Frau Moradi, Sie haben bei Ihrer Wahl zur Ko-Vorsitzenden der Frankfurter Grünen ein denkbar knappes Ergebnis erzielt. Es hieß, Sie seien zu jung, zu unerfahren, zu links. Kränkt Sie das?
Tara Moradi: Dass ich zu jung und zu links sei, bekomme ich oft gesagt. Mein Alter lässt sich nicht ändern, und meine politische Haltung ist, wie sie ist. Auch die ist Teil der Grünen. Zu unerfahren? Das lasse ich nicht gelten, da möchte ich deutlich widersprechen. Ich habe die letzten vier Jahre als Mitglied im Vorstand der Frankfurter Grünen nicht Däumchen gedreht, habe mich maßgeblich mit eingebracht. Im Endeffekt ist es bei einer Wahl wichtig, die Breite der Partei abzubilden.
Moradi: Ich denke ja, auch weil ich mit Burkhard Schwetje ein Duo an der Parteispitze bilde und weil wir gut zusammenarbeiten. Wir sprechen uns ab und hatten bisher keine tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten. Im Parteivorstand sind wir uns bei 90 Prozent der Entscheidungen in den vergangenen Jahren einig gewesen. Strittige Fragen haben wir gelöst, indem wir uns ausgesprochen haben. Deshalb haben wir ja auch eine Doppelspitze, damit nicht nur eine Stimme zählt.
Ist das so, Herr Schwetje?
Burkhard Schwetje: Wir sind 2021 zusammen neu in den Vorstand gewählt worden. Seitdem sammeln wir beide Erfahrungen in der Politik. Ob man Erfahrung hat, lässt sich nicht am Lebensalter ablesen. Man kann mit Tara Moradi sehr professionell zusammenarbeiten. Es gab für den Posten der Ko-Vorsitzenden zwei Angebote, wie das in einer demokratischen Partei ist. Wir sind in Frankfurt mit jetzt 2700 Mitgliedern auch Volkspartei, wir haben mehr Mitglieder als die CDU. Diese 2700 Frankfurter haben natürlich nicht alle dieselbe Meinung. Unsere Aufgabe ist es, zusammenzuführen und Kompromisse zu finden, die von der Mehrheit der Partei getragen werden.
Kein „Hau-mal-auf-den-Tisch-Führungsstil“
Der Kommunalwahlkampf steht bevor: Haben die Grünen im Römer so „geliefert“, dass die Frankfurter sagen können, die wählen wir wieder?
Moradi: Die konkreten Erfolge können sich sehen lassen, wie beispielsweise das in der letzten Sitzung des Stadtparlaments beschlossene Suchthilfezentrum. Das gilt auch für den Masterplan Mobilität. Wir sind nicht gewählt, um eine nette Zeit zu haben, sondern um den Frankfurtern etwas anzubieten. Vor allem im Sozialen ist vieles hinzugekommen: Der Frankfurt-Pass ist erweitert worden, für viele Träger sind die Fördergelder verstetigt worden.
Schwetje: Mehr geht immer. Die kommunalpolitischen Mühlen mahlen von außen betrachtet langsamer, als es uns recht ist. Ich verstehe die Ungeduld vieler Bürger. Aber es geht nicht nur um Politik, sondern auch um die Verwaltung mit ihren rechtlichen Vorgaben. Erreicht haben wir, dass der Stadtteil der Quartiere kommen wird. Der Grundsatzbeschluss für die U-Bahn-Linie 4 ist gefasst. Das ist die größte Verbesserung für das Frankfurter U-Bahn-Netz seit Jahrzehnten, inklusive Anbindung des Uni-Campus Westend. Auch die energetische Sanierung von Gebäuden wird gefördert, wir haben eine Stelle für den Wohnungstausch geschaffen.
Haben die Grünen als stärkste Kraft in Frankfurt die Führungsrolle im Römer ausreichend wahrgenommen?
Schwetje: Wir sehen uns in der Führungsrolle, aber dafür brauchen wir keinen Hau-mal-auf-den-Tisch-Führungsstil. Wir sehen es als Stärke an, dass wir in einer eher moderierenden Funktion die Zusammenarbeit in der Koalition vorantreiben. Mit den jetzt wechselnden Mehrheiten im Stadtparlament wird das sogar noch wichtiger. Ich denke, langfristig ist das die erfolgreichere Methode, um Dinge voranzubringen. Die meisten Unternehmen haben inzwischen einen kooperativen Führungsstil.
Moradi: Und wir freuen uns natürlich, wenn unsere Koalitionspartner diesen Weg mit uns gehen.
Moradi: Man kann nicht wissen, wie es mit der CDU oder mit der Linken gelaufen wäre. Wir können nur sagen, in dem Moment, als wir den Koalitionsvertrag ausgehandelt und abgestimmt hatten, war die Mehrheit der Partei von der Koalition mit der FDP überzeugt. Es gab Stimmen, die wollten mehr die eine oder die andere Richtung. Wir haben eine Entscheidung gefällt, wenn es nach uns gegangen wäre, hätte die Koalition mit SPD, FDP und Volt auch bis zur Kommunalwahl im März 2026 gehalten.
Sie, Frau Moradi, wollten damals mit der Linken koalieren, oder?
Moradi: Ich war stark in der Grünen Jugend aktiv, die eine klare Haltung hatte. Ja, ich finde, auch Linksbündnisse müssen in Frankfurt möglich sein, auch wenn sie keine Automatismen sind.
Hart umkämpfte Verkehrspolitik
Vor vier Jahren befand sich Ihre Partei auf dem Höhepunkt. Heute ist sie Opposition, ob in Wiesbaden oder Berlin. Wie gehen Sie in den Wahlkampf?
Schwetje: Aus meiner Sicht haben wir die Talsohle durchschritten. Wir hatten bei der Europawahl in Frankfurt 58.000 Stimmen für die Grünen. Das war wirklich ein bitteres Ergebnis. Bei der Bundestagswahl im Februar waren es dann 68.000 Stimmen. Bei einer Bundestagswahl ist die Wahlbeteiligung höher, aber man sieht, wir haben 10.000 Frankfurter zurückgewonnen. Es gibt also weiter ein großes Interesse an grüner Politik in Frankfurt. In den acht Monaten bis zur Kommunalwahl gilt es nun, unsere Anhänger zu mobilisieren.
Lassen Sie uns über Themen sprechen. Ist Klimawandel noch eines?
Moradi: Klimawandel war sehr lange ein abstraktes Ding, aber jetzt wird es sehr konkret. Wir haben inzwischen ja schon Glück, wenn das Thermometer im Sommer die 39 Grad nicht überschreitet. Das Interesse ist wieder da, es wächst, und es ist unsere Aufgabe, zu thematisieren, dass es nicht eine Sache des Geldbeutels sein darf, ob man sich in kühlen Räumen aufhalten kann.
Schwetje: Klima, aber auch Wohnen, Bildung, sozialer Zusammenhalt und eine diskriminierungsfreie und offene Stadt. Das sind die fünf Themen, für die wir als Grüne stehen müssen. Die Grünen sind gerade in Frankfurt viel mehr als eine Klimawandel-Partei. Damit, dass wir Menschen, die nicht deutscher Herkunft sind, unterstützen, sprechen wir das zentrale Thema der Wirtschaft – den Fachkräftemangel – an. Wenn wir keine Willkommenskultur haben, die Ausländerbehörde nicht funktioniert, dann ist das nicht nur ein Rechts- und Menschenrechtsproblem, sondern ein konkretes Problem für viele Firmen in Frankfurt.
Ihre Verkehrspolitik war hart umkämpft, der Wegfall von Parkplätzen.
Moradi: Ich glaube, dass es in der Kommunikation ganz wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass der Parkplatz nicht für den Radfahrer oder den Baum wegfällt, sondern um einen Ort für alle zu schaffen. Wir wollen, dass die Leute diesen Raum für sich entdecken und verstehen, der Wegfall des Parkplatzes ist kein Verlust, sondern ein Gewinn für die Nachbarschaft.
Schwetje: Ich glaube auch, dass wir bei konkreten Themen, etwa wie wir die Stadt fit machen können für höhere Temperaturen, Menschen für Veränderung begeistern können. Schwieriger wird die Wärmewende zu vermitteln sein. Wenn es uns da nicht gelingt aufzuzeigen, dass dieser Weg langfristig auch bezahlbar ist, wird es schwierig. Dann ist die Geldbörse schnell näher als der Klimawandel.
Die Wirtschaft läuft Sturm gegen die Verkehrspolitik der Grünen.
Schwetje: Ich würde das differenzieren. Nicht alle Wirtschaftsvertreter sind gegen unsere Verkehrspolitik. Der neue Hochhausrahmenplan sieht Standorte für 14 neue Hochhäuser vor. Das zeigt, dass wir als Grüne den Raum schaffen wollen für wirtschaftliches Wachstum. Aber es muss allen Beteiligten auch klar sein, dass nicht alle Mitarbeiter in diesen Hochhäusern mit dem Auto fahren können. Das kann nicht funktionieren, das würde zum Kollaps führen. Auch jetzt schon gilt, wenn es irgendwo Stau gibt, dass der nicht deshalb entsteht, weil wir Radwege markiert haben. Vielmehr staut es sich, weil viele Menschen aufs Auto angewiesen sind oder glauben, aufs Auto angewiesen zu sein. Wir müssen Alternativen bieten, wir arbeiten an mehr Park-and-Ride-Möglichkeiten.
Moradi: Genau, der öffentliche Raum ist sehr limitiert. Wir wollen die Stadt so gestalten, dass mehr Menschen reibungslos hinein- und hinauskommen. Das heißt, dass die Straßen nicht durch unnötige Pkw-Fahrten verstopft werden, sondern dass ausreichend Platz für Lieferfahrzeuge und Pendler bleibt, die keine Alternative zum Auto haben.
Ihre Partei sammelt schon seit Wochen Ideen für das Wahlprogramm.
Moradi: Ganz generell sehen wir ja die Probleme wie Wohnen, Sauberkeit, Zustand der Schulen und Kinderbetreuung, so wie jeder Frankfurter es auch tut. Wir versuchen darauf grüne Antworten zu geben. Manche Themen wie etwa die Bildung liegen derzeit nicht in unserer Verantwortung. Wir wären alle sehr viel glücklicher, wenn es schneller ginge.
Vielen wäre geholfen, wenn es in Frankfurt sauberer wäre.
Moradi: Müll vermeiden ist immer gut – das ist auch Klimaschutz. Der Müll ist aber nicht allein deshalb weg, weil man ein paar Mülleimer mehr aufstellt. Ich glaube, es braucht eine Mentalitätsänderung, damit Orte, an denen Menschen zusammenkommen, nicht automatisch Orte des Abfalls werden.
Sollte man draußen nicht mehr feiern?
Schwetje: Wir müssen in einer Stadt mit fast 800.000 Einwohnern akzeptieren, dass Menschen abends unterwegs sind.
Moradi: Ein bisschen Freude ist erlaubt – Frankfurt ist eine weltoffene Stadt, das zu bewahren, ist unsere Aufgabe. Das gilt für die Straße, aber auch für den gesamten politischen Kontext.
Noch einmal zum Kommunalwahlkampf: Was nehmen Sie sich vor?
Moradi: Das oberste Ziel ist, Kontakt mit den Menschen zu haben. Klar, wir haben unsere Inhalte, aber wir müssen die Frankfurter fragen, was ihre größten Bedürfnisse sind. Dafür muss man sich Zeit nehmen, und dafür braucht man Unterstützung. Deshalb sind wir glücklich, dass wir so viele neue Mitglieder haben – 750 sind allein seit Oktober dazugekommen. Viele wollen auf die Straße, auch um das Bild von den Grünen zu aktualisieren und zu zeigen, wer wir jetzt sind, was man bekommt, wenn man uns wählt.
Zu den Personen
Burkhard Schwetje, 57 Jahre alt, IT-Spezialist, lebt seit 2013 mit seiner italienisch-deutschen Familie in Frankfurt. 2015 ist er Mitglied der Grünen geworden, 2021 wurden er und Tara Moradi in den neun Mitglieder zählenden Vorstand gewählt. Seit 2023 ist er Sprecher der Grünen in Frankfurt, jetzt wurde er im Amt bestätigt.
Tara Moradi, 28 Jahre alt, studiert Politik, ist mit vier Jahren mit ihren Eltern aus Iran nach Frankfurt gekommen. Seit 2020 ist sie Mitglied der Grünen. 2021 ist sie nicht nur in den Vorstand der Frankfurter Grünen gewählt worden, sondern vertritt ihre Partei seitdem auch im Ortsbeirat 10, der unter anderem für ihren Heimatstadtteil Preungesheim zuständig ist. mch.