Ist Deutschland ein laizistischer Staat?

10

Als die Islamische Hochschulgruppe Kiel im Mai eine umstrittene Aktionswoche an der dortigen Universität veranstaltete, sollen Männer und Frauen dazu aufgerufen worden sein, unterschiedliche Eingänge zu nutzen und getrennt voneinander Platz zu nehmen. Auch an der Berliner Charité sollen bei einem Vortrag einer muslimischen Studentengruppe Männer und Frauen getrennt gesessen haben. Die Charité prüft inzwischen, ob ihre Grundsätze missachtet wurden, weil die Gleichstellung von Frauen und Männern „einen zentralen Aspekt im Miteinander der Hochschulgemeinde“ ausmacht. Beide Veranstaltungen haben inzwischen für öffentliches Aufsehen und Kritik gesorgt.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagte im Blick auf diese Vorfälle während seines Niedersachsen-Besuchs an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH): „Diejenigen, die aus der muslimischen Welt zu uns kommen, die herzlich willkommen sind an unseren Universitäten, mögen bitte daran denken, dass wir ein laizistischer Staat sind, dass wir hier eine strikte Trennung haben zwischen Staat und Kirche und dass wir insbesondere an unseren Hochschulen erwarten, dass gerade dort der Geist herrscht, den unsere Gesellschaft ausmacht, nämlich: Offenheit, Liberalität, Toleranz, auch religiöse Toleranz“. Das wolle er vor allem von denjenigen erwarten, die hier an unseren Hochschulen studieren und aus anderen Kulturkreisen, auch aus anderen Religionszugehörigkeiten kämen. „Das erwarten wir und das werden wir gegebenenfalls auch durchsetzen.“

Möglicherweise war der Bundeskanzler gedanklich schon beim Besuch des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron am darauffolgenden Tag in Berlin, als er von einem laizistischen Staat sprach. Frankreich ist ein Beispiel für einen konsequent laizistischen Staat mit einer strikten Trennung zwischen Staat und Kirche, Deutschland aber gerade nicht. Allerdings gibt es in Deutschland auch kein Staatskirchentum, das von der Weimarer Verfassung abgeschafft wurde. Die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Verfassung aus dem Jahr 1919 haben die Väter des Grundgesetzes fast wörtlich in das Grundgesetz übernommen. Die sogenannten Kirchenartikel (Artikel 136 bis 139 und 141) gehören also zum ältesten Bestand des Grundgesetzes.

Der Staat muss sich neutral verhalten

Demnach kann sich hierzulande jeder frei zu einer Religion bekennen oder auch areligiös sein. Der Staat selbst muss sich neutral verhalten und kann sich nicht mit einem bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren. Den Religionsgemeinschaften, ganz gleich ob christlich, jüdisch, muslimisch steht das Recht auf Selbstbestimmung zu. Das bedeutet, dass sie und nicht der Staat entscheiden, was im Religionsunterricht oder an den jeweiligen wissenschaftlich-theologischen Fakultäten der Universitäten gelehrt wird. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht auf Eigentum. Außerdem haben Religionsgemeinschaften unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, sich öffentlich-rechtlich zu organisieren (Körperschaftsstatus).

Mit diesem Status sind bestimmte Rechte verbunden wie das Recht, von den Mitgliedern Steuern zu erheben, aber auch Vorteile wie Steuer- und Gebührenbefreiungen. Die beiden christlichen Kirchen sind Körperschaften öffentlichen Rechts. Zu fortgesetztem Streit führt es, dass die muslimischen Denominationen keine Möglichkeiten sehen, sich kirchenförmig zu organisieren, um in den Genuss der Körperschaftsrechte zu kommen. Bisher dienen Hilfskonstruktionen wie Beiräte etwa an islamisch-theologischen Fakultäten dazu, die Selbstbestimmung der muslimischen Religionsgemeinschaft zu gewährleisten.

Aber auch in der Seelsorge gibt es ein Zusammenwirken von Staat und Kirche, das gilt in besonderem Maße für die Militärseelsorge der beiden christlichen Kirchen, aber auch für die jüdische und muslimische Militärseelsorge, sowie für die Gefängnis- und Krankenhausseelsorge der genannten Religionsgemeinschaften bzw. Kirchen. Zwischen den Ländern und den entsprechenden Landeskirchen/Bistümern regeln Staatskirchenverträge Einzelheiten wie etwa die wissenschaftlich-theologischen Fakultäten an den jeweiligen Universitäten. Von einem laizistischen Staat ist Deutschland also weit entfernt.