Eltern mit kranken Kindern sind schnell verunsichert. Kürzlich sorgte für Unruhe, dass die Versorgung mit Kinderärzten in Teilen Deutschlands unzureichend sei, vor allem im Ruhrgebiet. In Recklinghausen, dem schlimmsten Fall, müsse sich rechnerisch ein Mediziner um mehr als 2750 Patienten unter 16 Jahren kümmern, berichtet das Vergleichsportal Verivox. Im Durchschnitt aller 79 Großstädte kommen knapp 1300 Kinder auf einen Arzt. Am besten schneiden Würzburg, Kaiserslautern, Halle an der Saale und Rostock ab, mit jeweils weniger als 770 Patienten. Verivox erinnert daran, dass gesetzlich Versicherte einen Anspruch auf Termine hätten, doch die Suche nach einem Kinderarzt sei inzwischen eine „Herausforderung“.
Ärztevertreter weisen die Daten zurück. „Das Vorgehen von Verivox ist gelinde gesagt fragwürdig“, sagt ein Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Es reiche nicht aus, die Zahl der jungen Einwohner durch jene der Kinderärzte zu teilen. Hingegen orientiere sich die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen an vielen Parametern, etwa der Lage und der Infrastruktur. Daraus ergebe sich, dass der Versorgungsgrad im Kreis Recklinghausen mit 109 Prozent fast genau jenem von Würzburg mit 108 Prozent entspreche, „bei dem laut Verivox angeblich dreimal mehr Ärzte sind“.
Gemäß den sogenannten Bedarfsplanungskriterien der Kassen und Ärzte liege eine Unterversorgung nur in einer einzigen Region vor, nämlich im Mittleren Erzgebirgskreis. Ende 2024 nahmen den KBV-Zahlen zufolge in ganz Deutschland knapp 8500 Kinder- und Jugendärzte an der vertragsärztlichen Versorgung teil, 660 oder acht Prozent mehr als 2019. Allerdings müsse man die wachsende Zahl an Teilzeitstellen berücksichtigen.
„Daten sagen über das wahre Leben nichts aus“
Die Krankenkassen bestätigen die positive Entwicklung. „Die gute Versorgung von Kindern ist und bleibt eine zentrale Aufgabe unseres Gesundheitswesens, insgesamt sind wir gut aufgestellt, denn die Anzahl der Kinderärztinnen und Kinderärzte steigt seit Jahren kontinuierlich an“, sagt Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Weniger rosig schildern die Ärzte selbst die Lage. Entscheidend sei nicht, wie viele Kinderarztsitze es gebe, sondern welche Versorgung dort wirklich stattfinde, sagt Jakob Maske vom Vorstand des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen BVKJ. Er selbst unterhält eine Praxis in Berlin. In der Hauptstadt finde nur an zwei Dritteln der Sitze tatsächlich eine kinderhausärztliche Versorgung statt: „Die restlichen Sitze dienen der fachärztlichen Versorgung, also zum Beispiel durch Kinderkardiologen, -neurologen, -pulmologen und so weiter, oder sie werden für klinische Sprechstunden missbraucht.“ Verivox liefere rein statistische Daten, „über das wahre Leben sagen die nichts aus“, gibt Maske zu bedenken.
GKV: Entbudgetierung hat nicht geholfen
Das harte Los der Pädiater hat der Gesetzgeber zu lindern versucht. Zum 1. April 2023 schaffte der Bundestag die Honorardeckel für ambulante Kinderärzte ab. Denn diese hätten verhindert, dass die Ärzte für Leistungen vergütet worden seien, die das ihnen zugewiesene Budget überstiegen. Einige Patienten seien sozusagen umsonst behandelt worden. Das Gesundheitsministerium begründete die Änderungen damals damit, dass die Abschaffung der Mengenbegrenzung die Pädiatrie „dauerhaft attraktiv“ mache: „Diese Maßnahme kommt damit der Versorgung von Kindern und Jugendlichen zugute und berücksichtigt deren besondere Belange sowie die ihrer Eltern […].“
Bei aller Kritik an den Zuständen lobt Ärztevertreter Maske diesen Schritt als Erfolg. „Die Entbudgetierung hat dafür gesorgt, dass Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen jetzt deutschlandweit gleich für die geleistete Arbeit bezahlt werden.“ Vorher seien in Berlin nur 84 Prozent der Arbeit vergütet worden, in Hamburg teilweise kaum 70 Prozent. Die Neuordnung habe Praxisschließungen vermieden und die Versorgung gesichert.
Die Krankenkassen hingegen sind von der Aufhebung des Vergütungslimits nicht überzeugt. Besser werden müsse die Verteilung der Kinderarztpraxen, denn nicht immer seien sie dort, wo der Bedarf am höchsten sei. „Was allerdings nichts geholfen hat, ist die sogenannte Entbudgetierung“, sagt GKV-Vertreterin Stoff-Ahnis im F.A.Z.-Gespräch. „Die Versorgung der Kinder ist dadurch lediglich teurer geworden, was alle Versicherten über ihre Krankenkassenbeiträge finanzieren müssen.“
Der Kassenverband geht in seiner Kritik weit über die Kinderärzte hinaus. Denn zum Herbst werden auch die Hausärzte von den bisherigen Honorarbegrenzungen entbunden. „Wir befürchten erneut eine Verteuerung der Versorgung um mehrere hundert Millionen Euro, ohne dass die Versorgung dadurch besser wird“, rügt Stoff-Ahnis. „Es zeigt sich einmal mehr, dass die sogenannte Entbudgetierung vieles teurer macht, aber die Versorgung der Versicherten nicht verbessert.“
Warken will Auswirkungen Ende des Jahres bewerten
Die Mediziner, die das betrifft, sind empört. „Die Entbudgetierung ist kein Geschenk der Krankenkassen an die Hausärztinnen und Hausärzte“, stellt der Vorsitzende des Hausärzte- und Hausärztinnenverbandes, Markus Beier, klar. „Vergütet wird, was geleistet wurde, dazu werden die Kassen nun endlich verpflichtet.“ Die Reform versetze die Praxen in die Lage, mehr Versicherte zu versorgen und zu investieren. „Ohne Entbudgetierung keine Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung“, formuliert Beier.
Er bezieht sich auch auf das von der Regierung geplante Primärarztsystem, in dem Hausärzte erste Anlaufpunkte und Vermittlungsstellen zu den Fachkollegen sein sollen. „Wenn sie dort die Schlüsselstelle in der Versorgung bilden sollen, muss ihre Arbeit auch vollständig bezahlt werden“, fordert Beier. „Ein Primärarztsystem wird nur funktionieren mit einer starken hausärztlichen Ebene, das ist natürlich auch eine Frage der Honorierung.“
Das Gesundheitsministerium von Nina Warken (CDU) teilte mit, der Bewertungsausschuss aus KBV und GKV werde bis Ende 2025 die Auswirkungen der Entbudgetierung auf die Versorgung von Kindern und Jugendlichen, auf die Honorare der Kinderärzte sowie auf die Ausgaben der Krankenkassen analysieren. „Erst dann können zuverlässige Aussagen dahingehend getroffen werden, ob und wie sich die Entbudgetierung auf die Versorgung der Kinder und Jugendlichen ausgewirkt hat“, erläutert ein Ministeriumssprecher.