In den Vereinigten Staaten haben die Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit inzwischen eine bedrohliche Stufe erreicht. Waren zunächst vor allem „woke“ akademische Themen betroffen, geht ein geplantes Verbot des amerikanischen Gesundheitsministers Robert F. Kennedy deutlich weiter. Er will den öffentlich geförderten Forschern an staatlichen Universitäten untersagen, in den großen internationalen medizinischen Fachzeitschriften zu publizieren. Stattdessen sollen sie ihre Erkenntnisse in einer Regierungszeitschrift veröffentlichen. Das ist ein Frontalangriff auf das Wissenschaftssystem, wenn es tatsächlich dazu kommt.
Wissenschaft muss die Freiheit haben, ausschließlich wissenschaftlich darüber zu entscheiden, was in aller Vorläufigkeit und Revidierbarkeit als Erkenntnis gelten kann, was erforscht wird und welche Methoden dafür geeignet sind. Nur so kann sie Erkenntnisfortschritte erzielen, die dann genau dort publiziert werden, wo Wissenschaftler sie veröffentlichen wollen. Die amerikanische Regierung kann nur deshalb so massiv gegen die Forschungsfreiheit vorgehen, weil sie nicht verfassungsrechtlich gesichert ist.
Die Debatte über Brosius-Gersdorf
Das ist in Deutschland anders. Dennoch gibt es keinen Grund, mit langem Finger auf die Trump-Regierung zu zeigen. Wie wenig es auch hierzulande gelingt, zwischen Meinung und wissenschaftlicher Einsicht zu unterscheiden, hat die Debatte über die Potsdamer Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf gezeigt.
Sowohl Wissenschaftsfreiheit als auch Meinungsfreiheit sind in der Verfassung als unterschiedliche Grundrechte gesichert, die bestimmten Schranken unterliegen. Politisch-demokratische Diskurse und wissenschaftliche können und sollen als offene Auseinandersetzung über unterschiedliche Positionen ausgetragen werden. Die Meinungsfreiheit dient der individuellen Persönlichkeitsentfaltung und dem demokratischen Prozess. Sie ist deshalb noch lange kein Gütesiegel für jede beliebige Äußerung.
Auch wenn es oft schwer zu ertragen ist und manchen die Meinungsfreiheit zu weit geht, umfasst sie selbst unwahre Tatsachenbehauptungen, Verschwörungstheorien und Verirrungen, die laut Bundesverfassungsgericht nur dann keinen Schutz mehr genießen, wenn sie bewusst unwahr geäußert werden.
Wissenschaftliche Äußerungen sind dagegen an objektivierbare Kriterien und an methodische Standards gebunden, die ihre Überprüfbarkeit sichern. Bei wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung geht es fachunabhängig um Handwerk, um stringente und nachvollziehbare Argumentationen. Sie können exzentrisch sein, aber nicht beliebig. Wissenschaftler können nur überzeugen, wenn ihre Erkenntnisse vermittelbar, kritisierbar und revidierbar sind.
Es geht um Handwerk
Wissenschaftlich begründete Aussagen können politisch anstößig sein, sie können auch fehlgeleitet wirken. Aber es geht hier nicht um Politik und übrigens auch nicht um Werte, sondern um Handwerk, um schlüssige und überzeugende Argumentationen. Genau deshalb ist Wissenschaftsfreiheit die Grundlage für wissenschaftliche Leistungsfähigkeit und Exzellenz, weil sie sachfremde Kriterien und Ansprüche vermeidet.
Universitäten dürfen deshalb keine Arenen des politischen Meinungskampfes sein, weil sie damit ihrer Kernaufgabe, dem Ringen um Erkenntnisfortschritt in Forschung und Lehre, nicht mehr nachkommen können. So sind auch antiisraelische, im Kern oft antisemitische Kundgebungen nicht schon deshalb von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt, weil sie an Universitäten stattfinden. Und nicht jede Äußerung eines Professors, so wissenschaftlich verbrämt sie daherkommen mag, ist wissenschaftlich.
In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie rasch die Grenzen zwischen Meinungsbildung und wissenschaftlicher Debatte verschoben werden. Der wachsenden Zahl der fachfremden Hobbyvirologen fehlte es an fachlicher Diskursfähigkeit, den Meinungskampf befeuerten sie dafür um so lautstärker.
Die Entwicklung in den Vereinigten Staaten sollte Anlass sein, auch hier aufmerksamer für Bedrohungen der Wissenschaftsfreiheit zu werden. Denn auch die innere Aushöhlung kann sie gefährden: etwa durch Moralisierung von Sprache, durch politisierte Diskurspraktiken in bestimmten Fächern, die durch methodische Verwahrlosung selbst dafür sorgen, dass ihre vermeintlichen wissenschaftlichen Positionen nicht mehr von politischen Meinungsäußerungen zu unterscheiden sind.
Auch verfassungsdogmatische Positionen sind wissenschaftlich zu begründen und nicht Ausdruck politischer Bekenntnisse. Im Fall der Verfassungsrichterwahl ist der Politisierung durch ihre Verlagerung in das Plenum des Bundestags, die schon 2015 beschlossen wurde, Vorschub geleistet worden. Das erweist sich heute als problematisch.