. Er habe zudem betont, dass alle verbliebenen Geiseln der Hamas einschließlich derjenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit „umgehend“ freigelassen werden müssten. Schritte zur Annexion des Westjordanlandes dürfe es nicht geben.

Die Hoffnung, als Freund ohne öffentliche Belehrungen Einfluss behalten zu können, besteht also fort. Im Auswärtigen Amt war auch für den Montag abermals ein ausführliches Gespräch von Wadephul angesetzt mit Sa’ar, für das all die Themen auf der Liste gestanden haben sollen, die auch die SPD in ihrem Papier bewegen – von der humanitäreren Versorgung bis hin zur Siedlungspolitik.

Man hat es im Haus auch deshalb als nicht hilfreich für ein erfolgreiches Gespräch empfunden, die Unterschrift unter einen fast gleichzeitig veröffentlichten Aufruf zu setzen. Auch hofft man in Berlin, dass eine Vereinbarung zur Waffenruhe nah ist. Da wollte man von außen keine Unruhe in die Verhandlungen tragen. Als Wadephul Ende vergangener Woche in London und Paris war, soll in den Gesprächen auf Ministerebene der Aufruf keine Rolle gespielt haben. Stattdessen arbeite man derzeit mit diesen beiden Partnern an einer gemeinsamen E-3-Erklärung zu Israel, heißt es in Berlin.

Es geht aber nicht nur darum, dass es in der SPD Zweifel gibt, ob Berlin durch die Gespräche mit Israel noch Einfluss nehmen kann. Kanzler und Außenminister stünden in engem Kontakt mit der israelischen Regierung, sagt Ahmetović, aber was sei das Ergebnis: „Die humanitäre Lage in Gaza ist so schlimm wie noch nie.“ In dem SPD-Papier gibt es auch die Forderung, weitere Maßnahmen, „wie den Stopp von Waffenexporten an die israelische Regierung, die völkerrechtswidrig eingesetzt werden“, durchzusetzen.

Entscheiden muss über Exportanfragen im Geheimen der Bundessicherheitsrat. Bei der Ampelkoalition hatten schon die Grünen Bedenken angemeldet, und Berlin hatte schließlich eine Erklärung von Israel eingefordert, dass man die gelieferten Rüstungsgüter völkerrechtskonform einsetze. Ob das der SPD jetzt reicht, ist offen. Deutschland habe eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels und den Schutz des jüdischen Staats, sagt Ahmetović. „Gleichzeitig gelten gesetzliche Vorgaben für den Export von Waffen wie mit dem Waffenkontrollgesetz.“ Deutsche Waffen dürften nicht zum Bruch von Völkerrecht verwendet werden.

Mit einem der für Berlin wichtigsten Unterzeichner der Erklärung hat Merz am Mittwochabend gesprochen. Er empfing den französischen Präsidenten Emmanuel Macron  in der Villa Borsig am Rande von Berlin.